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Londoner Statut von 1945
Als das Völkerrecht strafrechtliche Bedeutung bekam

England, die USA, Frankreich und die Sowjetunion vereinbarten vor 75 Jahren im Londoner Viermächte-Abkommen die Einrichtung eines Internationalen Militärgerichtshofes. Vor Gericht gestellt werden sollten die Hauptkriegsverbrecher aus Deutschland.

Von Bernd Ulrich |
    Blick in den Nürnberger Justizpalast während der Eröffnung des Hauptkriegsverbrecherprozesses am 20. November 1945 vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Rechts die Angeklagten, vor ihnen die Verteidiger, im Hintergund die Staatsanwälte, ganz hinten die Pressevertreter. Oben auf der Galerie Zuschauer.
    Das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal war "Vorbild" für den Internationalen Strafgerichtshof (picture-alliance / dpa)
    "Wissen Sie, das Völkerrecht ist ja im Großen und Ganzen kein sogenanntes statutarisches Recht, wie wir es aus Deutschland und den kontinental europäischen Ländern kennen. Das ist nicht in Statuten niedergelegt! Da sind gar keine Strafen vorgesehen. Und da hat man dann das sogenannte Londoner Statut im August 1945 zusammen mit den Engländern, Franzosen und Russen geschaffen."
    Der Hinweis des 1993 gestorbenen Juristen Robert W. Kempner hatte seine Berechtigung: Mit dem in London nach zähen Verhandlungen am 8. August 1945 verabschiedeten Statut hatte das Völkerrecht an strafrechtlicher Bedeutung gewonnen. Entstanden war nichts weniger als die Charta eines Internationalen Militärgerichtshofes, von dem kurz darauf der Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess durchgeführt wurde. Bereits ab Oktober 1941 hatten die Alliierten die Ahndung von NS-Verbrechen zu einem ihrer Kriegsziele erklärt.
    Erster Schritt zur völkerrechtlichen Beurteilung der Massenmorde
    Zumindest die Hauptverantwortlichen sollten unabhängig von der geografischen Verortung ihrer Taten angeklagt werden können – ein erster und entscheidender Schritt zur transnationalen, völkerrechtlichen Beurteilung der in deutschem Namen begangenen Terrorakte und Massenmorde. Noch in seiner ausführlichen Urteilsbegründung nahm der Militärgerichtshof in Nürnberg auf die in London getroffenen Vereinbarungen Bezug: "Am 8. August 1945 haben die Regierungen der Vier Mächte ein Abkommen getroffen, wonach dieser Gerichtshof zwecks Aburteilung von solchen Kriegsverbrechern gebildet wurde, für deren Verbrechen ein geographisch bestimmbarer Tatort nicht vorhanden ist. Dem Gerichtshof ist die Vollmacht verliehen worden, alle Personen abzuurteilen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den im Statut festgelegten Begriffsbestimmungen begangen haben."
    Erich Kästner, einer der deutschen Prozessbeobachter in Nürnberg, charakterisierte die Angeklagten so: "Da saßen also der Krieg, Pogrom, der Menschenraub, der Mord en gros und die Folter auf der Anklagebank. Riesengroß und unsichtbar sitzen sie neben den Angeklagten."
    Delikte wie "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", "Planung eines Angriffskrieges" oder auch ein Begriff wie "Völkermord" waren indessen zum Zeitpunkt ihrer Realisierung nicht Bestandteil des Völkerrechts. Jemanden deshalb anzuklagen, widersprach dem im Strafrecht tradierten Grundsatz: kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz. Doch sollten deshalb die noch lebenden Verantwortlichen davonkommen? Chefankläger Richter Robert Jackson in seiner Schlussrede 1946: "Die Untaten, die wir verurteilen und bestrafen wollen, waren so ausgeklügelt, so bösartig und so verheerend, dass die zivilisierte Welt sie nicht ignorieren kann, weil sie ihre Wiederholung nicht überleben würde."
    Völkerrechtliche Maßstäbe für die Zukunft
    Allerdings blieb der Anklagepunkt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", worunter auch der millionenfache Mord an den europäischen Juden fiel, eher konturlos. Jacques Bernard Herzog, Mitarbeiter des französischen Hauptanklägers François de Menthon, hielt 1965 dazu fest: "Im Gegensatz zur juristischen Kühnheit der Kriminalisierung des Angriffskrieges bleibt die Zaghaftigkeit in der Definition des Verbrechens gegen die Menschheit überraschend, wenn nicht gar enttäuschend blass."
    Erst einer der Nachfolgeprozesse in Nürnberg, der sogenannte Einsatzgruppenprozess, nahm 1947 den Mord an den Juden direkt ins Visier. Dennoch setzte der Nürnberger Prozess völkerrechtliche Maßstäbe für die Zukunft. Der Völkerrechtler Gerd Hankel: "Da war Nürnberg wirklich revolutionär. Dass politisch Verantwortliche sich nicht hinter ihrem Schreibtisch verschanzen konnten, sondern strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden. Es war nicht nur der kleine Täter, der direkte Täter vor Ort, es waren die politischen Entscheider, es waren die, die bis dato politische Immunität genossen hatten."
    Dabei war schon im Londoner Abkommen 1945 festgelegt worden: Das in Nürnberg angewandte Recht hatte künftig für alle, auch für die Sieger zu gelten. Doch erst das Ende des Kalten Krieges ermöglichte schließlich einen Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Bis heute verweigert sich ihm indessen eine illustre Schar von Staaten. Zu ihnen gehören neben den USA und Israel auch etwa Nordkorea und der Iran.