„Der Bedarf ist da, vielleicht nicht der Andrang, aber vom Bedarf her ist es doch schon sehr stark“, vermutet Tatjana Kaiser, die in Bad Oeynhausen eine Reha-Sportgruppe für Lungensport und Long Covid leitet.
„Aber ich denke mal, viele wissen auch einfach gar nicht, dass sie Long Covid haben. Die sind nicht aufgeklärt. Die wissen nicht, dass es normal ist, dass man müde ist, dass man die Wortstörungen hat, dass man unkonzentriert ist, dass man Schlafstörungen hat, dass man insgesamt schlechter belastet ist und, und, und. Viele bringen das mit anderen Sachen in Verbindung, aber nicht unbedingt mit Long Covid.“
Die Lungensportgruppe vom Verein „Manere Sanus“ ist auf Wunsch von Long Covid-Betroffenen mit Atmungsproblemen entstanden. Das sollte aber nicht die einzige Beschwerde sein, um nach einer Corona-Infektion in den Reha-Sport zu kommen, findet Heike Grigoleit-Bahr. Sie leitet in Krefeld den Verein „Fit auf Dauer“:
„Es sollte auf jeden Fall wirklich erst der Weg zur Reha sein, weil man ja nicht nur die Atmung kontrollieren muss, man muss auch einfach mal gucken, wie reagiert das Herz jetzt nach so einer Erkrankung. Das wäre fatal, wenn man jetzt plötzlich wieder ins Fitness-Studio geht oder anfängt zu joggen. Vielleicht sollte man wirklich erstmal gucken, wie geht es mir denn wirklich, und das mal kontrolliert über ein paar Wochen.“
Individuell auf Beschwerden eingehen
Long und Post Covid bringen viele unterschiedliche Symptome mit sich, körperlich, kognitiv oder psychisch. Sie treten erst nach der eigentlichen Corona-Erkrankung auf. Die Forschung sucht noch nach Therapie-Lösungen für diese Folge-Symptome der Corona-Infektion. Vera Jaron, Vizepräsidentin des Deutschen Behindertensportverbands DBS, sieht aber schon jetzt, wie wichtig Reha-Sport in der Long Covid-Thematik ist. Auf dem DBS-Forum „Corona und Sport“ im September in Berlin betonte sie:
„Wir, der Behindertensportverband, wer, wenn nicht wir, ist gefordert, sich für diese Menschen zu engagieren. Und dann wirklich Experten aus der Wissenschaft heranzuziehen und zu bitten: Helft uns, gebt uns Wissen, was können wir tun? Wie können wir unsere Sportangebote aufbauen? Und was meines Erachtens heute ganz extrem herausgekommen ist, wie individuell man mit jedem einzelnen Betroffenen umgehen muss.“
Auch die Vereine vor Ort merken, dass Long Covid eben wegen dieser Individualität eine neue Herausforderung ist, erzählt Grigoleit-Bahr aus Krefeld:
„Im Moment haben wir auch nur einen Long Covid-Patienten, wo man sagen kann, den kann man gut in der Orthopädie unterbringen. Was haben die Leute für Ängste, was spüren die gerade nicht, wo kann man die unterstützen? Und dann teilen wir die genau in dem Bereich ein, wo sie es brauchen. Und wir sind da ganz individuell aufgestellt.“
Gerade weil Rehasport-Vereine viele verschiedene Indikationsgruppen anbieten, sind sie prädestiniert für die Unterstützung von Long Covid-Patient*innen, findet Benedikt Ewald, Direktor für Sportentwicklung beim DBS:
„Man kann Long und Post Covid nicht so über einen Kamm scheren, sondern man muss schauen, was ist jetzt eigentlich das dominante, vordergründige Begleitsymptom. Ist es im Bereich der Lungenfunktion? Ist es eher im Bereich der psychischen Belastung zu verordnen? Ist es möglicherweise doch im orthopädischen Bereich? Wo ist die konkrete Einschränkung, denn Long und Post Covid ist erstmal ein Sammelbegriff.“
Achtsam mit eigenen Energiereserven umgehen
Allerdings können gerade Long Covid-Betroffene auch eine Belastungsintoleranz entwickeln: Überschreitet man seine Grenzen und geht nicht schonend mit seinen Energiereserven um, führt das zu einer Verschlechterung der Symptome. In Krefeld gibt es deswegen für Long Covid-Betroffene einen neuen Kurs:
„Also wir haben ein Angebot ins Leben gerufen und das heißt Achtsamkeitstraining, weil wir gedacht haben, dass wir da einfach viel mehr mit Atmung, mit Meditation, mit Unterstützung einfach auch da sein können,“ beschreibt Heike Grigoleit-Bahr und ihre Kollegin Britta Lohr ergänzt:
„Die Erfahrung zeigt eigentlich, sie sind alle von der Leistung her vermindert. Sie fangen so ein bisschen wieder von vorne an, sie sind erschöpft. Das sollte auch jeder Covid-Patient ernst nehmen und dann auch seinem Körper Pausen gönnen.“
Nicht nur körperliche Belastung kann zu anstrengend sein
Eine wichtige Methode, um seinen Gesundheitszustand nicht durch Überlastung zu verschlechtern, ist Pacing: ein individuelles Aktivitätsmanagement mit Ruhepausen und der Rücksicht auf die eigenen Energieressourcen. Die Methode stammt aus der ME/CFS-Forschung, eine postinfektiöse Erkrankung, dessen Hauptsymptom die Belastungsintoleranz ist. Sich zu bremsen, gerade das ist schwierig, wenn man nach einer überstandenen Erkrankung wieder zurück in den Alltag möchte. Die psychologische Psychotherapeutin Bettina Grande beschäftigt sich mit postinfektiösen Erkrankungen wie Long Covid und ME/CFS und der begleitenden Belastungsintoleranz. Pacing beziehe sich nicht nur auf körperliche Aktivitäten, beschreibt sie:
“Man ist jung, alle gehen an die Badesee und ich habe eine kleine Ahnung, dass die Hitze, die vielen Gespräche, die aufregenden Infos, die man von seiner Peer kriegt, dass das auch zu einer Symptomverschlimmerung beitragen kann, weil es einfach zu viel ist. Dass das jeder für sich rauskriegen muss und aushalten muss, das Gefühl, Nein zu sagen, Frustrationstoleranz, verzichten, in einer Lebensphase, wo man eigentlich dauernd will, macht, aufbaut.“
Es sei nicht leicht, in einer Leistungsgesellschaft umzudenken und sich selbst zu bremsen oder sich bremsen zu lassen, so Grande. Die Angebote im Reha-Sport sind also da, doch es kommen neue Aufgaben auf die Übungsleitenden zu: Nicht nur sehr individuell auf die Beschwerden der Long und Post Covid-Betroffenen einzugehen, sondern auch sensibilisiert auf Belastungsgrenzen zu achten. Denn sich selbst zurückzunehmen und auf sich zu achten, wird auch von außen, vom „Gebremst werden“ unterstützt.