Jan Drees: Und dass nicht nur eine Generation ausgezeichnet wird, lieber Hubert Winkels, das möchte ich jetzt gleich auch noch mal besprechen, und zwar mit jemandem aus einer ganz anderen, aus einer früheren Generation, der so alt ist wie ich nämlich, Maik Brüggemeyer. Er ist jetzt zugeschaltet aus Berlin. Maik Brüggemeyer ist beim "Rolling Stone" Redakteur, hat aber auch im vergangenen Jahr einen Bob-Dylan-Roman veröffentlicht, "Catfish" heißt der. Herr Brüggemeyer, ich grüße Sie!
Maik Brüggemeyer: Hallo!
Drees: Ja, kam die Verkündung für Sie denn jetzt genauso überraschend wie für uns? Also, sind jetzt auch die Musikredakteure ganz verwundert?
Brüggemeyer: Es ist tatsächlich so, dass wir in den letzten Jahren immer an dem Tag, als der Literaturnobelpreis verkündet werden sollte, immer daran gedacht haben, es könnte Dylan werden, und Sachen vorbereitet haben, was wir tun könnten, wenn es passiert. In diesem Jahr haben wir es mal einmal nicht getan, weil wir dachten, ach, diese Diskussion hat sich vielleicht momentan erst mal erledigt, es gab andere Leute, die da weiter vorne standen in der Liste auch zum Beispiel der englischen Buchmacher, die wir uns natürlich angeguckt haben. Don DeLillo schoss nach oben, all diese Sachen. Und dann waren wir schon ein bisschen überrascht, das ist irgendwie ein schlechter Tag für den Buchmarkt und ein guter Tag für den Musikmarkt.
"Die Figur, die singt, hat nicht unbedingt etwas mit dem realen Leben des Künstlers zu tun"
Drees: Welche Bedeutung hat denn Bob Dylan auch für die Literatur? Sie haben ja selber einen Bob-Dylan-Roman geschrieben, wie kann also Bob Dylan dann hinterher selber zu Literatur werden?
Brüggemeyer: Na ja, also, wenn man sich lange mit Bob Dylan beschäftigt, stellt man irgendwann auch fest, dass diese Figur, die da singt, nicht unbedingt was mit dem realen Leben des Künstlers zu tun hat, sondern dass die so ein bisschen voneinander gelöst sind, dass es da so eine Art, ich würde mal sagen, Maske gibt, dass er da ein Leben vor einem ausbreitet, das nicht unbedingt sein eigenes ist, sondern eigentlich eher ein langes Epos. Und ich dachte mir, dem kommt man mit der Literatur näher als mit einem Sachbuch.
Drees: Ist Bob Dylan denn eigentlich nun Musiker und kein Literat? Wie würden Sie das sehen? Auf der einen Seite haben Sie ja jetzt auch vor Kurzem Bücher besprochen für den "Büchermarkt" selber, für unsere Sendung im Deutschlandfunk, gleichzeitig sind Sie aber auch Musikredakteur. Wie würden Sie das bewerten?
Brüggemeyer: Na ja, Bob Dylan ist ein Singer/Songwriter, da führt kein Weg dran vorbei. Und das bedeutet immer, dass da was Literarisches natürlich drinsteckt, nämlich das Writing, Songwriter, aber vorne, ganz vorne steht der Singer. Das ist der, der auf der Bühne steht, der bewundert wird und der für seinen Vortrag geschätzt wird. Und in der Regel für seinen Vortrag mehr geschätzt wird als für das, was er tatsächlich sagt.
"Er klang schon mit 20 Jahren wie ein alter Mann"
Drees: Sie sagen, er ist vor allem ein Sänger. Es gibt ja nicht wenige Leute, die ihn eher für einen Nichtsänger halten.
Brüggemeyer: Ja, das habe ich auch schon öfter gehört. Er ist natürlich in dem Sinne kein Popsänger. Also, er ist niemand, der schön singt, er ist jemand, der schon mit 20 Jahren eigentlich klang wie ein alter Mann. Und das ist auch seine Methode gewesen, sich quasi dadurch, dass er seine Stimme maskiert hat, schon in die amerikanische Tradition eigentlich einzuschreiben. Das ist was, was Charley Patton auch schon gemacht hat, alter Bluessänger. Und er klang eigentlich so alt, als könnte er einer dieser alten Männer sein, die damals diese Songs überliefert haben, und er hat sie einfach weitergetragen. Und ich glaube, daher ist es schon so, dass da auch eine ganze mündliche Musiktradition ausgezeichnet wird mit dem Nobelpreis für Bob Dylan.
Drees: Die Akademie begründet ihre Entscheidung mit seiner Schaffung neuer poetischer Ausdrucksform innerhalb der großen amerikanischen Song-Tradition.
Brüggemeyer: Ja.
"Er macht etwas Neues, in dem er mit der Tradition spielt"
Drees: Ist es das, was Dylan ausmacht?
Brüggemeyer: Na ja, da sind ja eigentlich alle Wörter schon drin, die wir eben auch schon hatten. Also, der Ausdruck spielt anschließend eine große Rolle und der Ausdruck ist in diesem Fall auch ein Vortrag. Die Tradition ist wichtig, er beruft sich immer wieder auf die Tradition, aber er schafft aus der Tradition eben auch was Neues, indem er ihr etwas hinzufügt, indem er ihr andere Einflüsse hinzufügt von Beat Poetry bis aber auch zu Hard-boiled Fiction, aber genauso gut findet man Stellen von Ovid in seinen Texten und solche Sachen. Also, er macht etwas Neues, indem er mit der Tradition spielt. Und ich glaube, das ist das, was das Besondere daran ist, und er führt diese Tradition so aber auch gleichzeitig weiter und rettet sie. Und ich glaube, das ist das, für das er auch ausgezeichnet worden ist, ganz klar.
Drees: Ausgezeichnet mit dem Literaturnobelpreis ja nicht einfach eine Person, sondern eigentlich ein Werk. Gibt es denn ein Werk, für das Bob Dylan den Preis besonders verdient hat Ihrer Meinung nach?
Brüggemeyer: Ja, da müsste man jetzt tatsächlich sagen, das Werk von Bob Dylan findet sich eigentlich tatsächlich nicht auf Schallplatten, sondern es findet sich eher auf der Bühne. Und da wird es natürlich dann richtig schwierig, weil man es eigentlich nicht mal mehr richtig fassen kann, sondern die Performance ist das Besondere bei Bob Dylan. Deswegen würde ich jedem, der noch mal die Möglichkeit hat, ihn live zu sehen auch, würde ich ihm raten, das zu tun. Weil ich glaube, man kann ihn nicht ganz erfassen, wenn man ihn nicht auf der Bühne gesehen hat. Ich glaube, das ist tatsächlich was ganz anderes noch mal als nur die Platten zu hören und die Konserve. Das ist kein definitives Statement, wie das bei einem Roman ist, dass man sagt, der steht da und das ist der Roman, sondern bei Dylan ist es so, dass es sich immer wieder verändert und immer wieder neue Formen annimmt. Jedes Lied und auch seine Stimme.
"Wenn man den puren Pop nehmen würde, müsste Chuck Berry den Preis bekommen"
Drees: Ich sprach ja gerade schon mit meinem Kollegen Hubert Winkels darüber, dass sich die Formen der Literatur, die ausgezeichnet werden mit dem Literaturnobelpreis, verändert haben. Wenn das jetzt Schule machen sollte, Herr Brüggemeyer, wer aus der Riege der Singer/Songwriter hätte den Preis denn noch verdient?
Brüggemeyer: Ich finde es ein bisschen seltsam, dass es ausgerechnet am Tag von Paul Simons Geburtstag passiert, dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommt, das ist so wie damals, als Walter Kempowski starb und auf arte eine Dokumentation über Günter Grass zu sehen war. Und Paul Simon ist sicher einer, der das in irgendeiner Weise verdient hätte. Aber man muss gleichzeitig sagen, dass das, was Dylan eben so speziell macht, diese Bindung an die Tradition, dass das etwas sehr Besonderes ist und das in gewisser Weise auch ein Alleinstellungsmerkmal ist auf die Art, wie er mit der Tradition umgeht. Das haben so andere Popsongwriter nicht. Ich würde ihn auch gar nicht als Popsongwriter bezeichnen, sondern tatsächlich eher als einen Folksänger. Und wenn man jetzt wirklich den puren Pop nehmen würde, müsste eigentlich Chuck Berry den Preis kriegen, aber ich glaube, da wäre das Geheul groß!
Drees: Vielen Dank, Maik Brüggemeyer, für diese Einschätzung aus Berlin, eigentlich direkt ja auch vom "Rolling Stone". "Rolling Stone" ist ja übrigens auch die Zeitschrift, die einzige, der Bob Dylan immer ein Interview gibt, wenn eine neue Platte rauskommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.