Das Ganze hängt zusammen mit einem Studienschwerpunkt, den ich hier initiiert habe, der heißt "Literaturvermittlung in den Medien" - er soll die Studierenden neben ihrer fachwissenschaftlichen Ausbildung heranführen an die Berufspraxis. Und dort vor allem zwei Praxisfelder eröffnen: Einmal das Verlagswesen, und zum anderen den Kulturjournalismus. Und beides bedienen wir im Internet. Wir haben einen Verlag gegründet, wir haben eine Buchhandlung gegründet im Internet, aber die Hauptaktivität liegt im kulturjournalistischen Bereich - eben in den Rezensionen, die wir monatlich für literaturkritik.de ins Netz stellen.
Dabei stützt sich das sechsköpfige Team um Anz und Redaktionsleiter Lutz Hagestedt auf einen Pool von rund 300 Stammrezensenten - Wissenschaftler und professionelle Literaturkritiker zumeist, aber auch talentierte Studenten, die sich - honorarfrei, versteht sich - im Netz ihre ersten publizistischen Sporen verdienen. literaturkritik.de greift aktuelle Debatten auf und setzt monatliche Schwerpunkte. Das Themen-Spektrum reicht von Ausgaben zu Lessing oder Ernst Jünger bis hin zu Sondernummern über Pop-Literatur oder die digitale Zukunft des Buches.
Orientierungspunkt sind die anspruchsvolleren literaturkritischen Seiten in den überregionalen Feuilletons. Wir haben den Vorteil, das wir mehr Platz haben: Das Internet ist sozusagen im Platz unbegrenzt. (...) Es gibt deshalb auch kein Zeitproblem; die Rezensionen, die ankommen, liegen nicht, wie in anderen Redaktionen, oft ein halbes Jahr auf dem Schreibtisch rum, sondern werden relativ zügig ins Netzt gestellt. So dass wir in vielen Fällen - das hängt natürlich von unseren Mitarbeitern ab und deren Arbeitsgeschwindigkeit - aber in vielen Fällen können wir eben sehr viel schneller sein. Dazu hat es den Vorteil, dass es für alle benutzbar ist - und zwar in der ganzen Welt. Wir haben viele Benutzer in Goethe-Instituten im Ausland; es kommen Zuschriften aus China, USA und so weiter, die zwar potentiell auch die ZEIT und die F.A.Z. abonniert haben. Aber doch in eher selteneren Fällen. Da eröffnet das Internet einfach andere Möglichkeiten.
literaturkritik.de stellt monatlich zwischen 80 und 100 Rezensionen ins Netz. Leserbriefe besorgen die Kritik der Kritiker - wobei es von einigem Unterhaltungswert sein kann, wenn der Autor eines verrissenen Buchs persönlich in die Tasten greift. Über die Jahre ist so ein Online-Archiv gewachsen, dass der literarischen Gegenwart in den Weiten des World Wide Web Dauer gibt.
Wir haben die Rezensionen seit 1999 gespeichert, und es haben sich mittlerweile 5000 Buchtitel angesammelt, die bei uns besprochen worden sind. Und auf ein solches Archiv wird gerne zurückgegriffen. Man kann das kostenlos machen, indem man sich durch die einzelnen Ausgaben durchklickt, aber wenn man gezielt suchen will - das ist der Anreiz von uns, Online-Abonnent zu werden. (...) Wenn Sie Online-Abonnent sind, dann stellen wir Suchmöglichkeiten vor allen Dingen zur Verfügung. Das heißt, Sie können die Rezensionen nach Buchtiteln, nach Rezensenten, nach Autoren und so weiter abfragen.
Anz und seine Mitstreiter setzen auch im Netz auf Qualität. Jeder Beitrag wird redaktionell bearbeitet. Und wenn Imre Kertesz den Literaturnobelpreis bekommt, findet man bei literaturkritik.de schon mal einen 30seitigen Essay, der manch Kollegen aus dem Zeitungs-Feuilleton alt aussehen lässt.
Jeder weiß: Das liest keiner am Bildschirm! Aber unsere Leserinnen und Leser sagen: Ja, wir gucken uns das an, wenn wir es interessant finden, drucken wir es uns aus. Und lesen es schwarz auf weiß! Insofern nutzen wir die Vorteile dieses Mediums, sträuben uns aber medienkonservativ etwas gegen die Verflachungstendenzen, die das Internet mit sich bringt.
Anders als literaturkritik.de ist das erst Anfang Dezember freigeschaltete Portal Berlinerliteraturkritk dem rauen Wind des freien Marktes ausgesetzt. Martin Schrader, Gründer des im Keller einer alten Wannsee-Villa eingemieteten Start-ups , hatte die Idee für sein Projekt bereits vor fünf Jahren - als Printversion. Aus Kostengründen wurde das projektierte Magazin nun ins Internet verlagert - mit gewandeltem Konzept:
Ursprünglich war es mal als Rezensionsorgan vorgesehen. Dadurch, dass wir jetzt aber ein anderes Medium gewählt haben, das an sich auch andere Formate, fast natürlich, muss man sagen, jetzt verlangt, haben wir uns jetzt auch entschieden, andere journalistische Formen zu wählen. Und sind von dem "Rezensionsorgan", wenn Sie so wollen, von dieser Idee ein bisschen abgerückt. Und haben jetzt eigentlich das Ziel, kurz und bündig ausgedrückt, eine Literatur-Nachrichtenagentur zu werden. So dass wir sowohl Rezensionen bieten als auch Nachrichten: Kurze und lange Nachrichten, Essays, Interviews - eigentlich alles, was man von einer Nachrichtenagentur erwartet, die sich in dem Fall aber auf, ja, auf Bücher, Autoren und Verlage konzentriert.
Damit tritt Berlinerliteraturkritik nicht nur in Konkurrenz zu anderen Rezensionsplattformen, sondern muss sich zugleich mit den Offerten von Perlentaucher , Netzeitung oder den Online-Diensten der Branchen-Magazine messen lassen. Ein hoher Anspruch, den die dreiköpfige, von einigen freien Mitarbeitern unterstützte Redaktion derzeit noch nicht entfernt einlösen kann. Schrader weiß um die vor ihm liegende Durststrecke. Früher oder später schlägt die Stunde der Wahrheit.
Als ich nach Berlin gezogen bin, hatte ich mir ganz fest vorgenommen: Ab heute führst Du Lesetagebuch! Damit ich mir eben merke, welches Buch hat mir warum gefallen, und welche Besonderheiten sind mir dabei aufgefallen? Weil man es ja doch im Laufe der Jahre vergisst.
Als Daniela Ecker 1999 aus einem kleinen oberösterreichischen Dorf nach Berlin kam, gab es im Netz nur eine Hand voll privater Rezensionsseiten. Ihr aus der Idee des "Lesetagebuchs³ entstandenes Portal Leselust hat sich seither zum Selbstläufer entwickelt: Von den 12 000 im Forum versammelten Beiträgen entstanden mehr als die Hälfte im letzten Jahr. Rund 160 000 Klicks zählt Ecker jeden Monat; das Gros der Besucher gelangt über einschlägige Suchmaschinen auf die Seite. Verlage versorgen die Leselust inzwischen bereitwillig mit Lese-Exemplaren. Unermüdlich stellt Daniela Ecker, die tagsüber im Vertrieb eines Computerzubehör-Herstellers arbeitet, Rezensionen, Leseproben, Berichte von Autoren-Lesungen und Schriftstellerportraits ins Netz. Schon heute umfasst das Archiv der Leselust mehr als 800 besprochene Titel.
Gut, ich verbringe sicher in meiner Freizeit täglich drei, vier Stunden am Computer, das ist schon klar. Aber das ist für mich nicht der Großteil der Zeit; und das ist `ne Zeit, die ich weder vermisse noch missen möchte. Das hat immer Platz! Und es gibt mir so viel zurück! ich denke, man hatte früher oft das Gefühl, Internet ist für kommunikationsscheue Leute. Oder: Lesen ist etwas, was man im stillen Kämmerlein macht. Und ich war selber nie kontaktscheu, und ich war immer viel unter Menschen - und ich hab immer gern gelesen - schon als ganz kleines Kind. Und das zu kombinieren ist eben dank Internet jetzt viel einfacher geworden. Weil es viele Leute gibt, die gern lesen, und viele Leute gibt, die gerne drüber reden. Und jetzt findet man sich einfach.
Immer häufiger auch offline. In Berlin, Stuttgart, Köln oder München haben sich Lesegruppen gebildet, die nach gemeinsamer Lektüre eines Buches den Austausch mit Gleichgesinnten suchen. Auch Amazon , dessen deutsche Kunden bis heute mehr als 2,5 Millionen Online-Rezensionen - die meisten zu Buch-Novitäten - verfasst haben, kommt an dem Trend nicht vorbei: Seit kurzem widmet der Internet-Versender seinen 500 "Top-Rezensenten" eine eigene Plattform. Über die Plazierung im Ranking stimmt die Kundschaft ab - per Mausklick. Die bienenfleißigen, längst nicht alle auf so hohem Niveau wie Daniela Ecker arbeitenden Hobby-Rezensenten können eine professionelle Literaturkritik nicht ersetzen - wohl aber auf deren Defizite hinweisen. Lassen wir der Leselust-Macherin das letzte Wort:
Ich habe mir eine Bookmarkliste quasi gemacht und gucke eigentlich auch fast jeden morgen F.A.Z. an, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau , Berliner Zeitungen. Was mich interessiert, ist hauptsächlich: Welche Bücher werden vorgestellt, wie beurteilen die das? Werde dadurch manchmal fündig, manchmal ganz und gar nicht. Manchmal denke ich mir: Oh Mann, das muss ein richtig anspruchsvolles, gutes Buch sein! Und stelle dann fest: Ja, es mag anspruchsvoll sein - aber ich mag es nicht lesen! Ich fühle mich nicht wohl dabei, es zu lesen! (...) Der Autor der Rezension mag sich damit beschäftigt haben, aber er hat mir eigentlich trotzdem am Ende nicht gesagt: Hat er Spaß dabei gehabt? Hat es ihm gefallen? Hatte er irgendwie Vergnügen dabei? War es ihm eine Qual? Und genau das ist das, was ich eigentlich ein bisschen vermisse.
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