In fünf Minuten beginnt die Sitzung. Eiligen Schrittes rauscht Caitlin Webb die langen Flure hinunter. Es ist zehn Uhr morgens in Maidstone in der Grafschaft Kent. Im großen Saal des Ratsgebäudes tagt der Prüfausschuss. Caitlin Webb nimmt auf der Galerie Platz. Wie eigentlich jeden Tag ist sie die einzige Reporterin hier.
Gemeindevertreter Ben Watts schaut direkt zu Caitlin hoch, während er das aktuelle Thema Messerstechereien anspricht: Nirgendwo im Land ist die Zahl der Messerattacken so stark gestiegen wie in der Grafschaft Kent.
"Ich habe gestern Abend etwas über die Messerstechereien geschrieben, das erschien dann auch bei BBC-Südost. Denen ist also bewusst, dass das Thema in aller Munde ist."
Caitlin Webb verfolgt die Debatte und macht sich in Steno Notizen. Die 28-Jährige ist "Local Democracy Reporter", also lokale Demokratiereporterin. Als sie im Januar vergangenen Jahres diesen Job annahm, war sie noch die erste Reporterin dieser Art in ganz Großbritannien - mittlerweile gibt es fast 150. Das Besondere: Das Geld für ihre Stelle kommt von der BBC, Caitlin ist aber bei einem privaten Zeitungsverlag angestellt.
Mehr als 130 "Demokratiereporter" inzwischen
Wegen Kostendrucks wurde kaum noch über Kommunales berichtet. Deswegen haben sich die gebührenfinanzierte BBC und der Verlegerverband News Media Association zusammengetan. Matthew Barraclough von der BBC leitet das ungewöhnliche Projekt:
"Sowohl auf Seiten der BBC als auch auf Seiten der Verleger und Journalisten gab es diese Gedanken: Wird das jemals klappen? Und jetzt können wir auf ein Jahr lokale Demokratiereporter zurückblicken: Wir haben mehr als 130 Journalisten, die im ganzen Land arbeiten. Und als ich zuletzt nachgeschaut habe, waren es 70.000 Artikel, die im Interesse der Öffentlichkeit geschrieben wurden. Das wäre ohne sie nicht möglich gewesen."
Acht Millionen Pfund - umgerechnet 9,2 Millionen Euro gibt die BBC jährlich für die Partnerschaft mit den Verlagen aus. Lokalreporter wie Caitlin erhalten umgerechnet ein Gehalt von gut 2.000 Euro im Monat. Caitlins Artikel können nicht nur in den 13 Zeitungen von KM Media oder bei Kent Online veröffentlicht werden, auch andere Partnerverlage und dürfen sich bedienen. Die BBC-Lokalredaktion lädt sie regelmäßig zu Kollegengesprächen ins Studio ein. Anfangs sorgte Caitlins Sonderrolle als Demokratiereporterin für Irritation.
"Als ich das erste Mal in die Redaktion kam, wurde ich gefragt, was ich denn machen würde. Und dann hieß es: 'Ok, du gehst also den ganzen Tag zu Ratssitzungen? Klingt ja sehr spannend.' Wir Demokratiereporter schicken immer am Anfang der Woche eine Übersicht herum. Die guten Absprachen sind wichtig in diesem Job, ich will schließlich niemandem im Weg stehen. Meine Aufgabe ist es eine Lücke zu füllen."
Auch bei den Ratsmitgliedern musste erst einmal ein Umdenken stattfinden. Reporter hatte es eine Weile nicht mehr in den Sitzungen gegeben. Und als junge Frau unter den überwiegend älteren Männern fiel Caitlin Webb sowieso auf.
"Ja, als ich anfing, hatten die Ratsmitglieder die Auffassung, sie könnten so locker und flapsig daherreden und das später wieder geradebiegen. Aber als ich da war und ihre Kommentare dann in den Lokalzeitungen oder im Radio landeten. Da setzte ein Umdenken ein: Die Ratsmitglieder verstanden, dass jemand da ist, der sie zur Rechenschaft zieht."
Lokalpolitik wird wieder sichtbarer
Caitlin - die erste Demokratiereporterin - tauscht sich auch mit ihren Kollegen bei anderen Verlagen aus. Sie hat für alle eine Chatgruppe eingerichtet. Zum Austausch von Sorgen, aber für Tipps und Themenideen.
Caitlin hat früher in einer lokalen Nachrichtenagentur gearbeitet und war einige Jahre im PR-Bereich in Brüssel und Luxemburg tätig. Ihren Platz als lokale Demokratiereporterin hat sie sich im vergangenen Jahr erfolgreich erarbeitet.
"Mittlerweile gehöre ich hier praktisch schon zum Mobiliar: Ich gehe jeden Tag zu den Sitzungen, weiß was in welchen Ausschüssen vor sich geht. Und kann manchmal schon vorhersagen, was gesagt wird. Das wäre nicht möglich, wenn ich auch noch über Gerichtsprozesse oder Verkehr berichten müsste, was ich es in meinem vorherigen Job musste."
Die BBC und die britischen Zeitungsverlage haben für diese ungewöhnliche Partnerschaft Vorbehalte auf allen Seiten überwinden müssen. Die grundlegenden Probleme von Lokalzeitungen kann das Projekt nicht lösen. Aber es kann einen Beitrag dazu leisten, die in der Berichterstattung vernachlässigte Lokalpolitik wieder sichtbarer zu machen.