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Literaturwettbewerb "Open Mike"
Sieger und fragwürdige Kriterien

Gebärende Männer, virtuelle Realitätsverschiebung und vieles mehr - beim 25. Literaturwettbewerb "Open Mike" in Berlin konnten sich am Ende vier Nachwuchs-Literaten durchsetzen. Die Auswahlregularien könnten aber durchaus nochmals auf den Prüfstand.

Von Cornelius Wüllenkemper |
    Die Gewinner des 25. "Open Mike"-Wettbewerbs: Mariusz Hoffmann (v.l.n.r.), Ronya Othmann, Baba Lussi, Ralph Tharayil.
    Die Gewinner des 25. "Open Mike"-Wettbewerbs: Mariusz Hoffmann (v.l.n.r.), Ronya Othmann, Baba Lussi, Ralph Tharayil. (Imago)
    "Sprache, dichterische Sprache, deswegen nehme ich sie ernst, hat sich aller Fake-Sprache schon immer widersetzt. Lyrik ist als Lyrik subversiv. Im Gedicht schaut sich die Sprache selbst zu, schauen wir lesend und hörend der Sprache zu", so der Lyrik-Lektor Christian Döring.
    Aus 95 dichterischen Einsendungen hatte Döring nur fünf ins Rennen um den Open Mike geschickt. Wie sich die Sprache beim Denken zuschaut, das konnte man am besten bei der 24jährigen Münchnerin Ronya Othmann beobachten, befand am Ende die Jury.
    "sollen wir gleich mit den Formalitäten beginnen
    die Frau, die dir gegenüber sitzt, notiert.
    Ihr graues Kostüm ist eine Anweisung.
    Du rechnest ihre Arme und Beine nicht mit,
    und kommst auf ein Quadrat -
    die Schulterpolster, der Rumpf, die Hüften,
    einen Rücken braucht es nicht,
    es sind die Seiten, die alles halten und dich"
    "Nehmt Eure Texte nicht so wichtig"
    So wie die meisten Mitbewerber beim Open Mike, hat auch Ronya Othmann bereits eine Schreibschule absolviert, kann auf mehrere Wettbewerbe und auch auch auf Preise zurückblicken. Sie ist eigentlich längst angekommen im literarischen Betrieb. Zumal heute weniger die herkömmlichen Buchverkäufe, sondern zunehmend Herausgeberschaften, Anthologien, Dozententätigkeit, Lesereisen und Stipendien die Kriterien für den literarischen Erfolg sind.
    "Nehmt eure Texte nicht so wichtig und das Scheitern nicht so wichtig und den Erfolg nicht so wichtig, und was soll das überhaupt sein, Erfolg, und nehmt vor allem den Betrieb nicht so wichtig", gab die Prosa-Lektorin Juliane Schindler dem schon ziemlich erfahrenen Nachwuchs mit auf den Weg.
    An guten Texten mangelte es beim 25. Open Mike nicht. Bunt und vielfältig präsentierten sich die Prosa-Texte, die von bitterböser oder hochkomischer Fantastik bis zur realistischen Reportage-Literatur reichten. Da ging es um gebärende Männer, virtuelle Realitätsverschiebung, um die Folgen der Selbstvervielfachung, aber auch um in der U-Bahn mitgehörte Telefonate über das letzte Date oder die Techniken des Bettelns. Am Ende überzeugte der Berliner Ralph Tharayil die Jury mit einem: "Text, der seinen Lektoren noch Arbeit machen wird. Überzeugend aber die Sicherheit, mit der Idylle und Gewalt, Zivilisation und Natur, Osten und Westen zusammengeführt werden", sagte Jury-Mitglied Ingo Schulze.
    Beliebigkeit bei der Auswahl
    Ralph Tharayil erzählte realistisch, aber leider nicht immer ganz schlüssig von drei Geschwistern mit indischem Migrationshintergrund, die im Alpenland mit über die Fahrbahn gespannten Nylonschnüren Menschen morden:
    "Gewalt zog sich wie Fett durch Fleisch. Liebchen häufte sich Pouletcurry auf die Gabel und dachte nach. Ihre Eltern hatten einmal mehr den schmalen Grat zwischen Ost- und Westflanke olfaktorisch usurpiert. Sie kochten meistens den ganzen Tag und die Gewürze rochen streng, genau wie die Zeitungsmeldung des nächsten Tages: Kinder töten Mann. Gewalt erreicht Alpenregion. Nylonattacke schlimmer als Religionen."
    Den Publikumspreis erhielt sehr verdient die Schweizerin Baba Lussi, mit einem fast frei vorgetragenen, äußerst rhythmischen Prosa-Text über einen fremden Riesen, der plötzlich in der eigenen Wohnung sitzt. Das Fremde in und um uns, Migration und der Umgang mit dem Unbekannten schienen in einer Mehrzahl der Texte mal offen, mal zwischen den Zeilen auf.
    Der gebürtige Pole Mariusz Hoffmann wurde ausgezeichnet für einen wenig inspirierten Text über polnische Sehnsüchte nach der Auswanderung gen Deutschland. Trotz oder gerade wegen der vielen guten Texte daneben, stellen sich nach 25 Jahren Open Mike Fragen: Geht es bei einer Altersgrenze von 35 Jahren wirklich um den literarischen Nachwuchs? Und sollten die Entscheidungen der Jury nicht ausführlicher und inhaltlich nachvollziehbarer begründet werden? Wenn man einen Text zum Sieger kürt, an dem der Lektor ausdrücklich noch seine Arbeit haben wird, grenzt das jedenfalls an Beliebigkeit.