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Lokaljournalismus in Schweden
Weiße Flecken beseitigen

In jeder vierten schwedischen Kommune gibt es keine lokale Nachrichtenredaktion mehr. Das hat das Institut für Medienstudien in Stockholm herausgefunden. Jetzt will die schwedische Regierung Medien in genau diesen Regionen stärker fördern und reformiert die staatliche Presse-Förderung.

Von Victoria Reith |
    Im Eingangsbereich der Bibliothek in Haninge, einer der 85.000-Einwohner-Stadt 45 Minuten von Stockholm entfernt, stehen Dutzende Tageszeitungen aus Schweden und der Welt in dafür vorgesehenen Fächern.
    Bibliothek in Haninge - im Eingangsbereich stehen Tageszeitungen aus Schweden und der Welt (Deutschlandfunk / Victoria Reith)
    Die Bibliothek in der 85.000-Einwohner-Stadt Haninge, 45 Minuten von Stockholm entfernt. Im Eingangsbereich stehen Dutzende Tageszeitungen aus Schweden und der Welt in dafür vorgesehenen Fächern. Doch keine aus Haninge selbst. Denn die Stadt hat keine lokale Nachrichtenredaktion – wie 72 andere Kommunen in Schweden, jede vierte muss ohne ortsansässige Journalisten auskommen. Nur ein kostenloses anzeigenfinanziertes Blatt landet hier einmal wöchentlich im Briefkasten der Einwohner.
    Im Lesesaal sitzt Mirza, Mitte 30, auf einem Sessel. Er findet es traurig, dass es hier keine Lokalredaktion gibt.
    "Wenn man eine Zeitung hätte, die Kultur und Sport abdecken würde, würde das vielleicht auch helfen, dass sich Menschen mehr im Vereinsleben hier engagieren und eine Wahrnehmung dafür entwickeln."
    Gerade als Nachbarkommune von Stockholm bestehe die Gefahr, von der Hauptstadt dominiert zu werden.
    370 Journalisten wurden in den vergangenen Jahren in schwedischen Nachrichtenredaktionen entlassen, ein Rückgang um sieben Prozent. Und die Werbeeinnahmen sind in den vergangenen zehn Jahren zurückgegangen. Das Gratis-Angebot im Netz macht es den Zeitungen zusätzlich schwer.
    "Je mehr lokale Medienkontrolle, desto weniger Korruption"
    Im Institut für Medienstudien im südlichem Zentrum Stockholms hat man in einer Studie zu "Weißen Flecken" im Lokaljournalismus untersucht, was es bedeutet, wenn es keine Zeitung in einer Kommune gibt. Lars Truedson ist der Herausgeber:
    "Das Risiko besteht, dass die Bevölkerung nicht weiß, was zum Beispiel in der Kommunalpolitik, mit den lokalen Firmen und der Zivilgesellschaft geschieht. Es gibt weniger Kontrolle, was die Politik und Firmen machen. Aber es gibt auch weniger Diskussionen zwischen den Mitbürgern oder zwischen den Eliten."
    Die Medien förderten zudem das Vertrauen der Bürger in gesellschaftliche Institutionen.
    "Und es ist auch belegt: je mehr lokale Medienkontrolle, desto weniger Korruption."
    Staatliche Zuwendung soll um 20 Prozent steigen
    Das hat auch die Regierung erkannt und nach zweijährigen Beratungen einen Vorschlag zur Reform der staatlichen Zuwendung für Tageszeitungen vorgelegt. Der sogenannte Presstöd wurde 1965 ursprünglich als Förderung von Parteizeitungen eingeführt, dann auf die unabhängige Presse ausgeweitet und seither mehrmals reformiert. Die neueste Reform soll zum 1. Januar 2019 in Kraft treten, vorausgesetzt das schwedische Parlament und die EU-Kommission stimmen zu. Der staatliche Zuschuss soll um 20 Prozent erhöht werden auf insgesamt rund 66 Millionen Euro. Medienforscher Truedson:
    "Das wird das traditionelle System stärken und Zeitungen am Leben halten, die sonst wegen der Bedingungen am Markt untergegangen wären."
    Auch zum Ausbau von E-Paper und Apps
    Bisher wurden ausschließlich Wochen- und Tageszeitungen mit mehr als 1.500 Abonnenten gefördert - etablierte Medien. Das will die Regierung nun ändern. Eine neue Zulage richtet sich gezielt an Tageszeitungen, die ab 2019 auch Gelder erhalten können, um ihre E-Paper und Apps weiter auszubauen.
    Außerdem soll zum Jahreswechsel eine Extraförderung für medienarme Gegenden - wie Haninge - kommen. Knapp 100.000 Euro im Jahr soll es maximal pro Kommune geben, für eine oder mehrere Redaktionen. Das sei zwar nicht wahnsinnig viel Geld, sagt Lars Truedson vom Institut für Medienstudien:
    "Aber ich kann mir vorstellen, dass es einfacher wird, wirtschaftlichen Aufschwung in lokale Nachrichtenseiten zu bringen, von denen es in Schweden einige hundert gibt. Die sind oft ideell oder getrieben von jemandes Enthusiasmus oder dessen Fähigkeit, Anzeigen zu verkaufen."
    Und für Gratismedien
    Das Geld darf nur für Kosten verwendet werden, die direkt mit der journalistischen Arbeit zusammenhängen, insbesondere redaktionelle Ausgaben, so die Regierung in einer Pressemitteilung. Bekommen können die neue Förderung gedruckte Zeitungen, Onlinemedien, Radio und Fernsehen - auch Gratismedien. Die genauen Kriterien arbeitet die Regierung derzeit noch aus. Regelmäßiges Erscheinen, ein bestimmter Anteil eigenen redaktionellen Inhalts, einen verantwortlichen Herausgeber und die Beachtung medienethischer Prinzipien sollen Voraussetzung für die Förderung sein.
    Die Mittel sollen helfen, Gegenden, über die bisher kaum berichtet wurde, wieder in den Fokus zu rücken. Dass daraus gänzlich neue Medien erwachsen - nach der Meinung von Medienforscher Lars Truedson unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.