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Löning: Die Frauen gehören auf freien Fuß

Es sei unverhältnismäßig, was beim Prozess gegen die russische Frauen-Punkband "Pussy Riot" passiere, sagt Markus Löning (FDP). Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hält eine Haftstrafe für falsch. Ihr Punkgebet in der Moskauer Erlöserkirche sei allenfalls eine Ordnungswidrigkeit.

Markus Löning im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Verborgen unter knallbunten Sturmhauben und in ebenso farbigen Strumpfhosen sangen und tanzten die jungen Frauen der russischen Punkband "Pussy Riot" im Februar gegen Wladimir Putin an: "Jungfrau Maria, Mutter Gottes, räume Putin aus dem Weg" - ihr sogenanntes Punkgebet in der Moskauer Kathedrale, das nach nur 30 Sekunden von Sicherheitskräften abgebrochen wurde. Wegen Rowdytums unter anderem stehen die drei Frauen vor Gericht, heute soll das Urteil ergehen, es drohen mehrere Jahre Haft. Am Telefon begrüße ich Markus Löning, den Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. Guten Morgen, Herr Löning!

    Markus Löning: Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Drei statt der möglichen sieben Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft, Putin selbst plädierte inzwischen für milde Strafen. Zeigt der öffentliche Druck also Wirkung?

    Löning: Man hat schon das Gefühl, dass Präsident Putin gesehen hat, dass mit dem Prozess also ein enormer Schaden entsteht für sein Land, für das Ansehen seines Landes. Es engagieren sich ja weltweit Leute für die drei jungen Frauen und sagen, das ist völlig unverhältnismäßig, was da passiert, und selbst die orthodoxe Kirche ist ja inzwischen etwas milder geworden in ihren Tönen - das kann man nur begrüßen. Das heißt, der Protest zeigt jetzt doch Wirkung. Jetzt hoffe ich sehr allerdings, dass das sich auch im Urteil niederschlägt, ich hoffe sehr, dass die drei jungen Frauen auf freien Fuß kommen.

    Dobovisek: Und was befürchten Sie?

    Löning: Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Ich bleibe mal dabei, dass ich hoffe und auch das Gericht auffordere, entsprechend zu urteilen, das ist: Die drei jungen Frauen gehören auf freien Fuß, das ist völlig unverhältnismäßig, was dort passiert, die sitzen jetzt seit sechs Monaten in Untersuchungshaft wegen einer Sache, die man allenfalls vielleicht als Ordnungswidrigkeit bezeichnen könnte. Also das ist nicht in Ordnung, die drei Frauen müssen raus.

    Dobovisek: Ziel des Prozesses sei es, Kritikern des Regimes eine Lektion zu erteilen, sagt Russlands einst reichster Mann Michail Chodorkowski der "Süddeutschen Zeitung", selbst als Oppositioneller im Gefängnis sitzend. Entspricht der Prozess nach all dem, was Sie beobachtet haben, Herr Löning, ja, den rechtsstaatlichen Prinzipien, wie wir sie kennen?

    Löning: Er widerspricht eben vor allem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - alleine die Tatsache, dass Untersuchungshaft angeordnet worden ist und zwei der jungen Frauen haben ja kleine Kinder, das heißt, nichts spricht dafür, dass sie Moskau verlassen werden, alles spricht dafür, dass sie dort sein werden, dass sie während des Prozesses dabei sein werden. Also alleine das ist schon unverhältnismäßig, aber auch die Länge der Strafe. Man kann sich da drüber unterhalten, ob da vielleicht ein paar Hundert Euro Geldstrafe meinetwegen angemessen sein werden oder ob ein Freispruch wegen Freiheit der Kunst, aber doch nicht mehrmonatige oder womöglich mehrjährige Haftstrafen. Das ist eben völlig unverhältnismäßig und es zeigt das fehlende Verhältnis zu Themen wie Kunstfreiheit, wie Meinungsfreiheit. Und was ich sagen muss, was mich in dem Zusammenhang eben auch ein Stück enttäuscht, ist: Man sieht sehr viel Unterstützung aus dem Westen, man sieht sehr viele Künstler, die sich engagieren weltweit für die Drei, und die Unterstützung aus Russland ist doch etwas mau, gerade auch so aus der intellektuellen und aus der Künstlerszene.

    Dobovisek: Haben die Künstler in Russland einfach Angst?

    Löning: Es spricht vieles dafür, dass die Einschüchterungstaktik dort funktioniert. Es gibt ja Einzelne, die sich äußern, insbesondere so aus Moskau raus, die sagen, nein, die Drei müssen auf freien Fuß. Aber man sieht jetzt auch wieder: Es hat Protestaktionen gegeben auf dem Roten Platz, wo dann Zettel verteilt worden sind oder wo Leute, so ein paar Leute mit Sturmmasken dort etwas unternommen haben - sofort abgeführt worden von Sicherheitskräften. Also ich glaube, die Leute haben auch durchaus Grund, Angst zu haben vor der harten Reaktion des Staates.

    Dobovisek: Wie lange hält Putin das noch aus, so gegen die Opposition vorzugehen, die ja, wie wir selbst im Frühjahr erlebt haben, ja teilweise zu Hunderttausenden auf die Straße gegangen ist?
    Löning: Ja, man darf dabei nicht übersehen, dass er natürlich durchaus Unterstützung in der Bevölkerung hat, und Umfragen zeigen, dass es doch auch einen beträchtlichen Teil in der russischen Bevölkerung gibt, die sagen: Nein, das war Gotteslästerung, was da passiert ist. Es gibt einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung, die sagt: Sicherheit und Stabilität ist wichtiger als alles andere. Man darf sich von diesen Bildern nicht täuschen lassen. Das sind Bilder, die machen uns große Hoffnung, dass endlich etwas passiert und dass mehr Druck auf Putin ausgeübt wird - andererseits hat er jetzt in seiner kurzen Amtszeit eben das Gesetz über die NGOs verschärft, er hat das Demonstrationsrecht verschärft. Also der Trend geht leider in die falsche Richtung zurzeit.

    Dobovisek: Sie haben das NGO-Gesetz angesprochen, das Gesetz, das ausländisch finanzierte Nichtregierungsorganisationen dazu bringt, sich auf eine Liste ausländischer Agenten eintragen zu lassen. Wie kann da zum Beispiel die deutsche Bundesregierung überhaupt noch tätig werden im inoffiziellen Sinne, also Demokratie zu fördern über zum Beispiel Menschenrechtsorganisationen?

    Löning: Nun, das ist sehr, sehr schwierig. Einige der Organisationen, das sind sehr renommierte Organisationen, mit denen wir seit vielen Jahren teilweise zusammenarbeiten, wo es auch immer mal wieder ein gemeinsames Projekt gegeben hat. Die sagen: Wir können jetzt oder wir wollen jetzt kein ausländisches Geld mehr annehmen. Das ist ein schwerer Schlag für die Menschenrechtsszene, das ist der Versuch, Leute, die sich für Menschenrechte, für Demokratie, für Freiheit in Russland einsetzen, zu diffamieren, indem sie dieses Etikett "ausländische Agenten" aufgeklebt kriegen. Also auch hier wieder zeigt sich letztlich die Schwäche und das schwache Selbstbewusstsein von Herrn Putin, dass er sich nicht traut, eine offene Auseinandersetzung mit politischen Kritikern zu führen. Er benutzt gesetzliche und andere Mittel, um die Opposition zurückzudrängen und kleinzumachen.

    Dobovisek: Was kann und was muss Deutschland, insbesondere die Bundesregierung, hier tun?

    Löning: Nun, wir mahnen immer wieder bei unseren russischen Partnern an, dass die Standards des Europarates eingehalten werden. Russland ist Mitglied im Europarat, Russland hat die europäische Menschenrechtskonvention gezeichnet und ist damit auf diese Standards verpflichtet. Und es ist Sache der anderen Mitglieder im Europarat, immer wieder die Russen daran zu erinnern: Ihr müsst die Dinge, zu denen ihr euch selbst verpflichtet habt, auch einhalten. Das ist, zugegeben, oft frustrierend, aber wir dürfen da nicht nachlassen, wir müssen es immer wieder einfordern, öffentlich und im direkten bilateralen Gespräch.

    Dobovisek: Welche Taten könnten diesen mahnenden Worten folgen?

    Löning: Ich glaube, dass sehr wesentlich es davon abhängt, wie stark die russische Gesellschaft selbst ihre Rechte einfordert. Da sind die Demonstrationen, die wir gesehen haben, in der Tat ein hoffnungsvolles Zeichen gewesen. Es ist wichtig, dass das weitergeht und dass wir das von außen entsprechend flankieren.

    Dobovisek: Ja, aber wie, Herr Löning?

    Löning: Ich glaube, dass das politische, das offene und klare Wort der Kritik Wirkung zeigt, das sehen wir ja jetzt in dieser "Pussy Riot"-Geschichte. Wir unterschätzen das im Westen oft, was es bedeutet, klare öffentliche Stellungnahmen zu solchen Situationen abzugeben. Es hilft den Leuten vor Ort, es unterstützt sie mehr als nur moralisch, es unterstützt sie auch politisch, und es setzt eine Regierung wie die russische Regierung deutlich unter Druck.

    Dobovisek: Seit elf Jahren haben Putin und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den Petersburger Dialog initiiert, ein Dialog zwischen führenden Politikern ohne Bürgerrechtler oder Intellektuelle, die dabei beteiligt sind. Andreas Schockenhoff, Unionsfraktionsvize und Russlandbeauftragter der Bundesregierung, kritisiert dieses Treffen nun ganz offen und droht auch damit beziehungsweise sieht dieses Treffen vor dem Aus. Wie könnte ein solcher Dialog oder wie müsste ein solcher Dialog in der Zukunft aussehen?

    Löning: Zunächst mal ist es wichtig, dass ein Dialog geführt wird. Was wir machen müssen - und ich glaube, darauf bezieht sich die Kritik von Andreas Schockenhoff: Wir müssen, glaube ich, mehr da drauf drängen, dass auf der russischen Seite in dem zivilgesellschaftlichen Dialog nicht nur Leute sitzen, die im Kreml ausgesucht werden, sondern dass dort wirklich NGOs sitzen. Da muss man eben sehen, dass es auch in Deutschland sehr gespaltene Meinung zu diesem Petersburger Dialog gibt. Da gibt es Leute, die sagen, es muss unbedingt weitergemacht werden, unter allen Kosten, und Leute wie Andreas Schockenhoff, die es kritisieren. Ich glaube, der Mittelweg ist da das Richtige. Wir müssen Druck machen und klar machen: Wir wollen einen echten Zivilgesellschaftsdialog und nicht Leute, die Herr Putin da handverlesen dort hinsetzt, sondern wir wollen Leute, die Opposition sind, die andere Auffassungen haben, die für die echte Zivilgesellschaft in Russland steht. Das ist der Punkt, den wir dort machen müssen.

    Dobovisek: Sie haben beide Seiten erwähnt, Herr Löning, aber was ist Ihre Meinung? Ist der Petersburger Dialog noch das geeignete Mittel?

    Löning: Ich halte viel davon, dass man miteinander spricht, und ich glaube, dass der Petersburger Dialog ein Instrument ist, mit dem man Zivilgesellschaft aufwerten kann, allerdings müssen wir dann von unserer Seite auch mehr Druck machen, dass diese Leute dann auch tatsächlich am Tisch sitzen.

    Dobovisek: Ja, aber noch einmal: Welche Mittel haben Sie dafür in der Hand außer warmen Worten?

    Löning: Nun, natürlich haben wir den politischen, den öffentlichen, den diplomatischen Druck, den wir da in der Hand haben und den müssen wir nutzen.

    Dobovisek: Auch einen wirtschaftlichen Druck, Herr Löning?

    Löning: Wir sind für Russland ein außerordentlich wichtiger Handelspartner. Russland kann das, was Deutschland, was die Bundesregierung sagt, nicht ignorieren, sondern muss auf die Dinge, die wir sagen, eingehen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass wir ein wichtiger Handelspartner für Russland sind. Das öffnet natürlich die Ohren in Moskau durchaus. Sie wissen: Sie sind auf das Geschäft mit Deutschland angewiesen.

    Dobovisek: Heute soll in Moskau das Urteil gegen die drei Frauen der Punkband "Pussy Riot" gesprochen werden - das Interview mit Markus Löning, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Ich danke Ihnen, Herr Löning!

    Löning: Vielen Dank auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.