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Loch im Datennetz

Meteorologie. - Die Klimaforschung hängt für Daten von hoher See von der Handelsschifffahrt ab. Denn nur an Bord der Schiffe können die Instrumente Daten weitab von Land sammeln. Daher stellt das Piratenunwesen am Horn von Afrika auch für die Meteorologen ein Problem dar. Seit die Schiffe das Seegebiet vor Somalia weiträumig umfahren, klafft ein Datenloch in einem für den ostafrikanischen Monsun wichtigen Gebiet.

Von Volker Mrasek |
    Bis Ende 2008 war noch richtig viel los auf dem Seeweg entlang der ostafrikanischen Küste:

    "In diesem Meeresgebiet im westlichen Indischen Ozean verkehrten vor allem Containerschiffe und Öltanker, dazu noch ein paar Fischerboote. Ihre Zahl ging in die Hunderte. Diese Schiffe steuerten einen ziemlich küstennahen Nord-Süd-Kurs zwischen Madagaskar und dem afrikanischen Festland hindurch."

    Damit ist es nun seit fast drei Jahren vorbei, wie Shawn Smith bedauert. Der Meteorologe forscht an der Staatsuniversität von Florida in Tallahassee in den USA. Dort leitet Smith das Zentrum für marine Daten.

    "Seit sich die Attacken der Piraten häufen, haben die Schiffe ihre Routen weit aufs offene Meer hinaus verlegt. Sie fahren jetzt etwa 600 Seemeilen vor der Küste."

    Das ist ein großes Handikap für Klimaforscher. Denn nun klafft ein riesiges Loch in ihrem Beobachtungsnetz vor Ostafrika. In einem Seegebiet, das um die 2,5 Millionen Quadratkilometer groß ist, wie Shawn Smith sagt. Eine Fläche, in der Deutschland sieben Mal Platz hätte. Smith und andere Meteorologen erhalten nicht mehr ihre üblichen Wetteraufzeichnungen aus dieser Meeresregion. Die liefern ihnen normalerweise Handelsschiffe. Manche von ihnen haben zahlreiche Instrumente an Bord und dienen als mobile Messstationen. Doch inzwischen meiden sie die Region um das Horn von Afrika:

    "Diese Schiffe messen typischerweise Windgeschwindigkeit, Luftdruck, Außentemperatur und Luftfeuchte, einige auch noch die Wassertemperatur. Es gibt ein Programm der Welt-Meteorologie-Organisation, das nennt sich 'Freiwilliges Schiffsbeobachtungsnetz'. Wer da mitmacht, funkt seine Messdaten alle drei Stunden an Land."

    Jetzt aber herrscht Funkstille vor Somalia. Die Piraten vertreiben Tanker und Containerschiffe dabei aus einem Gebiet, das für das Klima über dem Indischen Ozean von großer Bedeutung ist. Dort gibt es eine Luftströmung, die sich im Sommer herausbildet, den sogenannten Somalischen oder Ostafrikanischen Jet. Smith:

    "Es handelt sich um Winde, die von Südwesten nach Nordosten wehen, entlang der somalischen Küste. Dabei transportieren sie feuchte Meeresluft bis zum indischen Subkontinent. Es ist einer der wichtigsten Prozesse, die den Indischen Sommer-Monsun antreiben. Dadurch, daß Schiffe den Küstenstreifen vor Afrika meiden, fahren sie nicht mehr durch die Kernzone des Somalischen Jets, wo die Winde am kräftigsten sind. Deshalb können wir die Stärke der Luftströmung nicht mehr so genau messen."

    Was es noch gibt, sind Windmessungen von Erdbeobachtungssatelliten aus dem All und vereinzelte Bojen im Meer, die mit Instrumenten bestückt sind.

    "Die aktuellen Wetter- und Monsunvorhersagen werden durch das Problem mit den Piraten nicht so sehr beeinträchtigt. Hier kann man sich mit den Satellitendaten behelfen. Kritisch wird es, wenn man sich für Veränderungen des Indischen Monsuns über Jahrzehnte interessiert, wie wir Klimaforscher das tun. Lange und vergleichbare Messreihen gibt es nur von Schiffsinstrumenten. Werden sie unterbrochen, kriegen wir Probleme, wenn wir den langfristigen Klimawandel verstehen wollen."

    Shawn Smith fürchtet, daß das Klimadaten-Loch vor der somalischen Küste sogar noch größer werden könnte. Denn auch die Piraten verlegen ihre Operationen zusehends hinaus aufs offene Meer, um weiterhin Tanker und Containerschiffe kapern zu können. Die dürften deshalb bald einen noch größeren Bogen um das Horn von Afrika machen. So lange diese Situation vor Somalia so bleibt, wird der Klimaforschung weiterhin ein Datenjahr nach dem anderen verloren gehen