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Literaturagent statt Schriftsteller

Die Leipziger Buchmesse zieht seit gestern wieder Lesefreunde aus Nah und Fern in die Messehallen vor den Toren der Stadt. Das Begleitprogramm hat 1800 Veranstaltungen zu bieten. Sie lassen das Ganze zum größten Literaturfest Europas werden. Einer der Veranstalter heißt Claudius Nießen. Er studiert am Deutschen Literaturinstitut, aber Schriftsteller will er gar nicht werden. Vielmehr ist er auf dem Weg zu einem Literaturagenten der etwas anderen Art und präsentiert unter anderem eine alternative Literaturshow namens "Turboprop".

Von Carsten Heckmann |
    " Turboprop Literatur, nötig wie dein Abitur. Wohlfeil, lehrreich, klerikal, ist gleich Ilses Erika. Viele Chancen in unsrer Welt, niemand da, der alle zählt. Auch egal, weil gut ist nur: Turboprop Literatur. Tuuuuur... Turboprop."

    So wird es heute Abend wieder klingen, wenn die Literaturshow namens "Turboprop" im Leipziger Keller-Club "Ilses Erika" beginnt. Die Luft wird verraucht sein und die singenden Moderatoren Christoph Graebl und Claudius Nießen werden Platz genommen haben in braunen Drehsesseln aus DDR-Beständen. Wirklich singen können die beiden Literaturstudenten nicht. Aber ein bisschen Dilettantismus dürfe schon sein, gewürzt mit einer guten Portion Selbstironie. Erlaubt sei, was unterhält. Deshalb liest nicht nur einfach ein Autor, heute der Luxemburger Guy Helminger, sondern es gibt auch Jingles, Einspielfilmchen und Mitmachaktionen. Genau das macht das Besondere von "Turboprop" aus, sagt Claudius Nießen:

    " Wir wollen gerne eine Lesereihe machen, zu der wir selber gerne hingehen und die nicht irgendwie in einer Buchhandlung stattfindet und die nicht klassisch aufgebaut ist wie eine Lesung, sondern die eben Elemente hat aus dem Fernsehen herausgegriffen, aus Talkshows, verschiedene Unterhaltungselemente - die aber gleichzeitig die Literatur und den jeweiligen Gast, den wir haben, in den Mittelpunkt stellt oder im Mittelpunkt stehen lässt."

    Seit drei Jahren kommt das Konzept beim jungen Publikum und bei den meist ebenso jungen Autoren gut an - und bestätigt die Macher. Deshalb hat Claudius Nießen eine Geschäftsidee entwickelt: An Formaten wie der Literaturshow, dachte sich der 26-Jährige, müsste doch die ganze Literaturbranche interessiert sein, um neue Zielgruppen zu erschließen. Also gründete er vor Kurzem eine Agentur, gab ihr den Namen "Clara Park", angelehnt an eine Leipziger Grünanlage, engagierte eine freie Mitarbeiterin und mietete ein kleines Büro. Der Zwei-Personen-Betrieb hat einiges vor:

    " Zum einen ist da ein Booking für junge Autorinnen und Autoren. Da ist die Möglichkeit, selber und mit Partnern zusammen neue Veranstaltungsformate zu entwickeln für Literatur, für die Präsentation junger Literatur. Und da ist zum Dritten die Möglichkeit, Dienstleistungen für Verlage zu bieten in Form von Lesungsbetreuung, Moderation und auch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit."

    Die Leipziger Buchmesse ist nun die erste Bewährungsprobe für "Clara Park". Die Agentur hat gestern Abend die "Lange Leipziger Lesenacht" organisiert. 40 Autoren waren auf vier Bühnen im bekanntesten Studentenkeller der Stadt unterwegs, der "Moritzbastei". Anschließend gab's Disko. Die Buchmesse selbst will Claudius Nießen nutzen, um Kontakte zu Verlagen zu knüpfen. Positive Signale habe er bereits vernommen. Eines kam gestern von Jo Lendle. Der Lektor beim DuMont-Verlag meint, klassische Lesungen mit Tisch, Stuhl und Wasserglas seien "kaum noch erträglich".

    " Wenn Zusatzmöglichkeiten dazu kommen, die die Lesung auszeichnen als ein besonderes Ereignis, wo das Charisma des Autors, das Besondere der Situation jetzt und live, wenn daraus besondere Sachen entstehen und die Lesungsform ein bisschen weiterentwickelt werden kann, ist mir das sehr recht."

    Einige alternative Lesekonzepte gibt es natürlich bereits. In Hamburg beispielsweise hat sich der Machtclub etabliert, in dem Literaten, Musiker und bildende Künstler zusammenkommen. Mit ihm und ein paar Lesebühnen in Berlin will Existenzgründer Nießen kooperieren. Viel Organisationsarbeit liegt da noch vor ihm, aber genau die macht ihm Spaß. Im vergangenen Jahr bereitete er den Internationalen Kongress für Literarisches Schreiben mit vor. Zweimal kümmerte er sich bereits um die Jahresanthologie des Literaturinstituts. An Leipzigs Dichterschmiede wundert sich daher längst niemand mehr über Nießens berufliche Ambitionen. Dass einer seiner Studierenden nicht Schriftsteller werden will, findet Professor Michael Lentz auch nicht tragisch, im Gegenteil:

    " Es ist natürlich ein Studium, das teilweise auch in die literaturtheoretische, literaturwissenschaftliche und -historische Richtung geht, das muss es ja auch sein. Das heißt, man kann dieses Studium durchaus absolvieren, um eine andere Art von Literaturvermittlung mitzubekommen. Je klarer jemand eine eigene Berufsvorstellung hat oder sich das und das zutraut, desto besser ist es für ihn. Und der kann durchaus das gesamte Programm, das das DLL bietet, mitnehmen."

    Lentz betreut derzeit Claudius Nießens Abschlussarbeit. Ein erzählerischer Essay soll es werden. Das Thema lautet "Neue Formen der Literaturvermittlung". Eine klare berufliche Linie kann man Nießen also wirklich nicht absprechen. Nur wie sein Beruf heißt, das weiß auch er nicht so genau.

    " Hm, ja, was ist mein beruf? Einen richtigen Namen hat mein Beruf eigentlich nicht. Ein stückweit bin ich ein Träumer."