Dauderstädt kritisierte, dass die Bahn weiterhin darauf bestehe, dass keine unterschiedlichen Tarifverträge im Betrieb gelten dürften. Solange diese Kernfrage nicht gelöst sei, werde auch keine Einigung in dem Tarifstreit erzielt, sagte er.
Zugleich verteidigte er das Vorgehen der Lokführergewerkschaft GDL. Man dürfe dieser Berufsgruppe nicht das Streikrecht verweigern, was anderen auch zustehe. "Es wird immer eine nächste Eskalationsstufe darauf gepackt werden müssen, um Druck auf Arbeitgeber, der sich nicht bewegt, zu erhöhen", sagte Dauderstädt im Deutschlandfunk.
Ferner betonte er, dass der Deutsche Beamtenbund noch genügend Geld habe, um den Streik weiter zu unterstützen. "An den Finanzen wird das auf keinen Fall scheitern."
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Bei der Bahn wird weiter gestreikt. Das Frankfurter Amtsgericht hat gestern eine einstweilige Verfügung der Bahn abgelehnt. Das ist heute Morgen auch die Top-Nachricht. Die Entscheidung kam kurz vor Mitternacht. Die Bahn hatte versucht, mit dieser Verfügung den Streik der Lokführer verbieten zu lassen. Es gab dann noch einen Versuch, einen Vorschlag der Arbeitsrichterin, es zu einer Vermittlung kommen zu lassen. Das haben die Lokführer abgelehnt, also es wird weiter gestreikt.
Klaus Dauderstädt ist der Bundesvorsitzende des Deutschen Beamtenbundes und Tarifunion, und dazu gehört auch die eigentlich kleine Gewerkschaft der Lokführer GDL. Guten Morgen, Herr Dauderstädt!
Klaus Dauderstädt: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Freuen Sie sich für Ihren Kollegen Weselsky und für die GDL, dass weiter gestreikt werden darf?
Dauderstädt: Ich freue mich nicht, weil ich den Streik als solches für großartig halte und die Auswirkungen für die Bevölkerung begrüßen würde. Ich freue mich, dass in der Auseinandersetzung mit der Bahn keine Niederlage eingefahren wurde, sondern ein Etappensieg da ist. Der ist vielleicht die Grundlage für eine Verständigung, die gestern Nacht leider ein weiteres Mal gescheitert ist.
Meurer: Also keine Schadenfreude, aber Genugtuung darüber, dass gestreikt werden darf?
Dauderstädt: Es wäre ja mehr als problematisch auch für uns gewesen, die wir diesen Arbeitskampf bisher mitgetragen haben, wenn das Arbeitsgericht diesen nun für unzulässig erklärt hätte.
Streit um Tarifverträge ist der Kernpunkt der Auseinandersetzung
Meurer: Es hat ja gestern Abend einen Versuch gegeben. Die Richterin des Arbeitsgerichts hatte vorgeschlagen, setzt euch doch zehn Tage lang zusammen, beratet über alles, in der Zeit darf aber nicht gestreikt werden, und das hat die GDL abgelehnt. Eine gute Idee, wieder einmal eine Vermittlung abzulehnen?
Dauderstädt: Von diesem Vorschlag konkret weiß ich nichts. Ich weiß, dass es eine Formulierung gegeben hat, bei der Verfahrensregelungen für künftige Tarifverhandlungen festgeschrieben werden sollten. Das wäre ja eine plausible Kompromissgrundlage gewesen. Allerdings hat die Bahn auch da immer noch bei allem Entgegenkommen, das sie vielleicht inzwischen gezeigt hat, darauf bestanden, dass es auf gar keinen Fall mit unterschiedlichen Gewerkschaften im Betrieb differierende Tarifverträge geben darf.
Das ist der Kernpunkt der Auseinandersetzung und solange das nicht geklärt ist, denke ich mal, ist auch ein Kompromiss schwierig und ist auch ein Zusammensitzen für zehn Tage nicht idealtypisch.
Meurer: Aber Sie sagen selbst, die Bahn hat einiges Entgegenkommen gezeigt. Präsentiert sich Weselsky zu hart?
Dauderstädt: Es ist der Kernpunkt der Angelegenheit, der nicht gelöst ist. Wir haben ja vorgeschlagen, ...
Meurer: Aber darüber kann man doch reden und sich zusammensetzen, anstatt zu streiken.
Dauderstädt: Ja, das könnte man sicherlich tun. Zunächst aber muss die Bahn in der Kernfrage, glaube ich, deutlich machen, dass sie hier in diesem Punkt nicht weiter beharrt, sondern sich flexibel zeigt. Solange die Bahn an dieser Stelle immer pauschal Nein gesagt hat und auch Nein sagen wird - und ich fürchte, das hat sich jetzt auch nicht geändert durch den gestrigen Vergleichsvorschlag und den Zusammensetzungsvorschlag der Arbeitsrichterin -, werden wir keine Einigung bekommen.
Meurer: Aber ist das so, wie sie es gerade schildern, Herr Dauderstädt? Die Bahn ist ja seit letzter Woche bereit, darüber zu reden, ein Verfahren zu entwickeln, wie auch die GDL einen Tarifvertrag ausarbeiten darf, mit ausarbeiten darf, der nicht nur für Lokführer, sondern auch Zugbegleiter gilt? Das ist doch eine Brücke, über die man gehen könnte, oder?
Dauderstädt: Das war zunächst mal die mindeste Voraussetzung, denn dass eine Gewerkschaft für die Mitglieder, die sie organisiert, auch Arbeitsbedingungen regeln will, gehört ja zum Alltag.
Das Problem war ja: Was passiert, wenn sich die Bahn mit den beiden Gewerkschaften, die beide diese gleiche Gruppe organisieren, nicht verständigen kann auf einen inhaltlichen gleichen Tarifvertrag. Ich habe dazu einen Vorschlag gemacht, so zu verfahren, wie wir das an vielen anderen Tariftischen in dieser Republik tun, nämlich nach einem sogenannten G-Formel-Verfahren, am gleichen Tag, am gleichen Ort, mit der gleichen Arbeitgeberkommission parallel zu verhandeln und immer wieder den Verhandlungstisch zu wechseln. Das hat die Bahn inzwischen akzeptiert, da haben Sie Recht, aber immer noch mit der Bedingung, am Ende darf nur ein Tarifvertrag herauskommen.
Die GDL hat gestern Abend gefordert, dass in dieser Vergleichstext-Vereinbarung auch enthalten sein muss eine Passage, dass es denkbar ist, einen Typtarif pluralen Ausgangs zu haben, dass der nicht ausgeschlossen sein darf - in der Sorge, dass alle kommenden Zusammenkünfte von der Bahn wieder geprägt werden mit der Bedingung, es darf am Ende nur ein Tarifvertrag stehen.
Das Problem war ja: Was passiert, wenn sich die Bahn mit den beiden Gewerkschaften, die beide diese gleiche Gruppe organisieren, nicht verständigen kann auf einen inhaltlichen gleichen Tarifvertrag. Ich habe dazu einen Vorschlag gemacht, so zu verfahren, wie wir das an vielen anderen Tariftischen in dieser Republik tun, nämlich nach einem sogenannten G-Formel-Verfahren, am gleichen Tag, am gleichen Ort, mit der gleichen Arbeitgeberkommission parallel zu verhandeln und immer wieder den Verhandlungstisch zu wechseln. Das hat die Bahn inzwischen akzeptiert, da haben Sie Recht, aber immer noch mit der Bedingung, am Ende darf nur ein Tarifvertrag herauskommen.
Die GDL hat gestern Abend gefordert, dass in dieser Vergleichstext-Vereinbarung auch enthalten sein muss eine Passage, dass es denkbar ist, einen Typtarif pluralen Ausgangs zu haben, dass der nicht ausgeschlossen sein darf - in der Sorge, dass alle kommenden Zusammenkünfte von der Bahn wieder geprägt werden mit der Bedingung, es darf am Ende nur ein Tarifvertrag stehen.
"Streik ist immer die Ultima Ratio"
Meurer: Das klingt alles wahnsinnig kompliziert. Ist es nicht sinnvoll, weiter zu verhandeln? Ist Streik ein verhältnismäßiges Mittel, ein Streik, in den Millionen von Bahnkunden reingezogen werden und mittlerweile die halbe deutsche Wirtschaft?
Dauderstädt: Über die Verhältnismäßigkeit hat die Arbeitsrichterin gestern ja entschieden. Generell, meine ich, muss man sagen, Streik ist immer die Ultima Ratio, die allerletzte Lösung in einer Auseinandersetzung zwischen den Sozialpartnern. Das ist nie gut.
Die Perspektive heißt aber, dass ein Streik eskaliert, wenn die Arbeitgeberseite sich nicht bewegt. Da gibt es eine interne Dynamik. Es wird immer eine nächste Eskalationsstufe draufgepackt werden müssen, um den Druck auf den Arbeitgeber, der sich nicht bewegt, zu erhöhen. Und die Perspektive, dass hier eine Berufsgruppe im Arbeitskampf sich befindet, deren Arbeit nun einen sehr starken gesellschaftlichen Kontakt hat, ist das, was das problematisch macht. Das räume ich ein. Aber man darf dieser Berufsgruppe deswegen nicht die Rechte, die man allen anderen Berufsgruppen und Gewerkschaften ja zugesteht, verweigern.
Es wäre ähnlich, wenn Ärzte, Piloten oder Kita-Mitarbeiterinnen streiken. Auch das würde die Bevölkerung hart treffen. Hier können wir zwar das nachvollziehen und bedauern, aber in der Kernaussage muss es heißen, die Lokführer haben auch ihr Streikrecht.
"Wir entscheiden das von Runde zu Runde"
Meurer: Die Kita-Erzieherinnen hatten damals für ihr Gehalt gekämpft. Das war kein Machtkampf zwischen zwei Gewerkschaften - wäre ein Unterschied.
Was sich viele fragen, Herr Dauderstädt: Ihr Beamtenbund bezahlt ja das Streikgeld für die Lokführer im Streik. Bleibt es dabei, dass Sie das bezahlen?
Dauderstädt: Wir entscheiden das von Runde zu Runde. Die Mitgliedsgewerkschaften des DBB haben einen Anspruch auf Streikgeld-Unterstützung. Wir bezahlen nicht den kompletten Streik. Wir unterstützen die Organisationen dabei und die GDL muss jeweils für jede Passage ihres Arbeitskampfes einen entsprechenden Antrag stellen.
Meurer: Stimmt das, dass Sie pro Tag 50 Euro bezahlen und pro Streikendem?
Dauderstädt: Die Streikgeld-Unterstützungsordnung sieht diesen Betrag maximal vor. Wir zahlen zehn Euro für die ausgefallene Stunde, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer abzieht, maximal für fünf Stunden an einem Tag. Wenn also einer nur morgens bis vier Uhr im Dienst war und nur vier Stunden gestreikt hat, kriegt der auch nur 40 Euro.
Meurer: Also Sie halten langsam die Hand auf Ihre Kasse. Ist noch genug Geld darin für wochenlange Streiks?
Dauderstädt: An den Finanzen wird das auf keinen Fall scheitern.
Man war in den Verfahrensfragen nicht mehr weit auseinander
Meurer: Sie sagen, Sie überprüfen Woche für Woche. Wann werden Sie sagen, jetzt machen wir nicht mehr mit?
Dauderstädt: Ich baue zuversichtlich darauf, dass in der Revisionsentscheidung des Landesarbeitsgerichts heute noch mal ein Versuch gemacht wird, die strittigen Verfahrensfragen - da war man ja gestern nicht mehr weit auseinander, was ich gehört habe - noch einmal zu lösen. Das wäre vielleicht sogar ein Signal, den Arbeitskampf zu beenden und keine weitere Fortsetzung zu bekommen, sondern in Verhandlungen überzugehen.
Meurer: Wie stehen die Chancen, dass bis Montagmorgen der Streik komplett vorüber ist? Fifty-fifty?
Dauderstädt: Ich will das nicht prozentual gewichten, aber ich habe meinerseits sehr viel dazu getan, eine Kompromisslösung zu finden.
Weselskys Perspektive muss man akzeptieren
Meurer: Der Kollege Weselsky hat auch alles getan?
Dauderstädt: Der Kollege Weselsky ist der primäre Interessenvertreter seiner Mitglieder und er hat diese Interessen auch maximal vertreten. Dass dabei nicht nur die Kompromisslinie in erster Linie bei ihm im Vordergrund steht und dass er einen etwas anderen Blickwinkel hat als die Dachorganisation, das muss man akzeptieren.
Meurer: Der Bundesvorsitzende des Deutschen Beamtenbundes und Tarifunion, Klaus Dauderstädt, hofft auf einen Kompromiss und auf eine Vermittlung im Streik zwischen Bahn und den Lokführern. Herr Dauderstädt, schönen Dank nach Berlin und auf Wiederhören.
Dauderstädt: Schönen Tag, Herr Meurer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.