Analog hämmern für die digitale Zukunft: Redaktionsbesuch im modernen Verlagsgebäude der "Schwäbischen Zeitung" am Rande der Innenstadt in Ravensburg.
"Wir expandieren im Digitalen massiv. Wir haben 15 neue Stellen insgesamt im Haus, die sich nur ums Digitale kümmern. Und ein Teil davon hier ist im Großraum, in dieser Redaktion. Und es wird mehr Lärm geben. Und um dieses Problem zu lösen, Lärm und besseres Monitoring usw., haben wir uns hier noch entschlossen, eine Glaswand zu bauen."
Hendrik Groth, seit Juli 2011 Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung", hat ein großes Ziel vor Augen: Den digitalen Wandel einer lokalen Tageszeitung so zu stemmen, dass am Ende schwarze Zahlen herauskommen. "Big Picture" heißt diese digitale Frühjahrsoffensive.
Neue Werkzeuge fürs Digitale
"'Big Picture' ist eigentlich, wenn Sie so wollen, der Dachbegriff für unsere Gesamtstrategie. Und die heißt: Wir wollen versuchen, mehr Abonnenten zu bekommen. Wir versuchen, fest Abonnenten in die digitale Welt mit hinüberzubringen. Da sind wir jetzt weit über 20.000. Und wir wollen das weiter ausarbeiten. Und da brauchen wir halt solche Sachen wie 'Artikel-Score'."
"Artikel-Score" - das ist ein eigenes digitales Werkzeug, das Mitarbeiter der "Schwäbischen Zeitung" entwickelt haben, mit der Fragestellung: Was wird gelesen? Vor allem aber: Wie wird was gelesen? Dabei ist die Anzahl der Klicks, die ein Artikel erzielt, nur eines von mehreren wichtigen Kriterien. Michael Wollny ist seit kurzem neuer Digital-Chef-vom-Dienst bei der Schwäbischen Zeitung:
"Wir schauen auch, ob der User, bei dem Klick, den er auf einen Artikel gemacht hat, danach sofort wieder weggegangen ist. Das kann verschiedene Gründe haben. Entweder war die Meldung nur sehr kurz. Dann gibt es eben nicht so viel zu lesen. Oder er war einfach nicht zufrieden. Oder er ist auf dem Artikel sehr lange geblieben, hat dann sich vielleicht noch eine Bildergalerie angesehen oder ein Video, das eingebettet war."
Schwäbische Zeitung setzt auf Personalisierung
Aus den Daten, die mit "Artikel-Score" gewonnen werden, lassen sich in Echtzeit Rückschlüsse auf die Interessen der Leser ziehen: Was finden sie spannend? Welche Darstellungsformen kommen an? Wie wichtig ist die Ergänzung von Texten mit multimedialen Elementen wie Videos, Bildern, Grafiken, Audiodateien? Auf der Basis dieser Daten lassen sich die Beiträge passgenauer gestalten - und nicht nur das: passgenau sollen in einem zweiten Schritt auch die Inhalte auf den einzelnen Nutzer zugeschnitten werden. Wenn zwei Leser mit ihrem jeweiligen Zugang dieselbe Seite anklicken, bekommen sie jeweils etwas anderes zu sehen:
"Vielleicht auch durch einen Algorithmus. Er interessiert sich für Volleyball, klickt er regelmäßig, dann bekommt er auch Volleyball. Er interessiert sich vielleicht auch für Gartenarbeit, klickt das regelmäßig an. Sobald wir einen Artikel da auch auf der Seite haben, wir der ihm zugespielt."
Klingt so ein bisschen nach dem, was Google, Facebook und Co. schon lange tun: Nämlich den Nutzern genau jene Inhalte zuspielen, die sie sehen wollen. Doch genau davon müsse sich eine Tageszeitung wie die "Schwäbische" unterscheiden. Und so werde dann nur ein Teil der Inhalte, die ein Nutzer zu lesen bekommt, aufgrund seiner persönlichen Präferenzen zugeleitet.
"Wichtig ist allerdings bei so etwas nur, dass man seine journalistische Hoheit nicht aufgibt, bei den wichtigen Begriffen und bei den prominenten Platzierungen auf der Seite, um eben auch dem Leser draußen zu signalisieren: Das erachten wir aus journalistischen Gesichtspunkten für wichtig, das sollte eigentlich heute auch gelesen werden."
Miteinander von gedruckten und digitalen Inhalten
Hier die journalistische Kompetenz, dort die Individualisierung des Angebotes: mit diesem Mix sollen Leser dauerhaft - und nachhaltiger als bisher - bei Laune und beim Abo gehalten werden. Hinzu komme ein neues Miteinander von gedruckten und digitalen Inhalten, so Hendrik Groth:
"Wir versuchen, so viel wie möglich voneinander zu wissen. Und dann entscheidet sowohl Digital für sich wie Print für sich. Es kann sehr wohl sein, dass im Digitalen die Geschichte anders erzählt wird als im Printbereich."
Michael Wollnik erläutert dies an einem Beispiel:
"Also wir hatten ein digitales Storytelling auf der Seite. Da ging es um den 75. Jahrestag der Bombardierung von Friedrichshafen. Und das war ein sehr zeitintensives, rechercheintensives Storytelling, digital aufbereitet einerseits mit Text für die Seite 3 im Print, andererseits dann eben auch mit Interviews von Zeitzeugen, die mit Videosequenzen eingespielt waren. Es gab eine Grafik, wo einfach nochmals der Anflug der Bomberstaffel damals auf Friedrichshafen nachgezeichnet wird. Und genau da hat diese Symbiose zwischen Print und Digital auch stattgefunden, die ich persönlich auch sehr wichtig finde."
Digitale Stellen sollen über Abos finanziert werden
Eine Symbiose, die, so glaubt es Chefredakteur Hendrik Groth, in dieser Form auch die Leser überzeugen wird. "Meine Hoffnung ist, dass wir diese 15 neuen Stellen in zwei, drei Jahren finanzieren über die Abos."
Und zwar über neue digitale Abos. "Ob es uns gelingt, komplett den Abo-Rückgang im Print auszugleichen, ist ein Ziel von uns. Ich hoffe auch, dass wir es erreichen. Aber da glaube ich nicht, dass wir das in den nächsten zwei, drei Jahren schaffen."