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Lobbyismus
Politiker und Wirtschaftsvertreter auf Du und Du

Nicht nur Politiker bevölkern das Berliner Regierungsviertel. Dort haben auch jede Menge Interessenvertreter der Wirtschaft ihre Büros. Doch wer arbeitet für wen? Ein Namensregister gibt es nicht - auch weil sich vor allem Politiker von CDU und CSU massiv dagegen gewehrt haben.

Von Stefan Maas |
    Joachim Koschnicke (L), "Opel Vice President European Government Relations", bei einem Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban (R) in Ungarn 2013
    Der ehemalige Cheflobbyist von Opel, Joachim Koschnicke, ist heute Angela Merkels Wahlkampfleiter (Archivbild von 2013) (picture alliance / dpa / MTI)
    Timo Lange sitzt auf einer Bank im Café Einstein in Berlin Mitte, Unter den Linden. Im vorderen Teil des Cafés trinken Touristen ihren Kaffee, im hinteren Teil sind die meisten Tische leer. Nur in der Nähe des Fensters ist ein Ministerpräsident in ein Gespräch vertieft.
    "Das Café Einstein steht so ein bisschen wie ein Symbol für den Lobbyort Berlin-Mitte, Regierungsviertel. Das ist ein Platz, wo viele Politiker, auch Journalisten, auch Lobbyisten durchaus einkehren, und es eignet sich zum Networken, zum unverbindlichen Plausch ganz gut."
    Die eigentlich Lobbyarbeit aber findet nicht unter den Augen der Öffentlichkeit statt, sagt Timo Lange. Sondern zum Beispiel bei Treffen mit Abgeordneten und ihren Mitarbeitern. Und: auch in Ministerien. Denn dort werden Gesetzentwürfe geschrieben.
    Lange arbeitet für Lobbycontrol. Die Organisation will, dass transparent wird, welche Interessenvertreter wie und wann Einfluss nehmen auf politische Prozesse in Berlin und Brüssel. Grundsätzlich ist Interessenvertretung erst einmal nichts Schlimmes. Sie ist sogar notwendig, denn Politiker sind keine Experten für jedes Thema und müssen wissen, welche Auswirkungen hätte ein neues Gesetz zum Beispiel auf eine Branche, auf Arbeitnehmer, Verbraucher, die Umwelt. Deshalb werden Experten eingeladen oder Verbände können Stellung nehmen zu einem Gesetzesvorhaben.
    "Das ist das, was Lobbyisten auch immer gerne sagen, dass sie Dolmetscher sind zwischen der Welt der Politik und der Welt der Wirtschaft."
    Eine zu harmlose Umschreibung findet Timo Lange. Problematisch wird es nämlich dann, wenn eine Gruppe, wie zum Beispiel die Autoindustrie, ihre Interessen besser durchsetzen kann als andere, weil sie etwa mehr Geld hat für mehr Lobbyisten. Oder wenn gar nicht klar ist, wessen Interessen jemand vertritt, der als Experte oder Rechtsberater auftritt.
    Diverse Lobby-Adressen über dem Café Einstein
    Timo Lange steht vor dem Café Einstein und blickt auf eine Tafel, die zeigt, wessen Büros im Haus über dem Café liegen.
    "Einmal natürlich prominent, die Konzernrepräsentanz der BMW-Gruppe. Direkt über dem Café Einstein, im ersten Obergeschoss, meine ich, ist der Deutsche Zigarettenverband. Wir haben hier den Zentralverband Immobilienwirtschaft, den Markenverband und noch zwei Tabakkonzerne. Das ist ein recht typisches Haus für die Gegend."
    Auch immer mehr Anwaltskanzleien sind im Lobbygeschäft tätig und kennen sich mit den Einflussmöglichkeiten in der deutschen und europäischen Gesetzgebung aus. Das macht es auch so schwer zu sagen, wie viele Lobbyisten es in Berlin gibt – und für wen sie arbeiten. Die Schätzungen liegen bei 5000 bis 6000.
    Auch deshalb fordert Lobbycontrol schon lange ein Register, in das sich jeder Lobbyist eintragen und offenlegen muss, für wen er arbeitet. Vor allem Politiker von CDU und CSU haben sich dagegen massiv gewehrt. Die SPD, die vor der letzten Bundestagswahl eigentlich versprochen hatte, sich dafür stark zu machen, hat sich dem Koalitionspartner gebeugt. Mehr Transparenz gibt es also bis heute nicht. Dabei sprechen sich sogar Interessenvertreter für das Lobbyregister aus.
    "Witzigerweise kommt die Blockade eigentlich aus der Politik selbst."
    Heiko Kretschmer hat sein Büro ganz in der Nähe des Potsdamer Platzes. Er ist Gründer und Geschäftsführer einer Beratungsfirma und Ethikbeauftragter der de'ge'pol, der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung.
    "Ich glaube auch, dass gute Interessenvertretung kein Problem damit hat, transparent zu sein."
    Kretschmer: Generationenwechsel beim Thema Transparenz
    Ein guter Lobbyist müsse eben auch zeigen können, dass sich die Interessen seiner Auftraggeber nicht gegen die Allgemeinheit richteten, sondern irgendwie auch in deren Interesse seien. In der Politik sehe er beim Thema Transparenz einen Generationenwechsel, sagt Kretschmer. Die jüngeren hätten mit Offenheit kein Problem. Im Gegensatz zu einigen langjährigen Abgeordneten, die von der Intransparenz profitierten.
    Manche Politiker stellten sich auch die Frage, was sie eigentlich nach ihrer Zeit in der Politik machen könnten.
    "Da gibt es dann natürlich das Geschäftsmodell, mit dem eigenen Adressbuch später Geld zu verdienen."
    Das habe mit der Arbeit eines professionellen Interessenvertreters aber wenig zu tun, meint Kretschmer. Denn die bestehe aus mehr als nur Kontakte herzustellen.
    Eckart von Klaeden, Leiter des Bereichs Politik und Außenbeziehungen der Daimler AG und ehemaliger CDU-Staatsminister im Bundeskanzleramt, hier im Januar 2017 als Zeuge in der Sitzung des Abgas-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin.
    Eckart von Klaeden, Leiter des Bereichs Politik und Außenbeziehungen der Daimler AG, war zuvor CDU-Staatsminister im Bundeskanzleramt; hier im Januar 2017 als Zeuge in der Sitzung des Abgas-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in Berlin. (picture-alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Und doch sind die Beschäftigungschancen für Politiker in der Wirtschaft gut. Aktuell interessantestes Beispiel: die Lobbyisten der Autoindustrie, sagt Timo Lange:
    "Dann findet man da schon einige, die vorher in der Politik waren und die auch aus dem näheren Umfeld der Bundeskanzlerin stammen."
    Daimler: Eckart von Klaeden. Früher unter Merkel Staatsminister im Bundeskanzleramt. Matthias Wissman, der Vorsitzende des Verbands der Automobilindustrie: früher Bundesverkehrsminister. Den Chef-Lobbyisten von Opel hat sich CDU-Chefin Merkel als Wahlkampfleiter geholt.
    Karenzzeitregelung für Regierungsmitglieder
    Thomas Steg war unter Gerhard Schröder unter anderem stellvertretender Regierungssprecher. Heute ist er bei VW. Und auch Gerhard Schröder selbst ist aktuell wieder in den Schlagzeilen mit einem möglichen Aufsichtsratsjob beim russischen Ölgiganten Rosneft. Schröder war aber auch schon kurz nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt für verschiedene Wirtschaftsunternehmen tätig geworden.
    Um solche Konflikte zu vermeiden, wurde 2015 eine Karenzzeitregelung beschlossen. Regierungsmitglieder müssen 18 Monate warten bevor sie einen Wirtschaftsposten antreten dürfen. Timo Lange:
    "Naja, das ist ein bisschen schwer zu sagen, ob die Karenzzeitregelung schon etwas gebracht hat. Man kann lediglich feststellen, dass seitdem es dieses Gesetz gibt, es noch nicht angewandt werden musste. Es gab keinen Wechsel mehr seitdem."
    Für Beamte und Mitglieder des Bundestages gilt die Regelung übrigens nicht. Die Zeit nach der Bundestagswahl könnte also – je nach Ausgang – interessant werden.