Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine arbeitet die Bundesregierung daran, die deutsche Wirtschaft unabhängig von russischem Gas und Öl zu machen. Im Eiltempo hat sie den Bau von Hafenanlagen, an denen LNG (liquefied natural gas), also flüssiges Erdgas, entladen werden kann, vorangetrieben. Das soll vorwiegend aus den USA, Nord- und Westafrika und dem Nahen Osten kommen.
Katar gab am 29. November 2022 bekannt, dass ab 2026 jährlich mindestens zwei Millionen Tonnen Flüssiggas per Schiff geliefert werden. Flüssiggas kam bislang nur über Terminals in Belgien, Frankreich und den Niederlanden in Deutschland an.
Am 17. Dezember 2022 wurde das erste deutsche schwimmende Importterminal für Flüssigerdgas (LNG) in Anwesenheit von Spitzenpolitikern der Bundesregierung in Wilhelmshaven eröffnet. Mittlerweile sind weitere Standorte hinzugekommen: Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern ist bereits eröffnet, im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel steht das nächste schwimmende Importterminal für Flüssiggas kurz vor der Inbetriebnahme. Eine weitere und somit bundesweit vierte Anlage soll im niedersächsischen Stade im Winter 2023/2024 den Betrieb aufnehmen. Der Energiekonzern RWE plant zudem ein Terminal vor der Küste von Rügen, das sogar das größte Deutschlands werden könnte. Doch der Protest nimmt zu. Am 20. April 2022 waren Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck auf Rügen, um mit Verbänden und Gemeindevertretern zu sprechen.
Was ist LNG?
Flüssig-Erdgas oder LNG ist Gas, das durch Herunterkühlen auf minus 162 Grad Celsius in einen flüssigen Zustand versetzt wird. Dieser Prozess verbraucht viel Energie: Mindestens zehn Prozent des Brennwertes des verflüssigten Gases werden dafür verbraucht. Das Gas ist dann deutlich verdichtet und kann in großen Mengen in Spezialschiffen transportiert werden.
Am Zielort kann es entweder in der flüssigen Form als Rohstoff oder Schiffstreibstoff verwendet werden. Oder es wird wieder in den gasförmigen Zustand versetzt, dann kann es in Pipelines eingespeist werden. Dieser Prozess verbraucht allerdings erneut Energie – und es sind spezielle Terminals nötig, die es in Deutschland zuvor nicht gab.
Wichtig bei der Bewertung der Ökobilanz ist auch die Herkunft des Gases. Relativ gut schneide flüssiges Erdgas aus Katar ab, sagt Christian Böttcher vom Umweltbundesamt. Es wird konventionell gewonnen - also ohne Fracking. Beim Fracking wird das Gas mit Hilfe von Chemikalien unter hohem Druck aus dem Gestein gelöst, und das lässt die CO2-Emissionen noch einmal deutlich steigen. Bei Fracking-Gas aus den USA liegen sie dadurch um etwa 60 Prozent höher als bei russischem Erdgas oder bei Flüssigerdgas aus Katar. Besonders schlecht schneidet Gas aus Australien in dieser Beziehung ab.
Wie kommt das Flüssiggas nach Deutschland?
Im ersten Schritt setzt die Politik auf schwimmende LNG-Terminals. Denn diese können schnell errichtet und in Betrieb genommen werden. Die Bundesregierung will dafür in den kommenden zehn Jahren bis zu drei Milliarden Euro ausgeben.
Am 17. Dezember 2022 wurde das erste deutsche schwimmende Importterminal für Flüssigerdgas (LNG) in Wilhelmshaven eröffnet. Zwei Tage zuvor hatte bereits die staatlich gecharterte "Höegh Esperanza" als erster LNG-Tanker angelegt. Auf dem Tanker wird der geladene flüssige Brennstoff in Gas umgewandelt, um es dann ins Leitungsnetz einzuspeisen. Die "Höegh Esperanza" war in Spanien mit rund 165.000 Kubikmetern LNG beladen worden, wie Betreiber Uniper mitteilte. Das sei genug, um rund 50.000 bis 80.000 Haushalte für ein Jahr zu versorgen.
Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) will noch ein zweites Terminal in der Stadt am Jadebusen ansiedeln: Wilhelmshaven II soll Ende 2023 starten, vorerst ebenfalls als Schwimmterminal.
Im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel steht das nächste schwimmende Importterminal für Flüssiggas kurz vor der Inbetriebnahme. Das dazugehörige Spezialschiff legte am 20.01.2023 im Elbehafen an.
Ein privatwirtschaftliches Projekt hat in Lubmin seit dem 14. Januar 2023 offiziell den Betrieb aufgenommen. Vom Antrag bis zur Fertigstellung hatte es ungefähr ein halbes Jahr gedauert. Das Regasifizierungsschiff "Neptune" im Lubminer Hafen arbeitet seitdem im Dauerbetrieb unter Volllast. Bis zu 5,2 Milliarden Kubikmeter sollen pro Jahr ins deutsche Energienetz eingespeist werden – das macht etwa fünf Prozent des Energiebedarfs aus. Dennoch ist Lubmin nur als Übergangslösung geplant, erklärte Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Schon in „naher Zukunft“ solle der Standort „komplett aus erneuerbaren Energien viele Teile von Deutschland und Europa“ versorgen. Die Infrastruktur dafür ist schon da - in der Ostseehafenstadt kommen die deutsch-russischen Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 an, die außer Betrieb sind.
Neben Lubmin ist in Mecklenburg-Vorpommern vor der Insel Rügen ein weiteres LNG-Terminal geplant, das der Energiekonzern RWE etwa vier bis sechs Kilometer vor der Südostküste errichten will. Es soll aus bis zu vier Regasifizierungsschiffen bestehen und über eine 38 Kilometer lange Gasleitung mit Lubmin verbunden werden.
In Stade hatte ein privates Konsortium bereits vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine angefangen, eine stationäre Anlage in der Nähe des Chemieparks mit dem US-Konzern Dow vorzubereiten. Ende 2023 soll dort aber erst einmal eine schwimmende Plattform starten. Jährlich sollen fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas umgeschlagen werden. Das entspreche sechs Prozent des deutschen Gasverbrauchs, teilte die niedersächsische Hafengesellschaft mit. Die schwimmende Anlage soll so lange genutzt werden, bis die stationäre mit einer höheren Kapazität drei Jahre später ihre Arbeit aufnimmt.
Neben Stade sind auch weitere stationäre LNG-Terminals in Planung. So konkretisieren sich Pläne des Landes Niedersachsen für den Bau eines festen Importterminals in Wilhelmshaven. Bis diese betriebsfertig sind, dürften allerdings noch Jahre vergehen.
Wie wurden die rechtlichen Grundlagen geschaffen?
Die Bundesregierung hatte im Jahr 2022 diverse regulative Hürden abgebaut. Mit den Stimmen der Ampel-Koalition beschloss der Bundestag im Mai 2022 ein Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases. Konkret sollen Genehmigungsbehörden vorübergehend bestimmte Anforderungen, etwa bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, unter speziellen Bedingungen aussetzen dürfen. Das Gesetz gilt für schwimmende und landgebundene LNG-Importterminals. Für beide Varianten ist spezielle Infrastruktur nötig, sie müssen etwa an das Erdgasleitungsnetz angeschlossen werden, zum Teil sind auch Anpassungen von Hafenanlagen notwendig.
Habeck verteidigte im Deutschlandfunk vor der Eröffnung die Nutzung von Flüssigerdgas. Man handele in einer Lage der wirtschaftlichen Not, in der die Gasversorgung sichergestellt werden müsse, sagte Habeck im Deutschlandfunk. Eine Wirtschaft, die klimaneutral werden wolle, müsse auch investieren können. Zudem, so Habeck, könnten und sollen die mobilen Terminals dann wieder entfernt werden, wenn sie nicht mehr benötigt würden.
Wie viel Unabhängigkeit bringt LNG-Infrastruktur?
Deutschland hat in den vergangenen Jahren zwischen 80 und 90 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr verbraucht, etwa die Hälfte davon kam bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine aus Russland. Im Mai 2022 lag der Anteil russischer Importe bei rund 35 Prozent, im August 2022 war er nach Zahlen von Eurostat auf zehn Prozent gefallen, bis Russland die Gaslieferungen an Deutschland Ende August 2022 komplett einstellte.
Die schwimmenden Importterminals verfügen jeweils über eine Kapazität von neun bis zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Deutschland könnte die russischen Lieferungen also mit wenigen Terminal kompensieren. Vorausgesetzt, es wird auch genug LNG über Schiffe angeliefert.
Um Lieferungen zu sichern, hat Wirtschaftsminister Habeck im März 2022 eine Energiepartnerschaft mit Katar abgeschlossen. Das kleine Land am persischen Golf ist einer der größten Exporteure von LNG weltweit. Auch aus den USA könnte LNG geliefert werden, dort wird Erdgas allerdings auch mit dem Fracking-Verfahren gefördert, das für die Umwelt verheerende Folgen hat. Auch mit LNG-Terminals wäre Deutschland also weiter auf Lieferungen angewiesen und doch weniger abhängig. Denn für flüssiges Gas gibt es einen großen Weltmarkt und viele exportierende Länder.
Bundeskanzler Olaf Scholz rechnet damit, dass die Gasversorgung Deutschlands auch im Winter 2023/24 gesichert ist. Der Kanzler kündigte an, den Bau neuer LNG-Terminals auch 2023 vorantreiben zu wollen. Und er hofft auf weitere Lieferverträge.
Statt auf eigene Terminals zu setzen, könnte Deutschland stärker auf die Terminals seiner Nachbarländer setzen. In der Europäischen Union gibt es bereits weit über 30 LNG-Terminals, und diese Anlagen waren im März 2022 nur zu 40 Prozent ausgelastet. Über das gut ausgebaute europäische Gasnetz könnte dann das bereits regasifizierte Erdgas nach Deutschland strömen.
Was sagen Klima- und Umweltschützer zum Ausbau der LNG-Infrastruktur?
Seit Beginn der Debatte üben Umweltverbände Kritik an den Plänen zum Ausbau der LNG-Infrastruktur. Sascha Müller-Kraenner, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, sprach Mitte April von der Planung von Überkapazitäten. "Man muss sich irgendwann mal fragen, wann ist denn da genug?" Die Kapazität aller geplanten LNG-Terminals liege über den bisherigen Russland-Importen. "Eigentlich wollen wir doch auch Gas sparen, Energie sparen - das sind eindeutig Überkapazitäten." Müller-Kraenner wirft der Gasbranche vor, sich einen großen Teil des Kuchens bei der Energieversorgung sichern zu wollen. Die Unternehmen betrieben Lobbyarbeit, um in Konkurrenz zu den erneuerbaren Energien zu treten, meinte er.
Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), kritisiert, dass die Genehmigungsverfahren für LNG-Terminals verkürzt wurden: "Wir bewegen uns in Nordsee und Wattenmeer in extrem sensiblen Ökosystemen und im Weltnaturerbe. Statt in großer Eile über potenzielle Schäden für die Umwelt hinwegzugehen, sollten Umweltrisiken bei der Planung berücksichtigt werden."
Gegen das Terminal in Lubmin legte die Umwelthilfe Ende Februar 2023 nach eigenen Angaben Widerspruch beim zuständigen Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern ein. Anwohner dort klagen unter anderem über eine 24-stündige Lärmbelästigung. Proteste von Bürgern gab es auch gegen das vor Rügen geplante Terminal. Die Umwelthilfe denke auch hier über eine Klage nach, so Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.
Einspruch hat die Umwelthilfe Anfang Januar 2023 auch gegen die Betriebserlaubnis für das LNG-Terminal in Wilhelmshaven eingelegt, die Naturschutzorganisationen Nabu und BUND folgten dem Schritt. Die Umweltverbände beklagen dort auch, dass mit Bioziden behandelte Abwässer ins Meer geleitet werden. Sie befürchten Schäden für das Wattenmeer. Laut Landesumweltbehörde werden festgelegte Grenzwerte aber eingehalten.
Welche Rolle spielt Wasserstoff zukünftig beim Thema LNG?
Ein Argument der Befürworter der LNG-Infrastrukur ist, dass diese zukünftig auch für verflüssigte Bio-Gase, beispielsweise aus landwirtschaftlichen Überresten, oder auch für Wasserstoff genutzt werden könnte. Diese sogenannten Grünen Gase haben teilweise die gleiche Zusammensetzung wie fossiles Erdgas und könnten von den neuen Anlagen ebenso leicht verarbeitet werden. Für einen Import von Wasserstoff müsste das Terminal zwar umgerüstet werden, technisch ist das aber möglich.
Ob die LNG-Terminals langfristig zur Nutzung fossiler Energien verwendet werden oder beim Übergang zum Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter helfen, hängt stark davon ab, wie sich der Markt für "Grüne Gase" entwickelt.
Quellen: Jörn Schaar, Andrea Rehmsmeier, Georg Ehring, Günter Hetzke, Frank Grotelüschen, dpa, Reuters, AFP, NDR