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Live Coding
Näher an der Musik

Seit 2002 gibt es das Live Coding: in Echtzeit programmieren und so unter anderem Musik oder Visuals erzeugen. Auf der Bühne werden die Befehle der Künstler oft auf einer Projektion für alle sichtbar gemacht. Der Engländer Alex McLean hat vor drei Jahren mit einem Freund das Live Coding für den Club erfunden: den sogenannten "Algorave".

Alex McLean im Corsogespräch mit Dennis Kastrup |
    Die Gesichter der Mitglieder der Band "Benoît and the Mandelbrots" bunt ausgeleuchtet vor schwarzem Hintergrund
    Die Live-Coding-Band "Benoît and the Mandelbrots" (Daniel Bollinger)
    Dennis Kastrup: Wie ging es bei Ihnen eigentlich los mit der Computermusik?
    Alex McLean: Die Verbindung von Programmieren und Musik begann bei mir zum ersten Mal zu meiner Studienzeit. Besonders intensiv wurde es, als ich fertig war und meinen Freund Adrian kennen gelernt habe. Er hat vorher schon Computerprogramme geschrieben, die Musik machen konnten. Wir haben dann beschlossen, die Band "Slub" zu gründen. Das war ungefähr im Jahr 2000.
    Dennis Kastrup: "Computerprogramme, die Musik machen" ist ja schon ein eine Spezialisierung. Was ist dann der nächste Schritt zum Live Coding?
    Alex McLean: Als wir Computermusik gemacht haben, erschien es uns wie ein ganz natürlicher Schritt, das auch mit Leuten zu teilen. Und zu der Zeit haben die Leute Computermusik auch nicht unbedingt als kreativ angesehen. Ich denke, das ändert sich erst jetzt langsam. Aber durch das Hinzufügen des Programmierens live auf der Bühne, teilen wir unseren Produktionsprozess. Die Leute können wirklich sehen, wie die Musik entsteht.
    Wenn man an computergenerierte Musik denkt, blendet man die Person aus, die das Programm geschrieben hat. Man denkt dann vielleicht, dass die Computer selber kreativ sind. Das kann schon verwirrend sein. Für mich geht es beim Live Coding darum, den Menschen auf die Bühne zu bringen, der die Musik macht. Man kann also beobachten, wie dann der Code geschrieben wird, der die musikalischen Muster beschreibt. Wir projektieren den Code eigentlich fast immer auch auf Leinwänden, so dass das Publikum den Code sehen kann. Es kann erkennen, wie einfach es sein kann, eine Verbindung zwischen den Codes und der Musik herzustellen.
    Dennis Kastrup: Können Sie beschreiben, was genau in dem Programm passiert? Was genau machen Sie auf der Bühne? Schreiben Sie zum Beispiel: "Bitte Drum´n Bass spielen" und das kommt dann?
    Alex McLean: Ich vergleiche meinen Code immer mit einem Strickmuster für Pullover: Man schreibt nicht jeden Nadelstich auf ein Blatt Papier. Das wäre sehr lang. Man schreibt sich wiederholende Strukturen auf. Wenn der Pullover zum Beispiel für ein 7-jähriges Kind ist, dann sind das andere Bedingungen. Die werden in Codes auch mit "if" beschrieben, also "wenn-dann". Es ist ein bisschen wie Weben, weil man unterschiedliche Muster hat. Bei einer Krümmung zum Beispiel muss man nach unten gehen und den Faden quer ziehen. Diese beiden arbeiten zusammen. Die Struktur des Gewebes wird dadurch geformt, wie die Bewegungen hoch und runter gehen. Wir reden viel über Muster bei Codes. Wenn es um Musik geht, werden diese Muster sehr deutlich. Dieses Strickmuster ist selber eine Art Code, so wie der von mir geschriebene Code zum Musikmachen ein Muster ist. Wenn ich also tippe, sage ich nicht: Spiel "Drum´n Bass"! Vielleicht sage ich aber: "Spiele eine Bass Drum und Snare und vielleicht ein paar seltsame High Hats". Dann füge ich eine Art Umwandlungsbefehl dazu, der es jedes Mal mit den anderen Sounds kompensiert. Vielleicht wird das dann ein wenig komprimiert. Und dann hört man einen Breakbeat anrauschen. Es ist also eine Art Aufeinanderschichten von verschiedenen Umwandlungen. Der Code kann das sehr gut!
    Dennis Kastrup: Was genau ist denn jetzt der Vorteil dieser Musik?
    Alex McLean: Der Vorteil des Live Coding ist schwierig, weil es auch Nachteile hat. Wenn man ein Schlagzeug schlägt, dann bekommt man sofort eine Antwort als Klang. Das passiert beim Code nicht. Ich mache aber mit dieser leicht lächerlichen Art und Weise des Musikmachens weiter, weil es einen wirklich über den Sound nachdenken lässt, den man kreiert. Es ist eine Art Ganzkörpererfahrung, weil man die Musik fühlt, aber gleichzeitig sehr auf die Struktur fokussiert ist. Wenn man zum Beispiel so etwas wie einen Algorave spielt und die Leute zu der Musik tanzen, dann hat man eine seltsame Erfahrung. Man ist in einem sehr konzentrierten und kreativen Fluss, wenn man mit dieser sehr abstrakten Sprache arbeitet. Die Leute reagieren aber sofort darauf. Das ist etwas, das ich sehr mag: Ich bin in der Welt der abstrakten Sprache, aber gleichzeitig in der Welt physischen Reaktion.
    Dennis Kastrup: Glauben Sie, dass es eher etwas für so genannte "Geeks" ist? Es ist ja eher schwierig, unwissenden Menschen das zu erklären.
    Alex McLean: Die ersten zehn Jahre hat die Szene es "Live Coding Performances" genannt. Als wir dann mit dem Namen "Algorave" um die Ecke kamen, musste man es vielleicht nicht mehr so erklären. Die Leute haben gemerkt, dass wir es nicht wirklich so ernst nehmen. Wir wollen einfach nur Spaß haben. Wenn man jemanden beim Gitarrenspielen zusieht, muss man nicht unbedingt wissen, wie die Mechanik oder die Akkorde funktionieren. Man genießt einfach die Musik. Man sieht die Leute, wie sie das machen. Das gilt wohl auch für Live Coding. Man muss das nicht verstehen.
    Dennis Kastrup: Aber bei der Gitarre kann man einen Ton einfach so erzeugen. Live Coding muss man erst verstehen.
    Alex McLean: Ja, vielleicht versteht man aber selbst als Programmierer nicht wirklich alles, was passiert. Wenn ich auf der Bühne livecode, wird mein Code sehr schnell so komplex, dass ich nicht wirklich die direkte Verbindung zwischen Code und Sound verstehe. Ich entdecke das einfach, indem ich es verändere. Es geht also nicht wirklich darum, den Code ganz zu verstehen. Es geht mehr darum, etwas zu genießen, hören und sehen, das sich entwickelt.
    Dennis Kastrup: Wie funktionieren die dazugehörigen Visuals?
    Alex McLean: Es gibt ein paar sehr gute VJs, also visuelle DJs, die Codes benutzen. Das funktioniert auf dieselbe Art und Weise wie ein Livecoder Musik macht. Anstatt Sound, sind es aber Pixel auf der Leinwand. Das sind so Leute wie "Hallo Catfood", "Rituals" und "Chester I/O". Es gibt eine ganze Bandbreite von Sprachen dafür, wie zum Beispiel Fluxus. Wenn man zu einem Algorave geht, sieht man einige Livecoder, die Musik machen, andere eben Visuals. Manchmal bilden sie auch ein Team und proben zusammen. Daraus entsteht dann vielleicht ein Kollektiv. Live Coding ermöglicht also viele verschiedene Auftrittsformen.
    Dennis Kastrup: Sie haben gerade die Programmiersprache "Fluxus" erwähnt. Ich habe noch "SuperCollider" und andere online gefunden. Es gibt unterschiedliche Umgebungen für diese Sprachen. Können Sie diese zusammenfassen?
    Alex McLean: Die Live Coding Gemeinschaft legt großen Wert auf freie Software, Open Source. Es wird also viel geteilt. Man lädt sie sich kostenlos herunter. Wenn man sich mit dem Coding dann gut auskennt, kann man sie verändern oder in seine eigene Sprache umwandeln. Da herrscht also ein großer Austausch. Viele dieser Leute benutzen für die Live Coding Musik die Sprache "SuperCollider". Deshalb hat man eine Art gemeinsame Grundsprache unter all den anderen sehr unterschiedlichen liegen. Aber das Wichtigste ist wohl, dass es Open Source ist, so dass es veränderbar und teilbar ist. Das geht also in alle verschiedenen Richtungen.
    Dennis Kastrup: Ist es auch ein politisches Statement, also dieser freie Zugang und Gedanke des Teilens?
    Alex McLean: Den Code zu zeigen ist teilweise politisch motiviert. Man zeigt ihn menschlich, handgemacht und für den Moment. Es geht auch darum, den Code als Teil eines Prozesses zu zeigen, der nicht von jemanden designt wird, sondern von jemanden, der den Code als ungeformtes Material sieht. Damit meine ich wohl, dass ich beim Live Coding nie weiß, was passiert. Ich komme also immer zu Auftritten und reagiere auf die Stimmung und dem, was ich selber mache. Ich verändere etwas als Reaktion auf das, was ich vorher gemacht habe. Da steckt eben keine größere Idee dahinter. Ich finde das sehr spannend. Ich denke auch, dass es die Möglichkeiten von Veränderung öffnet: Man bricht aus den Regeln aus. Das ist wohl die politische Botschaft: Regeln in Live Coding drehen sich ausschließlich um Regeln, die verändert werden sollten, während man ihnen folgt. Es geht um das Ausbrechen von Zwängen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.