Natalie Brand fährt auf der A33 von Paderborn nach Rheda-Wiedenbrück. Jeden Tag hat sie eine andere Route. Sie mag ihren Job als Lkw-Fahrerin:
"Im Großen und Ganzen hat mich mein Papa so ein bisschen dazu gebracht. Wir haben damals mit Modellbau angefangen, kleine ferngesteuerte Autos im Maßstab 1:14. Das fand ich irgendwie ganz cool. Ein Bekannter von mir, der arbeitet bei uns in der Dispo, meinte dann, hey, du kannst ja mal ein Praktikum bei uns machen. Wir haben noch ein paar andere Fahrerinnen bei uns, kannst ja mal mitfahren und dir das angucken. Weil, wie das so ist, 16, fertig mit der Schule, was machst du danach?"
Bis zu 60.000 Fahrer fehlen
Die Antwort war für die inzwischen 20-Jährige die Ausbildung zur Berufskraftfahrerin. Natalie ist eine Ausnahme – in mehrerer Hinsicht. Nur 2,5 Prozent des Fahrpersonals ist unter 25 Jahre alt. Und noch weniger sind weiblich – nämlich nur 1,7 Prozent. Für den Beruf entscheiden sich immer weniger Menschen. Dabei braucht die Branche dringend Nachwuchs. Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung:
"Im Moment fehlen nach verschiedenen Schätzungen in Deutschland 30.000 bis 60.000 Kraftfahrer. Jedes Jahr kommt ein Delta von 15.000 weiteren dazu. Das heißt, wenn wir jetzt nicht ganz schnell agieren, dann werden wir es merken, dass in einigen Bereichen die Produkte so nicht mehr verfügbar sind wie wir das gewohnt sind."
Fahrermangel hat Gründe
Fast ein Drittel des Personals ist 55 Jahre oder älter, jedes Jahr gehen fast 30.000 in den Ruhestand. Als Berufsanfänger folgt jedoch nur knapp die Hälfte nach. Dazu muss immer mehr transportiert werden, der Onlinehandel wächst. Man stehe vor dem Versorgungskollaps, so Engelhardt. Der Beruf des Kraftfahrers habe kein besonders gutes Image, sagt er. Das ergab auch eine Umfrage unter den Fahrerinnen und Fahrern.
90 Prozent der Befragten sehen das als ein Problem. Auch Natalie: "Jogginghose. Dicker Bierbauch. Ungepflegt." So sei das Klischeebild. Sie betont dabei, dass das überhaupt nicht mit der Realität übereinstimme. Was den Job für viele zudem unattraktiv mache, seien die Rahmenbedingungen der Arbeit, sagt Engelhardt. Dort gebe es Handlungsbedarf:
"Auf der einen Seite ist die Industrie, der Handel und die Verladerschaft gefordert, dass die Situationen an den Rampen besser werden. Sprich, dass die Fahrer dort Zugang zu sanitären Anlagen haben. Zum anderen brauchen wir eine Flexibilisierung der Lenk- und Ruhezeiten, dass die Fahrer zum Beispiel in Verbindung mit einer Wochenendruhezeit, sprich, wenn sie nach Hause zu ihren Familien wollen, auch ihren Heimatort sicher erreichen können."
Lange Arbeitszeiten erschweren Familienleben
Im Dezember erst hatten die EU-Verkehrsminister neue Sozialstandards für das Fahrpersonal beschlossen. Vor allem das Lohndumping sollte bekämpft werden. Doch es sei auch eine bessere Ausstattung der Fahrerhäuser nötig, damit Fahrerinnen und Fahrer sich dort bei langen Touren beispielsweise waschen oder hinlegen können. Die derzeitige Regelung der Lenk- und Ruhezeiten sorgt dazu für nicht gerade stressfreie Tage. Besonders, wenn man es mit anderen Jobs vergleicht, wie Natalie deutlich macht:
"Eine Schichtzeit von insgesamt 15 Stunden am Tag dürfen wir machen. Im Gegensatz zu Leuten die acht Stunden im Büro machen und danach nach Hause gehen."
Nebenbei das Privatleben zu organisieren, falle vielen schwer, sagt Natalie. Sie selbst hat dabei in ihrer Beziehung eine günstige Konstellation gefunden:
"Ich habe das Glück, dass mein Partner selber Lkw fährt, das heißt, auch Verständnis hat von seiner Seite aus. Wir haben so im Großen und Ganzen überhaupt keine Probleme, wir sehen uns am Wochenende, haben da dann Zeit zusammen. Mal passiert es, dass wir uns in der Woche unterwegs mal treffen, uns entgegenkommen oder auf einem Rastplatz ein kurzes Pläuschchen halten."
Die meisten in der Branche können Berufliches und Privates nicht so leicht vereinbaren. Dirk Engelhardt weiß, dass für die Akquise neuer Fahrerinnen und Fahrer etwas getan werden muss. Man müsse flexible Arbeitszeitmodelle anbieten, in denen sich Beruf, Freizeit und Familie besser kombinieren ließen.
Selbst in Osteuropa fehlt der Nachwuchs
Für Natalie ist auch die Bezahlung ein Problem. Von manchen Firmen bekomme man trotz der harten Arbeit nur den Mindestlohn. Auch weil Fahrpersonal aus Osteuropa zunehmend zur Konkurrenz geworden ist. Doch der Fahrermangel sei längst nicht mehr nur ein deutsches Problem, so Engelhardt:
"Wir hatten das in den letzten Jahren, aber mittlerweile vermelden die Kollegen in Polen auch, dass sie Fahrer suchen. Wir wissen aus Meldungen aus Rumänien, dass 30 Prozent der Fahrerstellen nicht besetzt werden können und so hört man das auch aus anderen Ländern. Auch da haben die jungen Leute das Thema Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Freizeitaktivitäten etc."
"Wir hatten das in den letzten Jahren, aber mittlerweile vermelden die Kollegen in Polen auch, dass sie Fahrer suchen. Wir wissen aus Meldungen aus Rumänien, dass 30 Prozent der Fahrerstellen nicht besetzt werden können und so hört man das auch aus anderen Ländern. Auch da haben die jungen Leute das Thema Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Freizeitaktivitäten etc."
Trotz aller Widrigkeiten – vom schlechten Berufsimage, über die verbesserungswürdigen Rahmenbedingungen bis hin zur ausbaufähigen Bezahlung – Natalie liebt ihren Job als Fahrerin, aus gutem Grund: "Für mich ist ganz klar: meine Freiheit. Ich hab keinen Chef im Nacken sitzen, ich bin einfach mein eigener Herr."