Das fünfte Jahrhundert vor Christus: Am Anfang steht der "nous". Mit ihm, erklärt Parmenides, erkennt der Mensch das Wesen des Seins.
- Prämisse 1: Alle Menschen sind sterblich.
- Prämisse 2: Parmenides ist ein Mensch.
Das dritte Jahrhundert vor Christus. Aristoteles entwickelt die Logik als ein eigenständiges System richtiger Schlüsse.
- Schlussfolgerung: Parmenides ist sterblich.
Das 19. Jahrhundert. Logik wird mathematisiert und zum umfassenden Konzept formalen Denkens ausgebaut. Man beginnt, rationales Denken und Logik gleichzusetzen. Intuition: zur Nebensache degradiert.
Die Gegenwart. Wir halten uns nicht an die Regeln der Logik, Wahrscheinlichkeitstheorie, mathematischen Entscheidungstheorie und so weiter. Kehren wir zu einer ganzheitlicheren Sicht menschlichen Denkens zurück? Markus Knauff:
"Und die Frage ist, wie können wir das erklären, warum tun wir das?"
- Wenn es regnet, dann ist die Straße nass.
- Die Straße ist nass.
- Ergo: Es hat geregnet.
Es klingt irgendwie logisch, ist aber natürlich falsch. Denn Wenn-Dann-Aussagen kann man nicht so ohne Weiteres umkehren. Es könnte schließlich sein, dass die Straße nass ist, weil die Straßenreinigung unterwegs war. Aber - es lässt sich nicht leugnen: Menschen machen solche Denkfehler, und zwar gar nicht so selten. Nächstes Beispiel:
- Wenn Menschen logisch denken, dann sind sie rational.
- Menschen, die nicht logisch denken, sind nicht rational.
"Man sollte eigentlich von den Rationalitäten sprechen"
Wer logisch richtig denkt, erfüllt sicher ein wichtiges Kriterium für Rationalität. Aber heißt das auch, dass jemand irrational ist, wenn er nicht den ehernen Regeln der Logik folgt?
"Ich bin sehr davon überzeugt, dass es überhaupt nicht die eine Norm gibt, mit der sich menschliches Denken beschreiben lässt oder an der sich menschliches Denken messen lassen muss. Ich glaube, man sollte eigentlich nicht von der Rationalität sprechen, sondern von den Rationalitäten."
Markus Knauff, Psychologieprofessor an der Universität Gießen, will die alten Dogmen überwinden, die Rationalität allzu stark an die philosophische Logik binden:
"Bisher war es so, dass die Philosophie definiert hat, was wir als rational betrachten wollen und die Psychologie hat sich an diesem Sollwert dann orientiert und untersucht, wo Menschen von diesen Normen abweichen. Und die Idee des Schwerpunktprogramms ist, Psychologie und Philosophie zu verbinden, weil die Beobachtung ja auch ist, dass Menschen, selbst wenn sie von manchen Normen, die aus der Philosophie kommen, abweichen, im Leben durchaus gut zurechtkommen und auch vernünftige Entscheidungen treffen."
Seit dem Jahr 2011 versucht ein Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwei Fragen zusammenbringen. Knauff ist der Sprecher:
"Die erste Frage ist 'Wie sollen wir denken?' Und die zweite Frage ist 'Wie denken wir wirklich?'"
- Alle Franzosen sind Weintrinker.
- Einige Weintrinker sind Gourmets.
- Also gilt: Einige Franzosen sind Gourmets.
"Ein typisches Beispiel, womit sich der Logiklehrer auch in seinen Veranstaltungen herumschlägt. Wir wissen, die Prämissen sind wahr, wir wissen, die Konklusion ist wahr, also scheint uns der Schluss plausibel."
Gerhard Schurz, Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Düsseldorf. Ein Spezialist für Logik, Evolutions- und Wissenschaftstheorie.
"Und jetzt muss man klar machen, aber im logischen Sinne ist er nicht gültig, weil es könnte ja sein, dass die Prämissen wahr sind, dass also tatsächlich die Franzosen alle Weintrinker sind, aber von Gourmet und delikater Nahrungszubereitung nichts verstehen. Das ist nicht in unserer sondern in einer logisch möglichen Welt der Fall und die logische Gültigkeit soll ja nicht nur in unserer faktischen Umgebung gelten, sondern in allen möglichen Umgebungen. Das ist das Kennzeichen der deduktiven Logik, dass der Schluss mit Sicherheit, also in allen möglichen logischen Welten gültig ist. Diese Unterscheidung ist für den praktischen Menschen nicht immer wichtig, meistens würde ich sogar sagen 'nicht wichtig' und daher wird sie im Alltag auch nicht gemacht."
Rationales Verhalten besteht aus drei unterschiedlichen Denkweisen
Warum sollte man sich die Mühe machen, abstrakte Schlussregeln einzuhalten, wenn man doch einfach weiß, dass einige Franzosen Gourmets sind? Auch der Blick in das Gehirn zeigt: Denkprozesse inhaltlicher Art sind dem logischen Denken keineswegs untergeordnet, sondern können unabhängig von ihnen arbeiten. Markus Knauff:
"Sie können auch zeigen, dass bei Patienten, die durch Tumoren, Schlaganfälle Verletzungen bestimmter Hirnstrukturen haben, dass sie entweder beeinträchtigt sind in logisch abstraktem Schließen oder nicht davon profitieren können, dass der Inhalt plausibel ist. Leute ohne diese Hirnläsionen profitieren davon, dass etwas plausibel ist, diese Patienten nicht. Und man kann auch mit einer Methode, die transkranielle Hirnstimulation heißt, kurzfristige Läsionen im Gehirn produzieren, indem man Magnetfelder produziert. Auch da kann man zeigen, inhaltsbezogene Aufgaben und abstrakte logische Aufgaben oder auch wahrscheinlichkeitsbasierte Aufgaben, dass man diese differenziell stören kann. Also es spricht einiges dafür, dass es unterschiedliche Verarbeitungsnetzwerke gibt für abstrakte und konkrete Schlussfolgerung."
Wenn es um rationales Verhalten geht, scheinen drei verschiedene Spieler im Rennen zu sein: Das logische Denken, das Denken in statistischen Wahrscheinlichkeiten und das konkrete Denken, das sich an plausiblen Inhalten orientiert. Schlüsse, die auf Letzterem beruhen.
- Die Straße ist nass, also hat es geregnet.
Die können mit der Logik und den Normen der Wahrscheinlichkeit übereinstimmen, müssen es aber nicht. Und sie können auf geprüftem Wissen oder auf intuitiven Annahmen beruhen. In welchem Rahmen lässt sich der Wert dieser drei Denkweisen beurteilen? Gerhard Schurz betrachtet sie im Rahmen der Evolutionstheorie:
"Der Prozess der Evolution selektiert Vieles heraus."
Logisches Schlussfolgern hat sich offenbar schon früh in der Evolution herausgebildet. Etwa bei Primaten.
- Annahme 1: Eine Balkenwaage neigt sich, wenn ein Gewicht auf eine ihrer Seiten gelegt wird.
- Annahme 2: Bananen haben Gewicht.
- Schlussfolgerung: Wenn man eine Banane in eine der Waagschalen legt, muss sie dort sein, wohin sich die Waage neigt.
Diesen Schluss zogen Schimpansen in einem Experiment, ohne dass sie die Banane sehen konnten.
Diese logischen Anlagen wurden immer mehr verfeinert und schlugen sich beim Menschen in sprachlichen Argumenten nieder. Gerhard Schurz geht wie aktuell die meisten Evolutionstheoretiker davon aus, dass es aus sozialen Motiven geschah:
"Man stelle sich vor, in der alten Steinzeit, eine Gruppe von vielleicht bis zu 100 Menschen, die gemeinsam jagen, die gemeinsam ihr Futter, also ihre erlegte Beute aufteilen, da muss es unbedingt nach sozialen Regeln zugehen und es zeigt sich, dass wenn es um die Aufdeckung von Regelbrechung geht, die Menschen plötzlich gewisse logische Schlüsse perfekt beherrschen, die sie in anderen Kontexten nicht beherrschen, sondern ständig Fehler begehen."
Abstrakte Logik versus Logik in sozialen Situationen
Der berühmte Wason-Kartentest. Versuchen Sie erst gar nicht, ihn zu bestehen.
Es soll die Regel gelten: Wenn auf der Vorderseite einer Karte ein "A" steht, dann steht auf der Rückseite eine "Eins". Vor ihnen liegen vier Karten. Bei zwei von ihnen sehen sie die Vorderseite, bei den zwei anderen die Rückseite. Auf der Vorderseite einer Karte steht ein "A", auf der zweiten ein "B". Auf der Rückseite der dritten Karte steht eine "Eins", auf der Rückseite der vierten eine "Zwei". Welche Karte müssen sie umdrehen, um zu überprüfen ob die Regel gilt? Schurz:
"Die wahre Antwort der Logik ist darauf: Sie müssen die Karte mit der A umdrehen und die Seite mit der zwei - das beherrscht keiner, niemand nimmt die Karte mit der zwei. Aber dann wurde genau derselbe Versuch gemacht mit folgender Regel: Es geht um Jugendliche in einem Lokal, wo Cola und Bier ausgeschenkt wird und die Regel lautet: Wer Alkohol trinkt, also Bier trinkt, muss mindestens 16 Jahre alt sein."
In dem Lokal sitzen vier Jugendliche. Einer trinkt Bier, ein anderer Cola. Bei den anderen sehen Sie nicht, was sie trinken, Sie wissen aber, dass der eine achtzehn und der andere vierzehn Jahre alt ist. Bei welchen Jugendlichen müssen sie überprüfen, ob die Regel eingehalten wird. Fragen Sie nur den Biertrinker, wie alt er ist oder forschen sie auch bei einem anderen Jugendlichen nach? Hier noch einmal die Regel, die es zu überprüfen gilt: "Wer Bier trinkt, muss mindestens sechzehn Jahre alt sein."
Gerhard Schurz: "Jeder sieht sich dann den 14-jährigen an - wird in diesem Beispiel perfekt beherrscht und im anderen Beispiel, obwohl es logisch genau dieselbe Aufgabe ist, beherrschen es höchstens zwei, drei Prozent aller Versuchspersonen."
In anschaulichen Situationen, in denen es um soziale Konventionen geht, können fast alle Menschen bestimmte logische Schlüsse ziehen, an denen sie scheitern, wenn sie in abstrakter Weise formuliert werden. Logisches Denken scheint in der Evolution belohnt worden zu sein, weil es hilft, soziale Situationen zu bewältigen. Die Fähigkeit, etwas als wahr oder falsch einzuschätzen liefert einen Überlebensvorteil. Darüber hinaus hat die Evolution noch ganz andere Phänomene herausselektiert, erklärt Gerhard Schurz:
"Es gibt natürlich auch evolutionäre Effekte unseres Überzeugungs- und Glaubenssystems, die vom Wahrheitswert unabhängig sind. Ich habe das als verallgemeinerten Placeboeffekt bezeichnet. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn sie der Überzeugung sind, dass die Krankheit, an der sie leiden, von ihnen überwindbar ist, und bald verschwunden sein wird, dann werden sie frohen Mutes und lebensfroh die Krankheit zu überwinden versuchen, unabhängig davon, ob das wirklich zutrifft oder nicht. Das heißt, der bloße Glaube an ein positives Ereignis gibt eine gewisse Kraft, ein gewisses Selbstvertrauen und das nenne ich den verallgemeinerten Placeboeffekt."
Menschen neigen zu vorschnellen Generalisierungen
Studien zeigen: Der Placeboeffekt hat sich tief in unser Denken eingegraben. Psychologen sprechen zum Beispiel auch von "inductive overconfidence", von dem übertriebenen Vertrauen, rasch eine Regel finden zu können. Gerhard Schurz:
"Inductive overconfidence in dem Sinne, dass der Mensch schon aus sehr kleinen Stichproben geneigt ist, vorschnelle Generalisierungen durchzuführen. Diese inductive overconfidence hat natürlich auch ihre Vorteile, wenn man sehr schnell schließen muss, also man ist gezwungen, wenn man sich entscheidet, ob man in die oder in die Richtung weiter wandern will oder dorthin zu gehen, wo es vermutlich die bessere Nahrungsquellen, Nahrungsressourcen gibt, dann muss man sich sehr schnell entscheiden, natürlich kann die inductive overconfidence auch zu Fehlschlüssen führen und dann vor allem im sozialen Bereich führen, ja also, dass man Leute schnell aburteilt, über den Kamm schert, vom Äußeren auf das Innere schließt, also diese ganze Vorurteilsbildung hängt natürlich auch mit inductive overconvidence zusammen."
Natürlich sind solche raschen Entscheidungen fehleranfälliger und risikobehafteter als gründlich durchdachte Entscheidungen. Aber manchmal sind sie eben unausweichlich, meint Markus Knauff:
"Also wenn man sich fragt, warum Menschen denn überhaupt Fehler machen, dann ist es so, dass wir grundsätzlich über die Kompetenz verfügen, logisch richtig und was Wahrscheinlichkeit betrifft richtig zu denken, aber dass es jede Menge Beschränkungen gibt, Beschränkungen unseres kognitiven Systems. Wir haben nicht beliebig viele kognitive Ressourcen zur Verfügung, nicht alle Informationen stehen zur Verfügung."
Das Arbeitsgedächtnis des Gehirns kann nur eine begrenzte Menge an Informationen speichern und verarbeiten, wohingegen die Vielfalt von Information aus der Außenwelt prinzipiell unbegrenzt ist. Daher, so Magnus Knauff, müssen wir auch die so genannten Heuristiken ins Reich der Rationalität einbeziehen, die in den letzten Jahren ausgiebig erforscht wurden.
Dabei handelt sich um Faustregeln, die man intuitiv benutzt, wenn etwas allein mit dem Verstand nicht mehr zu bewältigen ist. Man verwendet dann zum Beispiel ein altes Denkmuster, das sich schon einmal bewährt hat. Oder konzentriert sich auf ein oder zwei hervorstechende Wegweiser einer Situation und vernachlässigt die anderen. So gesehen umfasst Rationalität alle Formen des Denkens, die gerade die effizienteste Lösung eines Problems versprechen. Markus Knauff:
"Ich glaube, dass die Umwelt unterschiedliche Anforderungen stellt, was wir als rational betrachten wollen. In manchen Situationen müssen wir uns zwischen zwei Alternativen entscheiden, dann hilft uns auch klassische Logik wirklich weiter. In manchen Fällen müssen wir aber auch entscheiden, ob etwas wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher ist, dann hilft uns die Wahrscheinlichkeitstheorie. In manchen Fällen reicht uns auch, wenn wir mit einer guten, aber nicht unbedingt mit der besten Lösung zufrieden sind, all das beeinflusst glaube ich, welche Normen wir gerade zugrunde legen müssen, um zu entscheiden, was wir als rational betrachten wollen."
- Hinter dem Berg liegt das Ziel.
- Von zwei Wegen führt einer zum Ziel, der andere in die Irre.
- Der eine Weg ist schmal aber stabil.
- Der andere Weg ist breit aber löchrig.
- Frage: Welcher Weg führt zum Ziel?
"Meine Ergebnisse klingen ziemlich paradox - gerade auch für Experten"
Langfristig gesehen wollen die Rationalitäts-Forscher genauer definieren, wann welche Art des Denkens optimal - und das heißt in rationaler Weise - einzusetzen ist. Dabei stellt sich eine grundlegende Frage. Einerseits können Menschen Probleme logisch oder in seinen Wahrscheinlichkeiten gründlich durchdenken. Andererseits intuitiv rasche Entscheidungen treffen. Wie aber hängt beides zusammen? Wie wird geregelt, welches Denken wann zum Zuge kommt?
"Für viele Leute, gerade auch für die Experten, klingen meine Ergebnisse ziemlich paradox."
Der Psychologe Wim de Neys vom Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung in Paris hat in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt. Denn seine Studien legen nahe, dass es nicht nur die altbekannte Intuition gibt, mit der wir spontan und automatisch aus dem Bauch heraus entscheiden, sondern auch eine logische Intuition. Wim de Neys setzte Versuchspersonen Aufgaben vor, bei denen sie intuitiv rasch auf eine Lösung stoßen - die falsch ist.
- Das Schläger-Ball-Problem:
- Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen einen Euro und zehn Cent.
- Der Schläger kostet einen Euro mehr als der Ball.
- Wie viel kostet der Ball?
Die meisten Versuchspersonen sagen sofort "Der Ball kostet zehn Cent" und sind sich intuitiv völlig sicher. Aber die Antwort ist falsch. Wenn der Ball zehn Cent kosten würde und der Schläger einen Euro teurer ist, müsste dieser einen Euro und zehn Cent kosten. Ein Euro und zehn Cent für den Schläger plus zehn Cent für den Ball ergeben aber einen Euro und zwanzig Cent.
Fast alle Versuchspersonen, die zunächst die intuitiv falsche Antwort geben, sehen die richtige Lösung leicht ein, wenn sie kurz darüber nachdenken: Fünf Cent für den Ball, einen Euro und 5 Cent für den Schläger. Warum aber geben sie dann vorher überhaupt eine falsche Antwort? Psychologen erklären das üblicherweise damit, dass die Versuchspersonen die relative Aussage "Der Schläger ist ein Euro teurer als der Ball" als absolute Aussage wahrnehmen: "Der Schläger kostet einen Euro". Dann nämlich wäre die schnelle, automatische Antwort richtig.
Es gibt anscheinend eine "logische Intuition"
Wim de Neys wollte es genau wissen. Und bat 13 Versuchspersonen in den Hirnscanner:
"Wir wissen, dass eine Region in der Mitte des Stirnhirns dafür zuständig ist, Konflikte oder Fehler zu überwachen und untersuchten seine Rolle. Wir gaben den Versuchspersonen also Aufgaben wie das Ball-Schläger-Problem, in dem durch relative Formulierungen ein Konflikt zwischen der intuitiven und der logisch richtigen Lösung auftritt. "Der Schläger ist ein Euro teurer als der Ball" verglichen wir mit leicht lösbaren Aufgaben, bei denen dieser Konflikt nicht auftritt. Dort gab es absolute Formulierungen wie: "Der Schläger kostet einen Euro". Im Hirnscanner beobachteten wir dann neben der Konfliktüberwachungsregion auch die vorderste rechte Stirnhirnregion, die beteiligt ist, wenn ein Vorgang im Gehirn gehemmt wird."
Wie zu erwarten: die Versuchspersonen mit der korrekten Antwort hatten die intuitive, falsche Antwort unterdrückt.
"Der Kernbefund aber war, dass die Konfliktüberwachungsregion im Gehirn bei den Versuchspersonen immer aktiv war, egal ob sie die intuitiv falsche oder die logisch korrekte Antwort gaben. Daher schließen wir, dass die Menschen den Konflikt irgendwie unbewusst auch dann wahrnehmen, wenn sie die falsche intuitive Antwort geben."
Das ist das paradoxe Ergebnis der Studien von Wim de Neys, über das die Fachwelt so erstaunt ist. Es scheint eine "logische Intuition" zu geben, und sie äußert sich in einem automatisch generierten Signal im Gehirn. Dieses Signal bleibt unbewusst, äußert sich aber auch körperlich:
"Die Konfliktüberwachungs-Region reguliert auch das autonome Nervensystem. Immer wenn ein Konflikt entdeckt wird, wird also auch das autonome Nervensystem kurz aktiv. Dann schwitzt man zum Beispiel ein bisschen stärker, die Körpertemperatur verändert sich und damit auch die elektrische Hautleitfähigkeit."
Das Gehirn erzeugt ein Gefühl, das viele kennen, wenn sie harte logische Nüsse knacken müssen, ein "Bauchgefühl": "Ich habe eine Lösung, bestimmt ist sie falsch."
Für Wim de Neys lassen sich diese Befunde nur so erklären: Logisches und intuitives Denken sind im Gehirn eng verknüpft:
"Es gibt sowohl heuristische, also schnelle und automatische Intuitionen und es gibt eine Art logischer Intuition, die unbewusst im Gehirn als Maßstab vorhanden ist. Nach meiner Theorie sind beide Teil eines gemeinsamen Systems. Die heuristische und die logische Intuition werden parallel und gleichzeitig im Gehirn aktiviert. Entsteht ein Konflikt zwischen Logik und Intuition, ermöglicht das Konfliktsignal, einen Prozess einzuleiten, in dem über die spontane intuitive Antwort stärker nachgedacht werden kann."
Wim de Neys hat sein Modell in mehreren Studien untermauern können. Ein plausibles Modell, denn es verbindet die alte Theorie, nach der logisches Denken der höchste Maßstab von Rationalität ist, mit dem neuen Trend, intuitives Denken aufzuwerten. Auch Wim de Neys geht davon aus, dass ein logischer Maßstab fest im Kopf verankert ist. Der wirkt aber unbewusst und ist längst nicht allmächtig, kann also intuitive Lösungen nicht völlig verhindern. Am besten überlebt, wer sowohl logisch als auch intuitiv denkt.
Psychische Verfassung wirkt sich auf logisches Denkvermögen aus
Markus Knauff hält die Befunde von Wim de Neys für außerordentlich wichtig, weil sie erklären, wie der Geist flexibel reagieren kann. Und er geht sogar noch einen Schritt weiter.
- Prämisse 1: In alten Häusern befinden sich Spinnen.
- Prämisse 2: Dies ist ein altes Haus.
- Frage: Gibt es dort Spinnen?
Markus Knauff: "Der Effekt war, dass Phobiker schlechtere Leistungen erbringen als Leute, die keine Spinnenphobie haben in solchen Schlüssen. Die haben mehr logische Fehler gemacht und die haben länger gebraucht, um Schlüsse vorzunehmen."
- Prämisse 1: Wenn mich niemand mag, dann ist mein Leben sinnlos.
- Prämisse 2: Mich mag niemand.
- Frage: Macht Ihr Leben noch einen Sinn?
Markus Knauff: "Die zweite Gruppe von Probanden waren depressive Patienten und die waren bei solchen Schlüssen wiederum besser als nicht depressive Patienten. Es ist kein Widerspruch. Weil Phobiker eben dieses Vermeidungsverhalten zeigen und deshalb fällt ihnen der Schluss schwerer, während Depressive gerade in negativen Denkstilen ja gerade Experten sind und deshalb können sie es sogar besser."
Knauffs These: Die psychische Verfassung beeinflusst die Leistungsfähigkeit beim logischen Schließen.
"Ich glaube, dass solche Befunde und viele weitere zeigen, dass wir in der Psychologie nicht so viel weiterkommen mit der Betrachtung isolierter Einzelphänomene, winzig kleiner experimenteller Befunde, sondern wir müssen irgendwie eine Theorie des psychischen Gesamtgeschehens hinbekommen und in diesem gibt es natürlich verschiedene Arten von Rationalität, dann kann unser Denken durch Emotionen beeinflusst werden, und so weiter."
Ein erweitertes Verständnis von Rationalität schärft auch den Blick auf die Wissenschaft, die gemeinhin als Krone der Rationalität gilt. Denn auch bei ihr existieren neben der reinen Logik Konventionen und Faustregeln.
Wissenschaftliche Erkenntnisse beruhen bekanntlich auf Experiment und exakter Methodik. Das verschafft ihnen den Ruf, besonders verlässlich zu sein. Im Prinzip richtig, meint Professor Torsten Wilholt von der Universität Hannover. Aber es gebe auch da ein Problem:
"Weil jetzt kommt eine Besonderheit der empirischen Forschung ins Spiel, die eben empirische Wissenschaft so spannend und auch philosophisch interessant macht, die deshalb auch dafür sorgt, dass Wissenschaftstheorie viel spannender ist als Logik, sag ich jetzt mal so in leichter Provokation gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen: Wissenschaft beruht nämlich auf dem, was wir als Induktion bezeichnen, das heißt wir gehen aus von Einzelbeobachtungen und Einzelexperimenten und den Ergebnissen und versuchen aber in den Naturwissenschaften insbesondere immer daraus zu verallgemeinern. Die Schlussfolgerungen, die wir ziehen, gehen immer im Gehalt über das hinaus, was wir eigentlich technisch genau beobachtet oder experimentell nachgewiesen haben."
Standards der Wissenschaft sind nicht aus einer höheren Rationalität ableitbar
Jedes Experiment besitzt ein bestimmtes Design. Man stellt Hypothesen auf, wählt Versuchstiere. Das Ergebnis ist daher zunächst einmal nur im Rahmen dieses Designs gültig. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass sich die Ergebnisse unter anderen Vorzeichen nicht bestätigen. Erst wenn viele gleichartige Experimente zum gleichen Ergebnis kommen, kann man von wissenschaftlicher Erkenntnis sprechen. Wissenschaft ist ein sozialer Prozess. Er beruht auf wissenschaftlichen Standards, mit denen sich Experimente vergleichen lassen. Ein solcher Standard ist zum Beispiel der so genannte Signifikanzwert p.
- Der p-Wert gibt an, ob ein Resultat rein zufällig entstanden sein könnte.
- Das Spektrum des p-Werts: zwischen Null und Eins.
- Je höher der Wert, desto weniger beruht das Ergebnis eines Experiments auf Zufall.
Das Problem ist für Torsten Wilholt, dass Wissenschaftler statistische Kenngrößen wie den p-Wert häufig als Garanten absoluter Rationalität missverstehen:
"Die gängigen Praktiken des Signifikanztestens in der Statistik spiegeln auch bestimmte Konventionen wieder und insbesondere die so genannten p-Werte, die für ein statistisch signifikantes Ergebnis stehen, sind nichts weiter als bestimmte Konventionen."
Die Standards der Wissenschaft sind nicht aus einer höheren Rationalität ableitbar. Auch sie müssen definiert werden. Geht es nur um Grundlagenforschung an Zellen oder um klinische Forschung am Menschen? Soll die Giftigkeit einer Substanz beurteilt werden oder das Alter eines Gesteins? Wilholt:
"Wie viele empirische Belege sind eigentlich genug Belege? Wie gut muss die Evidenz sein? Auf diese Frage hat die Logik keine Antwort, hat die Wissenschaft der Statistik keine Antwort, auf diese Frage kann auch die Philosophie letztlich keine Antwort geben, denn die Frage hängt ab von einer Beurteilung der Frage: Wie schlimm wäre es, falsch zu liegen? Und wie wichtig ist es uns, richtig zu liegen? Das müssen wir gegeneinander abwägen und nur wenn wir eine solche Abwägung machen können, können wir das beantworten: wie viel Belege sind uns genug?"
Wissenschaftler treiben den wissenschaftlichen Fortschritt voran. Der Wert ihrer Erkenntnisse erschließt sich aber nur im Rahmen dessen, was die Gemeinde der Wissenschaftler als Standard setzt und als Ergebnis akzeptiert.
- Schritt 1: Logik ist ein Teil der Rationalität.
- Schritt 2: Intuition ist ein Teil der Rationalität.
- Schlussfolgerung: Intuition und Logik bilden ein System, das Rationalität heißt.
Nächster Schritt: Die Rationalität der Individuen ist ein Teil der Rationalität des Kollektivs. Markus Knauff:
"Das ist sehr wichtig, dass sich bisher die Rationalität vor allem auf das Individuum konzentriert hat - wie kommen Individuen zu rationalen Entscheidungen? - aber da sehe ich auch eine Forschungsperspektive, dass wir auch überlegen müssen: Ist das nur die Rationalität von Individuen aufaddiert oder ist so etwas wie kollektive, gemeinsame Rationalität noch etwas anderes als nur das Aufaddieren einzelner."
Es sprachen: Claudia Matschula, Nikolaus Bender und Franz Lake
Ton und Technik: Hanna Steger und Oliver Dannert
Regie: Claudia Kattanek
Redaktion: Christiane Knoll
Online: Felix von Massenbach
Produktion: Deutschlandfunk 2016
Ton und Technik: Hanna Steger und Oliver Dannert
Regie: Claudia Kattanek
Redaktion: Christiane Knoll
Online: Felix von Massenbach
Produktion: Deutschlandfunk 2016