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Lob für Annäherung beim Bleiberecht

Die Große Koalition ist sich weitgehend einig über Eckpunkte eines Bleiberechts für langjährig geduldete Ausländer. Demnach soll es eine bundesgesetzliche Regelung für ein Bleiberecht und den Zugang zum Arbeitsmarkt geben. Migrationsforscher Michael Bommes begrüßte den sich abzeichnenden Kompromiss, der das "Hochfahren eines bürokratischen Apparates" vermeide.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Die Situation von Ausländern war heute auch Thema eines Spitzengespräches in der Großen Koalition. Innenminister Schäuble (CDU) und Arbeitsminister Müntefering (SPD) wollten einen Kompromiss zum Thema Bleiberecht erzielen. Dabei geht es nicht um illegal in Deutschland lebende Ausländer, sondern um Menschen, die zum Teil vor Jahren nach Deutschland kamen und seitdem hier geduldet werden, dies jedoch zum Beispiel ohne Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben und ohne langfristige Perspektive. Dies soll anders werden.

    Am Telefon ist nun Professor Michael Bommes. Er ist Migrationsforscher an der Universität Osnabrück und gleichzeitig Vorsitzender des Rates für Migration. Ich grüße Sie, Herr Professor Bommes!

    Michael Bommes: Guten Tag!

    Remme: Herr Bommes, es geht - das haben wir gerade gehört - um knapp 200.000 Menschen in Deutschland. Wie homogen ist diese Gruppe?

    Bommes: Die unterscheidet sich natürlich, weil sie aus unterschiedlichen Herkunftsregionen kommt, aber man muss sagen, dass eben doch ein erheblicher Teil Personen sind, die aus den, wenn man so will, ex-jugoslawischen Bürgerkriegskonflikten resultieren: also einerseits aus Bosnien-Herzegowina noch, aber das ist die kleinere Gruppe, dann Flüchtlinge aus dem Kosovo und dann kommen noch dazu Iraker und Kurden und Iraner in unterschiedlichen Größenordnungen.

    Remme: Und wie lange sind die schon hier?

    Bommes: Das unterscheidet sich, aber ein Teil von denen ist schon länger als zehn, zwölf Jahre hier. Man muss schätzen, dass etwa zwei Drittel auf jeden Fall unter die jetzt wohl geplante Bleiberechtsregelung fallen werden.

    Remme: Das Bleiberecht war ja über Jahre ein Zankapfel zwischen CDU und SPD. Warum kommt ausgerechnet jetzt Bewegung in die Debatte?

    Bommes: Wissen Sie, eigentlich ist das so etwas wie eine Nachbesserung dessen, was im Zuwanderungsgesetz ohnehin angelegt ist. Denn das Zuwanderungsgesetz legt wenn auch etwas weich fest, dass man auf Duldungen eigentlich nur noch für bestimmte Zeit, nämlich längstens anderthalb Jahre zurückgreifen wollte. Das legt ja auch nahe, dass man eben davon ausgeht, dass danach es nicht aussichtsreich ist, dass die Menschen das Land wieder verlassen werden, weil da eben so etwas wie soziale Integrationsprozesse einsetzen und andererseits die Aussichten, sie auch in die Länder, wo sie möglicherweise herkommen, wieder hinschieben zu können, gering sind. Nun hat man aber in dem gleichen Zusammenhang keine Regelung getroffen, die nun mit diesen ganzen Altfällen, wenn Sie so wollen, der 90er Jahre umginge. Das, was jetzt stattfindet, ist eigentlich so etwas wie eine Regelung zu treffen, bei der man sagt, ob wir das gewollt haben oder nicht, da ist ein mehr oder weniger irreversibler Prozess eingetreten. Und nun muss man für diese Menschen eine Lösung finden auch im Eigeninteresse, denn langfristig die vom Arbeitsmarkt fern zu halten und damit eben von den Möglichkeiten, ihr Leben selbstständig zu führen, führt auch zu hohen sozialen Kosten.

    Remme: Sie haben diese zwangsläufigen Prozesse angesprochen. Wie integriert ist denn diese Gruppe?

    Bommes: Das unterscheidet sich, aber das sehen Sie ja schon an den Unterschieden, die da gemacht werden. Da, wo es sich um Familien handelt, mag teilweise der Integrationsprozess für Erwachsene auch deshalb, weil sie natürlich unter dem Duldungsstatus nur eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht sehr weit fortgeschritten sein. Andererseits: Ihre Kinder gehen zum Teil sechs, acht und zehn Jahre in die Schule. Ich selbst kenne einen Fall im Nordwesten Deutschlands, wo entsprechend die Kinder jetzt anfangen zu studieren und trotzdem noch nicht geregelt ist, auf welcher Grundlage sie das eigentlich tun können. Die jetzt kommende Bleiberechtsregelung wird solche Fälle dann auch wohl, wenn das stimmt, was man jetzt zuletzt in den Nachrichten hören konnte, dann auch lösen.

    Remme: Nun gab es vor dem Kompromiss wenigstens zwei Auffassungen mit Blick auf eine Lösung. Wer bleibt, bekommt Zugang zum Arbeitsmarkt, so lautet die eine und die andere: Nur wer Arbeit hat, der darf auch bleiben. Haben beide Positionen ihre Berechtigung?

    Bommes: Ich würde sagen, die Position, wer arbeitet, darf auch bleiben ist eine, die man verstehen kann, die aber eigentlich wenig aussichtsreich ist, denn man muss sich ja klar machen: Auch bei den Menschen, die man jetzt in einem Duldungsstatus belassen würde, wenn sie nicht arbeiten, kann man ja nicht davon ausgehen, dass man sie anschließend einfach abschieben kann, denn die Möglichkeit, sie los zu werden, in Anführungszeichen, ist ja nur sehr gering. Deswegen sind sie ja noch hier. Sie also im Duldungsstatus zu belassen und auf dieser Grundlage auch nur eingeschränkt den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen, führt genau zu der Situation, dass sie keine Arbeit haben in vielen Fällen und damit natürlich auch die Voraussetzungen nicht erfüllen. Umgekehrt wird gewissermaßen ein Schuh daraus: ein Bleiberecht eröffnen, damit den Zugang zum Arbeitsmarkt und dann die betreffenden Personen - im Übrigen wie alle anderen, die arbeitslos sind, auch - mehr oder weniger stark zu motivieren, nun auch in den Arbeitsmarkt tatsächlich einzutreten.

    Remme: Wir geben euch Zugang zum Arbeitsmarkt, das klingt zunächst einmal gut. Wie realistisch sind die Chancen, dass diese Menschen auch Arbeit bekommen?

    Bommes: Die sind teilweise gar nicht so schlecht, weil wir es auch hier mit Flüchtlingsgruppen zu tun haben, wo die Qualifikationen sehr unterschiedlich sind. Da sind ja teilweise auch sehr hoch qualifizierte Personen darunter. Darüber hinaus müssen Sie sehen, dass diese Menschen häufig eine hohe Bereitschaft haben Arbeiten aufzunehmen, mobil sind und auch vielfach innerhalb der Bundesrepublik die Bereitschaft haben, zu den Orten zu gehen, wo dann tatsächlich auch die Arbeit ist. Ich würde sagen, mit dieser Regelung tritt möglicherweise das ein, was von bestimmten Kreisen halt befürchtet wird, dass es ein Folgeproblem sein könnte, nämlich die Entlastung der Sozialkassen, da diese Personen bislang auch Leistungen beziehen, wenn auch auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes.

    Remme: Der Kompromiss wurde eben schon skizziert. Es geht um Fristen. Alleinstehende, die ein Bleiberecht beantragen wollen, sollen mindestens seit acht Jahren hier leben, Familien mit Kindern sechs Jahre. Halten Sie diese Fristen für vernünftig?

    Bommes: Sie haben es ja schon gesagt. Das ist das typische Ergebnis eines Kompromisses. Das ist nicht ganz einzusehen, das mit den acht und den sechs Jahren, aber dass auf jeden Fall bei den sechs Jahren insbesondere mit Blick auf die Kinder dafür gesorgt wird, deren Situation zu stabilisieren, das muss man begrüßen. Insgesamt würde ich sagen, wenn es so kommt, wie man es zuletzt jetzt gehört hat, dann kann man eigentlich nach dem Einstieg in die Diskussion mit dem, was jetzt rausgekommen ist, aus meiner Perspektive ganz zufrieden sein, denn was man sich damit auch erspart, ist das Hochfahren eines bürokratischen Apparates, der das nun hätte alles überprüfen müssen, ob die Leute arbeiten, und sie nach zwei Jahren wieder kommen lassen, was da so an Vorschlägen zu hören war. So wie es jetzt klingt - man muss ja noch vorsichtig sein -, handelt man sich damit nicht eine Reihe von bürokratischen Folgeprozessen ein, die ja nur viel Geld kosten und im Hinblick auf das, was man davon erhofft, nämlich Migrationskontrolle, wenig erbringen.

    Remme: Aber Herr Bommes, was passiert denn mit der Gruppe von Menschen, die knapp unterhalb dieser Frist liegen, also auch schon einige Jahre in Deutschland sind?

    Bommes: Na ja, die werden, wenn ich das richtig verstehe, wenn sie vorher nicht ausreisen beziehungsweise nicht zur Ausreise gebracht werden können, nach sechs Jahren beziehungsweise acht Jahren in die gleiche Situation kommen und dann ein entsprechendes Bleiberecht beantragen können. Es ist ja keine Regelung, die einmal und ein für alle Mal getroffen werden soll.

    Remme: Nun gibt es in Deutschland, vielleicht abschließend, natürlich auch Ausländer - wir haben es gerade in dem Vorbericht für die BKA-Tagung gehört – auch Ausländer ohne Duldung, also die illegal Zugewanderten. Gibt es überhaupt Überlegungen für eine Perspektive dieser Gruppe?

    Bommes: Da muss man sagen es gibt in Deutschland ganz offensichtlich keine Absicht, Legalisierungen vorzunehmen, wie man sie aus den südeuropäischen Ländern, also Italien oder Spanien kennt. Duldungen sind ja zu unterscheiden. Diese Personen sind alle in Verfahren drin. Illegale Migranten, da weiß man nicht genau, wie viele das sind, und die sind auch nicht in Verfahren erfasst.

    Remme: Weiß man das nicht mal grob?

    Bommes: Das ist alles, wie Alt das mal genannt hat, mehr oder weniger intelligentes Schätzen. Das liegt in der Natur der Sache. Denn illegale Migranten wollen ja nicht gezählt werden. Entsprechend schwierig ist das auch.

    Aber wenn man mal davon ausgeht, dass es in der Bundesrepublik möglicherweise zwischen einer halben und einer ganzen Million sind, dann handelt es sich einerseits natürlich ganz stark auch um so etwas wie Pendelmigration. Die kommen, und die gehen auch wieder. Darüber hinaus muss man, wenn man das verstehen will, mag sich genau klar machen: In Italien und in Spanien wird legalisiert, weil die zum großen Teil Migranten haben, die aus den afrikanischen oder südamerikanischen Ländern kommen. In Deutschland ist es so, dass gewissermaßen die illegalen Migranten der 90er Jahre, nämlich die polnischen Migranten, durch die EU-Erweiterung quasi automatisch legalisiert werden. Das dürfen Sie für die Migranten aus Rumänien und Bulgarien ja demnächst auch erwarten. Also, wir haben faktisch Legalisierungsprozesse, die sich aber anders abspielen. Für die Zukunft würde ich sagen: Wenn illegale Migration aus nicht zukünftigen EU-Ländern anhalten wird, dann wird man auch in Deutschland wahrscheinlich irgendwann darüber nachdenken müssen. Legalisierungen haben aber auch ihre Probleme. Sie erzeugen Erwartungen, sie erzeugen immer auch ein bisschen das Problem, was wir lösen wollen. Das darf man nicht übersehen.

    Remme: Der Migrationsforscher Michael Bommes. Er ist auch Vorsitzender des Rates für Migration. Herr Bommes, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Bommes: Schönen Tag noch.