Christoph Sterz: Wie sind Journalisten mit der AfD umgegangen? Und wie sollten sie mit der Partei umgehen? Das ist eine Diskussion dieser Tage zwischen Politikern und Journalisten auf Bundesebene. Wer eher nicht zu Wort kommt: Die Journalisten, die mit der AfD Tag für Tag zu tun haben vor Ort, im Lokalen. Das wollen wir ändern. Deshalb habe ich heute Mittag mit der Chefreporterin der Lausitzer Rundschau, Simone Wendler gesprochen – in deren Berichtsgebiet die AfD zum Teil 40 Prozent der Zweitstimmen bekommen hat. Und wenn Simone Wendler so die AfD-Medien-Diskussion verfolgt, denkt sie als Lokaljournalistin Folgendes:
Simone Wendler: Ich verfolge das sehr aufmerksam und ich beobachte, dass wir als Journalisten natürlich für diese neue Partei, die ja doch einige neue Besonderheiten aufweist, manchmal noch nicht so das richtige Gefühl im Umgang haben. Also, die Unsicherheit: Macht man zu viel oder macht man zu wenig? Das beschäftigt mich natürlich in Cottbus auch und auch Kollegen. Wenn ich an manche Talkshow denke, die ich in den letzten Monaten so gesehen habe, dann denke ich auch: Vielleicht haben sich die Kollegen die Themen auch zu sehr diktieren lassen. Also, ich glaube, wenn es da immer nur um die Flüchtlinge geht, dann geht es ja um das eigentlich zentrale und fast monothematische Standbein der AfD. Mich hätte gefreut, wenn man Herrn Gauland mal nach dem Rentenkonzept gefragt hätte oder nach so ein paar anderen Dingen und ihn dann hätte auch nicht so leicht davon kommen lassen, wenn er sagt: 'Haben wir eben noch nicht' – wie neulich bei Anne Will.
Sterz: Nun ist ja die Beziehung zwischen AfD und Medien kompliziert. Bemerken Sie das auch jetzt? Oder haben Sie es bereits schon bemerkt?
Wendler: Ich habe das sehr massiv erlebt. Wir haben hier in der Lausitz eine interessante Besonderheit. Da muss ich kurz ausholen: Im Herbst 2015, als die Flüchtlingskrise losging, hat sich im Spreewald ein Verein gegründet, 'Zukunft Heimat', die haben angefangen gegen die Einrichtung eines Flüchtlingsheims zu protestieren. Und daraus hat sich bis heute ein Verein entwickelt, der dauerhaft immer wieder gegen Flüchtlingsaufnahme protestiert und sehr, sehr eng von Anfang an mit der AfD verbunden ist. Und das sind Sachen, da bin ich als Journalistin vor Ort gewesen, auch bei Saalveranstaltungen der AfD. Da wird man schon angemacht in Richtung Lügenpresse. Oder bei einer Kundgebung brüllt eben mal einer so zwanzig Meter über den Platz: 'Na Frau Wendler, schreiben Sie morgen wieder Ihre Lügen?' In der Art und Weise wird man dann schon angegangen.
Sterz: Das Problem ist dann ja auch, dass man sich gar nicht so weit davon entfernen kann, wenn man dann auch in der Region lebt, aus der man berichtet.
Wendler: Das ist es. In Berlin oder so - da können Sie sich im Einwohnermelderegister sperren lassen, dass man Ihre Adresse nicht so leicht rauskriegt. Ich wohne am Stadtrand von Cottbus im eigenen Haus. 100.000 Einwohner hat die Stadt. Das ist sinnlos, dort die Adresse sperren zu lassen. Meine Wohnanschrift rauszubekommen ist eine Kleinigkeit für jeden, der das will. Vor allen Dingen: Man ist ja in der Stadt unterwegs. Wenn man hier lebt vor Ort, dann kann man sich wirklich nicht verstecken, und für Kollegen, die in kleineren Orten wohnen und arbeiten - 20.000 Einwohner - da wird das immer enger. Und da wird das immer prekärer.
Sterz: Sie haben lange in Neonazi-Kreisen recherchiert, sind da massiv angefeindet worden: Es flog sogar mal ein faustgroßer Stein durch ihr Wohnungszimmer. Werden Sie jetzt eigentlich auch wieder persönlich angefeindet?
Wendler: Nein, es ist eine völlig andere Dimension. Ich glaube auch, dass aus der klassischen AfD-Klientel eine solche Bedrohung nicht kommen wird. Also, damit rechne ich nicht - überhaupt nicht. Aber wie gesagt, diese Anpöbeleien auf der Straße bei Veranstaltungen, wenn man dorthin kommt – auf so was muss man sich schon gefasst machen. Wir hatten hier kurz vor der Wahl eine Abschlussveranstaltung mit Gauland und auf dem Platz hatte mich dann auch eine Frau so, ja, aus der Nähe heraus so was zu mir gerufen: 'Na Frau Wendler, sind Sie wieder hier, um Ihre Lügen zu verbreiten?' Und dann bin ich einfach in die Menge rein auf die Frau zu und habe höflich zu ihr gesagt: 'Also, wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, gehen wir an den Rand. Wenn nicht, hören Sie bitte auf, mich hier so zu anzupöbeln.'
Unterstützung von Kollegen
Sterz: Und was ist dann passiert?
Wendler: Und daraufhin haben sich ungefähr - ich schätze so - zwanzig Leute, die unmittelbar darum standen, relativ eng um uns beide rumgeschlossen und dann laut skandiert: 'Wendler raus'. Also, hinterher hat eine Kollegin zu mir gesagt: 'Du kannst dich jetzt geadelt fühlen. Du bist jetzt mit der Bundeskanzlerin auf einer Ebene. Die schreien jetzt nicht mehr Merkel raus, sondern Wendler raus.' Also, das war nicht wirklich bedrohlich. Aber das ist natürlich schon ein Ausdruck, wie dort einfach die Emotionen hochkochen und die Leute auch völlig die Contenance verlieren. Es ist unangenehm. Es ist sehr unangenehm. Und wenn man das vielleicht nicht gewohnt ist - wenn man so was vielleicht das erste Mal erlebt, dann hat das auch ein Einschüchterungspotential. Ich bin - wie gesagt - aus den Neonazi-Kreisen Schlimmeres leider gewohnt, so dass mich das nicht so tief beeindruckt. Aber schön ist das alles nicht. Und ich bedauere das, weil man kommt ja damit auch nicht mehr ins Gespräch. Leute, die sie anschreien, die wollen ja mit Ihnen nicht reden. Denen können Sie auch keine Fragen mehr stellen.
Sterz: Ich habe ein bisschen in unserem Archiv gewühlt und dabei eine Aussage von Ihnen gefunden aus dem Jahr 2010. Sie werden da zitiert mit den Worten: Auf dem Land ist die Pressefreiheit gefährdet. Zu den Gemeinderäten schafft es meist Niemand, das bedeutet: die NPD kann da ohne journalistische Kontrolle machen, was sie will. Würden Sie das heute in AfD-Zeiten wieder so sagen?
Wendler: Es ist leider die Realität. Alle wissen ja, unter welchem Druck die Medienbranche steht, vor allen Dingen auch die Regionalzeitungen. Und die Lokalredakteure der Lokalzeitungen sind eigentlich die Journalisten, die immer in der Fläche vor Ort sind, gerade in Flächenländern in dünnbesiedelten Regionen. In den letzten Jahren ist dort überall das Personal ausgedünnt worden, und wo Journalisten nicht mehr körperlich vor Ort sind, zu Veranstaltungen, um dort Prozesse, Diskussionen live mitzubekommen, da tun sich Freiräume auf, die ich für demokratiegefährdend halte. Ich habe aber auch keine Antwort, wie man dieses Problem jetzt lösen kann, weil die finanzielle Situation der Regionalzeitung ist, so wie sie ist.
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