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Litfaßsäule als Segel: Der Flettner-Rotor

Technologie.- In den 1920er-Jahren sah man auf den Weltmeeren zuweilen ein Schiff, auf dem statt Mast und Segel zwei hohe Zylinder thronten. Die von Anton Flettner entworfene "Buckau" konnte selbst widrigsten Wetterbedingungen trotzen. Nun greifen Reeder das Konzept der Flettner-Rotoren wieder auf.

Von Frank Grotelüschen |
    Februar 1925. An den Landungsbrücken in Hamburg drängen sich die Massen. Stundenlang starren sie auf die Elbe, Richtung Altona. Dann brandet Jubel auf. Die Euphorie gilt dem seltsamen Schiff, das gerade einläuft: Die "Buckau" wird weder durch Segel noch durch Dampf angetrieben, sondern von zwei masthohen, lautlos rotierenden Litfaßsäulen.

    "Da brüllen wir ein dreifaches Hurra! auf die Buckau, das Erzeugnis deutschen Erfindergeistes, ein dreifaches Hurra! auf Flettner, den Erbauer, und machen unserer Erregung in dem Deutschlandlied Luft",

    notiert der Reporter der "Hamburger Nachrichten". Viele der Augenzeugen sind sich sicher: Sie haben die Zukunft des Schiffbaus vor sich. Erfunden wurde das Patent von Anton Flettner, einem überaus umtriebigen Tüftler und Ingenieur.

    "Eine technische Entdeckung aus der aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen umgesetzt als Schiffsantrieb",

    sagt Claus Wagner, pensionierter Schiffbauingenieur.

    "Er hatte zwei Röhren auf ein umgerüstetes Segelschiff gesetzt. Hat diese Röhren rotieren lassen. Und nach dem Magnus-Effekt entwickeln rotierende runde Körper, wenn sie von Wind angeströmt werden, einen Vortrieb, ähnlich wie ein Flugzeugflügel."

    Im Detail funktioniert das so: Bläst der Wind gegen den rotierenden Zylinder, wird er an der einen Zylinderseite mitgerissen, an der anderen dagegen abgebremst. Dadurch fließt die Luft auf der einen Seite deutlich schneller als auf der anderen. Die Folge:

    "Es entsteht ein Sog. Während auf der anderen Seite die Richtung des Rotors den Luftstrom ein wenig abbremst. Es entsteht ein Überdruck. Und diese beiden Kräfte genau wie beim Flugzeugflügel bewirken, dass es einen Auftrieb gibt."

    Als Resultat verspürt der rotierende Zylinder einen kräftigen Schub – etwa zehn Mal mehr als ein gleich großes Segel. Dazu muss der Zylinder allerdings laufend von einem Elektromotor in Schwung gehalten werden, sonst gibt es keinerlei Vortrieb. Flugs meldet Flettner seine Idee zum Patent an.

    Dann lässt er am Berliner Wannsee ein Spielzeugschiff zu Wasser – ausstaffiert mit einem 50 Zentimeter hohen, von einem Uhrwerk gedrehten Papierzylinder. Stolz vermerkt der Erfinder:

    "Das Schiffchen setzte sich flott in Bewegung, ich fand meine theoretischen Behauptungen bestätigt."

    Dann rüstet Flettner ein altes Segelschiff auf Rotoren um: Die Buckau erhält zwei 16 Meter hohe und knapp drei Meter dicke Stahlblechzylinder, in Drehung versetzt von Elektromotoren.

    Ende 1924 folgt die Jungfernfahrt. Bei idealem Wind stoppt der Kapitän den Hauptmotor und setzt die Zylinder in Bewegung. Sofort nimmt die Buckau Fahrt auf und kommt auf sieben Knoten – mehr als vorher mit den Segeln.

    "Eine kleine Sensation war das. Auf der offiziellen Probefahrt in Kiel war das Schiff umlagert von Ausflugsdampfern und Journalisten. Und das, was man dort sah, war so beeindruckend – insofern war Flettner von einem Tag auf den anderen ein weltberühmter Mann. Er konnte sich nicht retten vor Vortragsterminen. Als Folge davon fiel auch ein unehelicher Sohn ab in Berlin. Er war wirklich schwer beschäftigt, muss man sagen."

    Ein zweites Schiff wird mit Rotoren ausgerüstet: Die "Barbara" soll die Wirtschaftlichkeit des Flettner-Rotors beweisen und transportiert ab 1926 Stückgut auf dem Mittelmeer. Doch schon ein paar Jahre später, während der Weltwirtschaftskrise, werden die Rotoren wieder demontiert. Claus Wagner:

    "Technisch hat das alles ganz vorzüglich funktioniert. Es war eigentlich der Beginn des Öl-Zeitalters, der es nicht erlaubt hat, dass diese Schiffe Erfolg gehabt haben. Die Dieselmotoren eroberten sich einen festen Platz in der Schifffahrt. Der Ölpreis hat bewirkt, dass es dafür damals keine Zukunft gab."

    Für Jahrzehnte ist Erdöl so billig, dass man in der Schifffahrt keinen Gedanken mehr die Nutzung des Windes verschwendet. Nun aber, angesichts von Klimawandel und knapper werdender Ölressourcen, greift man Flettners Patent wieder auf. So hat die Uni Flensburg einen kleinen Katamaran gebaut. Statt eines Segels hat er einen Rotor an Bord.

    "Ich mach jetzt den Elektro-Außenborder aus und den Rotor an. Jetzt haben wir gerade Wind. Es plätschert schon, und das Boot beschleunigt sofort."

    Soll das Boot langsamer fahren, lässt Skipper Ole Hillenbrand die Säule einfach langsamer rotieren. Wechselt er die Drehrichtung, fährt das Boot sogar rückwärts.

    "Dieses Segeln ist sehr entspannt. Das ermöglicht ganz entspannte Wendemanöver."

    Projektleiter Lutz Fiesser jedenfalls glaubt, dass der Flettner-Rotor nun eine Renaissance erlebt angesichts steigender Ölpreise.

    "Man hat ein Segelschiff mit optimal einfacher Bedienung. Es kann eine einzelne Person beliebige Segelflächen handhaben. Das ist sehr, sehr einfach. Wenn der Rotor steht, ist der Windwiderstand außerordentlich klein, sodass man auch bei Sturm keinerlei Angst haben muss."

    Und tatsächlich: Zurzeit erprobt der Windenergiehersteller Enercon sein "E-Ship 1" – ein 130 Meter langes, mit vier Rotoren ausgestattetes Schiff, das große und wuchtige Windrad-Komponenten transportieren soll. Die Rotoren fungieren als Zusatzantrieb zu einem Dieselmotor. Bei günstigem Wind quer zur Fahrtrichtung können die Zylinder kräftig schieben. Der Motor läuft mit halber Kraft und soll bis zu 40 Prozent Diesel sparen. Bei Flaute oder ungünstigem Wind allerdings bringen die Rotoren nichts. Dann muss der Diesel alleine den Frachter antreiben.

    Weiterführende Links zum Thema:

    Historie

    Katamaran Flensburg

    E-Ship 1

    Zur Beitragsreihe "Rückblicke auf die Zukunft"