Brigitte Baetz: Herr Leif, Sie sind Chefreporter des SWR-Fernsehens und ausgewiesener Lobbyismus-Experte. Dass Lobbyisten sich in politische Abläufe beispielsweise Gesetzesentwürfe einschalten ist nicht neu. Wieso ist das so wenig bekannt? Versagen da die Medien in ihrer Aufklärungspflicht?
Thomas Leif: Das ist so wenig bekannt, weil natürlich solche Extremfälle jetzt wie die Rede von Weil, die er abgestimmt hat mit VW, selten an die Öffentlichkeit kommen. Man muss sich Lobbyisten so vorstellen, dass sie einerseits das Gras wachsen hören, in einem parlamentarischen Betrieb oder in der Regierung, aber andererseits ungeheuer klandestin vorgehen: niemand packt aus, es gibt keine Aussteiger, es gibt keine Whistleblower. Deshalb kann so was nur öffentlich werden, wenn irgendjemand aus der Ministerial-Bürokratie da so was in die Öffentlichkeit bringt, also ein extrem abgeschottetes System. Und die Profis. Ein Manager hat mir mal gesagt: unsere Arbeit ist prinzipiell nicht öffentlichkeitsfähig. Ohne 'going public' gibt es bei uns nicht. Das ist das Problem.
Umkehrung des Lobbyismus
Baetz: Lobbyisten und Politiker – Sie haben es mal beschrieben - stehen in einer symbiotischen Beziehung. Warum ist das so?
Leif: Ja, leider, weil viele Politiker die Lobbyisten als Schattenmanagement sehen. Das sehen wir bei der VW-Affäre - bei der Automobil-Affäre, weil sie deren Wissen, deren Ressourcen nutzen wollen und sich selbst kleinmachen. Dieses Schattenmanagement hat negative Auswirkungen:
Konkret in der Abgasaffäre sehen wir eine Umkehrung im Lobbyismus. Früher wurde immer angenommen, der Lobbyismus nutzt der Wirtschaft und bringt Profit und verbessert die Abläufe. Jetzt haben wir nachweisbar wirtschaftlichen Schaden für die Ökonomie und selbst für die Industriezweige und auch für die Verbraucher. Deshalb ist jetzt die Gewichtung, wie Lobbyismus immer im positiven Licht gesehen wir, jetzt in ein Dunkelfeld gefallen.
Baetz: Politiker machen sich ja auch angreifbar, denn Lobbyisten könnten sich ja auch gegen sie wenden, mit ihrem Wissen. Müssen Lobbyisten jetzt aufpassen, vor wessen Karren sie sich anspannen lassen?
Leif: Ich denke schon. Wir dürfen Lobbyismus ja nicht so sehen, dass er immer nur auf die Politik ausgerichtet ist. Lobbyisten sprechen immer von orchestrierter Kommunikation, d.h. wenn sie ein Thema pushen wollen oder kaputt machen wollen, spielen die Medien eine große Rolle. Wir haben ja auch Seitenwechsler aus den Medien. Prominente, die zum Lobbyismus gegangen sind und von daher ist das eine Wechselbeziehung. Also, professionelle Lobbyisten denken Medienwirkung und Medieneinfluss immer mit.
Baetz: Vor allem im Wirtschaftsjournalismus scheinen mir die Lobbyisten besonders stark zu sein. Was sagt das denn wiederum über unseren Wirtschaftsjournalismus aus? Müssen die nicht viel stärker den Finger auf die Wunde legen?
Leif: In den Politikredaktionen wird etwas schärfer auf Interessenkonflikte geschaut, aber im Wirtschaftsjournalismus (das kritisiert der Herausgeber des Handelsblatts) ist man oft sehr devot und versteht sich als Schmiermittel für gute Abläufe in der Wirtschaft und da mischt sich auch eine Naivität ein und vor allen Dingen auch der Aspekt: Lobbyisten sind Topinformanten.
Wichtige Informationen, die sie aus ihrer Arbeit haben, sind ihr Kerngeschäft und gehen an Wirtschaftsredaktionen. Dort werden meiner Ansicht nach Wirtschaftsmanager nicht so kritisch gesehen wie amtierende Politiker. Und wir haben noch eine Besonderheit: Sie sehen ja selbst. Sie machen sich rar. Auch in Talkshows seien Spitzenmanager selten zu sehen. Sie müssen immer umbuhlt werden. Aus diesem Cocktail aus Naivität, Anpassung und Gewöhnung entsteht im Grunde aus meiner Sicht eine zu zahme Sichtweise aus Sicht der Wirtschaftsredaktionen.
Eine Enquete-Kommission könnte Lobbyismus kontrollieren
Baetz: Was könnte man daraus lernen? Was müsste man daraus lernen? Braucht es einen Code of Conduct, ein eigenes, neues Selbstverständnis?
Leif: Ich würde noch grundsätzlicher gehen. Es ist im Grunde so, dass der parlamentarische Betrieb sich selbst Auskunft geben muss, wie er mit Lobbyismus umgeht.
Lobbyismus, wie wir ihn in der Abgas-Affäre sehen, ist ja Viagra für Politikverachtung und eine Aushöhlung der parlamentarischen Betriebssysteme.
Kontrolle gibt es nicht mehr, dafür Kumpanei. Deshalb: eine Idee wäre eine Enquete-Kommission im Bundestag in eigener Sache, wo man sich überlegt, was man noch machen kann. Es ist ja positiv, was passiert in den letzten Jahren: Abkühlungsphase, aber auch Reduzierung der Ausweise und vieles mehr. Und man müsste sich selbst Regeln machen. Und die Politiker müssten sich selbst Auskunft geben, dass sie sich nicht zu Abhängigen machen, wie es einige selbst zugeben haben, so dass sie nur Hilfsarbeiter sind für Lobbyismus. Wenn man so will: Konzentration auf das Kerngeschäft des Parlamentarismus, Kontrolle und Gestaltung und von mir aus, öffentliche Mitwirkung von Lobbyisten, die aber mit offenem Visier ihre Interessen vertreten sollen.
Baetz: Und denen die Journalisten auch auf die Finger schauen sollten. Vielen Dank. Thomas Leif war das. Chefreporter des SWR Fernsehen.
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