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Lochbihler: Kleiderproduktion in Bangladesch ist Sklavenarbeit

Regierung, Textilhersteller, Kleiderketten und Verbraucher tragen zu den menschenunwürdigen Produktionsbedingungen in Bangladesch bei, sagt Barbara Lochbihler. Die Europa-Abgeordnete fordert daher strikte Umsetzung von Gesetzen, ein Umdenken beim Konsumenten und verbindliche Produktionsregeln.

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich ist es unfassbar, und doch könnte es jeden Tag wieder passieren: Beim Einsturz einer illegalen Textilfabrik in Bangladesch sind nach neuesten Erkenntnissen über 400 Menschen ums Leben gekommen, die Zahl der Opfer, die dürfte noch weit höher liegen, denn nach wie vor werden fast 150 Menschen vermisst. Und an die Trümmer der ehemaligen Fabrik kommt man nicht heran. Die Wut der Menschen wächst, sie fordern, die Verantwortlichen zu hängen.

    Am Telefon begrüße ich Barbara Lochbihler von Bündnis 90/Die Grünen, sie ist Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament, schonen guten Morgen, Frau Lochbihler!

    Barbara Lochbihler: Guten Morgen!

    Heckmann: Papst Franziskus hat sich gestern zu Wort gemeldet und sprach von Sklavenarbeit, die da offenbar stattfindet in Bangladesch – ist das eine zutreffende Beschreibung?

    Lochbihler: Ja, man kann davon sprechen. Viele haben keine Alternative, woanders Geld zu verdienen, und vielen sind vielleicht verschuldet. Und wenn man sich anschaut, oft auch bei den schweren Bränden in Textilfabriken – dort sind die Arbeiter eingesperrt und es wird nicht drauf geachtet, dass es Menschen sind. Sie sind einfach, ja, Teil der Produktion.

    Heckmann: Wenn es sich also um Sklavenarbeit im Prinzip handelt, wer sind dann die Sklavenhalter?

    Lochbihler: Ja, also diese Brände oder jetzt der Hauseinsturz, die kommen ja nicht von ungefähr. Man schätzt, dass seit 2005 über 600 Tote jetzt ohne diesen Hauseinsturz, es gegeben hat bei Bränden und es haben sich dann die Unternehmen zusammengeschlossen, die Regierung und die Gewerkschafter und haben gesagt, so darf es nicht weitergehen. Wir brauchen Gesundheits- und Sicherheitsgesetze, die dem entgegenstehen.
    Bangladesch hat 2006 ein gutes Gesetz verabschiedet, das Arbeitsinspektoren zulassen muss, unabhängige, aber die Umsetzung, da fehlt es. Es sollte in jeder Fabrik ein eigenes Gesundheits- und Sicherheitskomitee geben, doch es wird nicht nachgehalten. Es gibt sehr viel Korruption zwischen den Fabrikbesitzern oder Betreibern und diesen sogenannten Inspektoren, und auf der Unternehmerseite haben wird das Problem, dass nur einige sich verpflichtet haben, nur dort zu kaufen, also auch von Zulieferern, wie zum Beispiel Calvin Klein oder Hilfiger, und andere, wie jetzt bei diesem Hauseinsturz, war ja auch die Firma Mango, diese spanische Firma, und die britische Firma Primark beteiligt, die unterschreiben so etwas nicht. Und dann haben die Betreiber der Firmen immer die Auswahl, doch noch zu liefern unter diesen furchtbaren Bedingungen.

    Heckmann: Das heißt, ich verstehe Sie richtig: Die Sklavenhalter sind nicht nur die Betreiber dieser teilweise auch illegalen Fabriken unter diesen Bedingungen, sondern verantwortlich sind auch die großen Textilketten, die von diesen Zuständen profitieren, und die Verbraucher im Westen, die müssen sich auch an die eigene Nase packen?

    Lochbihler: Natürlich, also das sind die indirekten Täter, und man muss schon sagen, dass diese Brände und solche baulichen Mängel, die fallen ja nicht vom Himmel, die hätten verhindert werden können, wenn man eben konsequent dieses Gesetz in Bangladesch umgesetzt hätte 2006. Und deswegen muss man auch der Bangladesch-Regierung hier eine Mitverantwortung geben.

    Heckmann: Und das tut ja auch ihre Kommission, die fordert ja von der Regierung dort, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die internationalen Standards endlich eingehalten werden. Was, denken Sie, kann ein solcher Appell bewirken?

    Lochbihler: Also die EU ist der größte Handelspartner für Bangladesch und einer der wichtigsten Geber. Also die EU hat 403 Millionen Euro gegeben in der Zeit von 2007 bis 2013. Und sie haben immer wieder gefordert, dass es verbessert werden soll, aber es ist eben bei einer Forderung geblieben. Und jetzt hat der Handelskommissar De Gucht angekündigt eben, dass sie auch stärker den Handel begrenzen wollen, wenn die Regierung nicht konsequenter darauf achtet, dass diese Sicherheits- und Gesundheitsstandards eingehalten werden.

    Heckmann: Ist das ein Schritt, den Sie begrüßen, oder könnte das die Situation für die Menschen vor Ort vielleicht sogar noch verschlimmern?

    Lochbihler: Ich denke, es würde den Druck erhöhen auf die Firmen, und es würde den Druck erhöhen auf die Kommunen, diese Inspektoren zuzulassen, und das ist absolut wichtig. Weil man kann nicht immer nur dann Betroffenheit zeigen, wenn so eine Katastrophe entsteht, also wenn es zu spät ist, sondern man muss schon den Forderungen auch der Arbeitsaktivisten und Arbeiter und Arbeiterinnen selber nachkommen, und die wollen nicht mehr in solchen Häusern leben, und sie brauchen auch einen besseren Lohn, und das heißt nicht, dass wir den ganzen Handel sanktionieren, aber jetzt ist es so, dass Bangladesch bestimmte Waren zollfrei und ohne Mengenbegrenzung einführen kann in die EU, und das kann man einschränken – nicht ganz verbieten.

    Heckmann: Sie haben, Frau Lochbihler, die Verantwortung auch der großen Textilketten wie H&M oder C&A angesprochen. Müsste man die nicht auch viel stärker rannehmen?

    Lochbihler: Ja, also man müsste das nicht so unverbindlich lassen. Ich denke, man sollte daran arbeiten. Das haben wir im Parlament auch im Januar in einer Resolution angeregt, dass die EU mithelfen soll an einer freiwilligen Zertifizierung, dass bestimmte Textilien nur unter ILO [Anm. d. Redaktion: International Labour Organization] also Arbeitsrechtsstandards hergestellt werden, und dann musste man von diesen Handelsketten eben verlangen, dass sie nur solches verkaufen. Und zweitens natürlich Bewusstseinsbildung machen bei den Konsumenten, dass man dazu beiträgt, dass die Menschen unter solchen unwürdigen Bedingungen arbeiten müssen, nur dass unsere T-Shirts so extrem billig sind.

    Heckmann: Der irische Kleidungshändler Primark, der hat dort in dieser Fabrik eben auch Produkte herstellen lassen, und der hat jetzt angekündigt, Opfer und Hinterbliebene entschädigen zu wollen. Ist das ein Schritt, den Sie begrüßen, oder steckt dahinter nicht so etwas wie ein zynischer Ablasshandel?

    Lochbihler: Also ich denke, das ist auch wichtig, weil die Angehörigen oder diejenigen, die jetzt nicht mehr arbeiten können, brauchen unbedingt finanzielle Mittel, ja? Das ist ein richtiger Schritt, aber der ersetzt nicht, dass man zukünftig nicht mehr so produzieren lässt. Ich denke, Primark sollte sich auch den internationalen Standards unterwerfen, sie sollten schauen, von wem kaufen sie zu, gibt es da Korruption, sie müssten also eine konsequente Politik machen.

    Heckmann: Ganz kurz noch zum Schluss, Frau Lochbihler, was würden Sie den Verbrauchern hier in Deutschland raten, zu Fair-Trade-Produkten zu greifen, das kann sich nicht jeder leisten?

    Lochbihler: Ja, aber man muss dann überlegen, brauche ich alle zwei Wochen ein neues T-Shirt, oder kaufe ich eines, das eine bessere Qualität hat, und wir haben jetzt doch einen größeren Markt, wo es Fair-Trade-Baumwolle gibt, übrigens auch ein Ansatz der EU, die in Bangladesch und den anderen Entwicklungsländern fördern wollen, dass kleine Produzenten von Baumwolle auch zu Fair-Trade-Großhändlern auch Kontakt haben, und da muss man das verstärken. Ich denke, man muss sich immer klarmachen, was man damit anrichtet, wenn man diese unter Sklavenarbeit produzierte Kleidung kauft.

    Heckmann: Die EU-Kommission, die verstärkt den Druck auf die Regierung von Bangladesch, wir haben darüber gesprochen mit Barbara Lochbihler von Bündnis 90/Die Grünen, sie ist Chefin des Menschenrechtsausschusses im Europaparlament. Frau Lochbihler, danke Ihnen für das Gespräch und schönen Tag!

    Lochbihler: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.