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London in Angst

Brennende Häuser, Autos, Busse, es sieht aus wie in einem Bürgerkrieg und es passiert in London. In gleich elf Stadtteilen wurde in der Nacht geplündert. Um ethnisch und sozial motivierte Krawalle geht es schon längst nicht mehr - es geht ums Geld.

Von Ruth Rach |
    Ausgebrannte Autos, zertrümmerte Fensterscheiben, verkohlte Häuser. Leergeräumte Geschäfte, Schutt. Und Schäden in Millionenhöhe.

    Einer Community, die bereits trauerte, wurde das Herz herausgerissen, sagt David Lammy, Labour-Abgeordneter von Tottenham in Nordlondon. Postamt, Zeitungsladen, Handy Shops, Gemeindeeinrichtungen, total zerstört von blindwütigen Randalierern.

    Tottenham ist ein Problemviertel mit Geschichte: 1985 wurde ein Polizist von einem erzürnten Mob brutal ermordet, nachdem eine Afrokariberin, deren Wohnung nach Diebesgut durchsucht wurde, an einem Herzschlag gestorben war. Schon die damaligen Krawalle wurden mit Dantes Inferno verglichen. Diesmal sagen Anwohner, in Tottenham sehe es aus wie nach einem Blitzkrieg.

    Meine Nachbarn haben ihre Wohnungen verloren, ihre Geschäfte, ihre Lebensgrundlage, sagt Victoria, eine junge Mutter: eine Frau sei mit ihrem Baby fast in ihrer Wohnung verbrannt.

    Aber Tottenham war nur der Anfang.

    Die machen ihre eigene Community kaputt. Wer will hier jemals wieder investieren? fragt Diana Abbot, Labour Abgeordnete in Hackney, Ostlondon. Hinter hier ein brennendes Gebäude: Auch in Hackney laufen Jugendliche Amok.

    Die Szene war total surreal, berichtet der Reporter der New York Times Ravi Somayia aus einem Einkaufszentrum in Wood Green, Nordlondon. Dort wurden die Geschäfte die ganze Nacht über geplündert.

    "Das Ganze sah aus wie ein normaler Einkaufstag, nur dass es Fünf Uhr früh und jeder vermummt war: Die Leute haben ihre Einkaufswagen ganz gemächlich gefüllt. Weit und breit kein Polizist."

    Im Fernsehen wird von einer Frau berichtet, offensichtlich mitsamt Nachwuchs auf Beutezug: Sie probiert in aller Ruhe ein gestohlenes Paar Turnschuhe, schließlich hätte sie ja gern die richtige Größe.

    Gestern Nacht sind die Unruhen noch weiter eskaliert. Premierminister David Cameron beschloss, seinen Urlaub abzubrechen. Die Londoner Polizei forderte die Bevölkerung auf, zu ihrer eigenen Sicherheit zuhause zu bleiben. Politiker appellierten an Eltern, ihre Kinder heimzurufen. Im Fernsehen schockierende Bilder von Groβbränden: In Croydon, Südlondon, wird das Stadtzentrum abgefackelt.

    Nun ist in Groβbritannien eine erhitzte Diskussion angelaufen: wo bleibt die Polizei wird gefragt. Und: Was sind die wahren Beweggründe für die Ausschreitungen?
    Kein Job, keine Zukunft, keine Hoffnung. Und massive Sparmaβnahmen. Die Jugendlichen haben ihren Respekt für die britischen Institutionen längst verloren, sagt Ros Grifith, eine Sozialarbeiterin aus Brixton, Südlondon.

    Billige Entschuldigungen, meint hingegen Max Wind-Cowie vom konservativen Thinktank "Demos".

    "Die Täter sind in einem asozialen Umfeld aufgewachsen. Sie haben von klein an gelernt, möglichst viel vom Staat zu erwarten, aber nichts zurückzugeben."

    Mehrere Hundert Leute wurden inzwischen festgenommen, aber die Krawalle gehen weiter: Gestern zogen plündernde Jugendliche schon am helllichten Tag durch die Stadtteile Hackney, Lewisham, Peckham und Brixton. Und dann am Abend, der Groβbrand in Corydon, Südlondon. Auch aus der mittelenglischen Stadt Birmingham werden Unruhen gemeldet. Der groβe strategische Vorteil der Randalierer: Sie können sich mithilfe der sozialen Netzwerke, vor allem über ihre Blackberries, blitzschnell verabreden und genauso rasch wieder abtauchen– nur um sich woanders neu zu formieren. Die Polizei hinkt ihnen häufig hinterher. Jessica, aus Stratford in Ostlondon ist, wie viele Londoner, nervös.

    "Ich hab mein ganzes Vertrauen in die Polizei verloren. Jeder hat im Fernsehen mitbekommen, wie ganze Ladenpassagen geplündert wurden, ohne dass die Polizei eingriff. Natürlich wird das die Randalierer ermutigen, die Situation auszunutzen. Jetzt hab ich echt Angst, dass ich ihnen im Notfall total ausliefert wäre."