In Deutschland sind dem Robert-Koch-Institut seit Beginn der Coronapandemie mehr als 38 Millionen Covid-19-Infektionen (Stand Mai 2023) gemeldet worden. Die große Mehrheit der Infizierten ist genesen, doch eine Minderheit hat mit Spätfolgen zu kämpfen. Halten erhebliche Beschwerden länger als vier Wochen an, spricht man von Long Covid.
Welche Symptome hat Long Covid?
Wenn sogar nach einem Vierteljahr noch anderweitig nicht erklärbare Symptome bestehen oder neue auftreten, bezeichnet das die Weltgesundheitsorganisation WHO als Post Covid. Wie viele Personen betroffen sind, ist umstritten. Laut einer Überblicksstudie in der Fachzeitschrift "Nature Reviews Microbiology" von Januar 2023 folgt Long Covid auf mindestens zehn Prozent der Covid-19-Infektionen mit schwerem Verlauf. Die Studie geht davon aus, weltweit ungefähr 65 Millionen Menschen unter Corona-Spätfolgen leiden. Allein in Deutschland geht man von mindestens einer Million Betroffenen aus.
Long- und Post-Covid Betroffenen leiden unter einer Vielzahl von Beschwerden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO listete im Oktober 2021 mehr als 200 Long-Covid-Symptome auf. Zu den häufigsten Langzeitfolgen gehörten damals schon Erschöpfung, Kurzatmigkeit und kognitive Beeinträchtigungen.
Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer Beschwerden wie Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Muskelschmerz, Druckgefühl auf dem Brustkorb, Depressionen und Angstzustände. Häufig sind auch Haarausfall und Geschmacks- oder Geruchsstörungen.
Der Arzt Eckart von Hirschausen hat für die ARD einen Film über Long Covid gedreht. Diesen finden Sie in der ARD-Mediathek.
Zu Beginn der Pandemie standen Menschen im Fokus, die sich nach einem schweren Verlauf nur langsam erholten. Sie hatten Vernarbungen an der Lunge oder am Herzen oder litten an den Folgen der Beatmung. Wegen der Impfungen sind schwere Verläufe seltener geworden und so ändert sich auch das Bild von Long Covid.
Gerade neurologische und psychiatrische Folgeprobleme sind nach Corona deutlich häufiger als nach anderen Atemwegsinfektionen. Das zeigte eine am 17. August 2022 veröffentlichte Studie der Oxford Universität, für die die Daten von 1,28 Millionen Infizierten ausgewertet wurden.
Viele Menschen entwickeln nach einer Coronainfektion eine Depression oder eine Angststörung, diese gehen meist nach zwei bis drei Monaten wieder zurück. In anderen Bereichen wirkt sich das Virus deutlich länger aus: Das Risiko für Gehirnnebel, eine auch als "Brain Fog“ bekannte Bewusstseinstrübung, bleibt dauerhaft erhöht, ebenso das Risiko für Epilepsie und Demenz.
Was ist Chronic Fatigue?
Viele Beschwerden, die im Zusammenhang mit Long Covid auftreten, erinnern an das Krankheitsbild der Myalgische Enzephalomyelitis (ME), auch bekannt als Chronic Fatigue Syndrom (CFS) oder chronisches Erschöpfungssyndrom. ME/CFS sei eine sehr komplexe Erkrankung. Charakteristisch ist eine schwere Belastungsintoleranz, erklärte Carmen Scheibenbogen, Leiterin des „Chronic Fatigue Centrums“ an der Charité in Berlin.
Schon eine leichte Anstrengung kann am nächsten Tag zu einem Zusammenbruch führen. „Man kommt oftmals tagelang nicht mehr vom Sofa hoch“, so Scheibenbogen. Der Fachbegriff hierfür lautet „post-exzeptionelle Malaise“.
Neben der Fatigue können viele weitere Symptome wie Konzentrationsstörungen, Muskelschmerzen oder das posturale Tachykardiesyndrom (POTS) auftreten. Bei letzterem beginnt beim Aufstehen der Puls zu rasen und den Betroffenen wird schwindelig. Bislang lässt sich CFS nicht ursächlich behandeln, sondern nur symptomatisch.
ME/CFS tritt nicht nur nach Infektionen mit SARS-CoV-2 auf, sondern auch nach anderen Vireninfektionen. „Wir vermuten, dass es sich bei Long Covid nicht primär um eine neue Erkrankung handelt, sondern um eine altbekannte Erkrankung, verursacht durch einen neuen Erreger“, sagte Johannes Kersten von der Ulmer Long-Covid-Ambulanz.
Schon 2012 bei der Schweinegrippe-Pandemie und bei Erkrankungen durch das Eppstein-Bar-Virus, dem Pfeifferschen Drüsenfieber, wurden ähnliche Beschwerden wie bei Long Covid festgestellt. Die Krankheitslast in der Bevölkerung war wohl schon immer erheblich, wurde aber kaum beachtet.
Laut einer Studie aus den Niederlanden berichteten fast neun Prozent von Personen ohne Coronainfektion von lang anhaltenden Beschwerden. Unter Coronainfizierten waren es mehr als 21 Prozent. Der Vergleich legt nahe, dass die Symptome von gut zwölf Prozent der Untersuchten auf SARS-CoV-2 zurückzuführen seien.
Welche Ursachen haben die Symptome?
Aufgrund der Vielfalt der Symptome gehen die meisten Forschenden davon aus, dass hinter Long Covid mehrere Krankheitsprozesse stehen. Aktuell werden vor allem vier Problembereiche untersucht.
Erstens kann eine akute Coronainfektion zu dauerhaften Schäden in Geweben wie der Lunge führen. Zum Beispiel treten Lungenarterien-Embolien gehäuft bei Covid-19-Patienten auf. Die daraus resultierenden Beschwerden können lange bestehen. Zusätzlich gewöhnen sich viele Betroffene eine Schonatmung an, die auf Dauer die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
Zweitens ist es möglich, dass Virusbestandteile oder ganze Viren im Körper verbleiben, die eine andauernde Entzündungsreaktion hervorrufen. Sind Blutgefäße betroffen, kann das die Sauerstoffversorgung im Gewebe beeinträchtigen.
Drittens scheint SARS-CoV-2 die Arbeit des Immunsystems längerfristig zu beeinträchtigen. Das Virus hat Strukturen, die denen auf körpereigenen Zellen ähneln. Deshalb bilden manche Menschen Antikörper, die nicht nur das Virus erkennen, sondern zum Beispiel auch Botenstoffe des Immunsystems, Gewebshormon der Blutdruckregulation oder sogenannte G-Protein gekoppelte Rezeptoren, die an der Wirkung von Hormonen wie Adrenalin und von Botenstoffen des Gehirns beteiligt sind.
Viertens konnte eine Gruppe von der Universität Stellenbosch in Südafrika bei Long-Covid-Betroffenen Mikrogerinnsel nachweisen, die feine Blutgefäße verstopfen können.
Welche Patienten sind von Covid-Langzeitfolgen betroffen?
Potenziell sind alle Altersgruppen und Geschlechter von Long Covid betroffen. Es haben sich aber einige Risikofaktoren gezeigt:
- Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer.
- Eine hohe Viruslast während der akuten Infektion ist ein Risikofaktor.
- Personen, die besonders schwer an Covid-19 erkranken, haben ein höheres Risiko für Long Covid.
- Das Alter spielt eine Rolle.
- Genauso die Immunantwort: Wer wenig Antikörper gebildet hat, leidet später häufiger an Long Covid.
- Asthma-Patienten, Diabetiker und Übergewichtige sind gefährdeter als andere.
Insbesondere der Zusammenhang zwischen einem schweren Verlauf der Erkrankung und Langzeitfolgen ist gut belegt. Long Covid kann aber auch Patientinnen und Patienten mit leichten Verläufen betreffen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten von Long Covid gibt es?
Noch steht die Forschung bei Ursachen und auch Behandlung von Long Covid am Anfang. Deutschland fördert seit Oktober 2022 klinische Studien mit zehn Millionen Euro, weitere 12,5 Millionen Euro stehen für Projekte zur Ursachenforschung und der Diagnostik zur Verfügung.
Zusätzlich haben bereits bestehende Netzwerke Mittel umgewidmet. Die USA, aber auch Großbritannien stellen viel größere Summen für die Long-Covid-Forschung zur Verfügung. Auch dort stehen die Studien noch am Anfang.
Betroffene können sich mittlerweile in vielen deutschen Städten an sogenannte Long-Covid-Ambulanzen wenden. Da vieles im Zusammenhang mit der Erkrankung noch ungeklärt ist, orientieren sich Ärztinnen und Ärzte in der Behandlung an den Symptomen. So gehört zum Beispiel eine Atemtherapie zum Standardprogramm, da viele Long-Covid-Patienten Probleme beim Luftholen haben. Für Probleme mit dem Gedächtnis oder der Konzentration gibt es Gehirntrainingsprogramme.
Long Covid: Chancen auf Heilung werden erforscht
Viele Betroffene hoffen nicht nur auf die Linderung ihrer Symptome, sondern auf eine Heilung. Dazu laufen erste Studien, die an den verschiedenen Krankheitsprozessen ansetzen.
Menschen, bei denen Virusreste Long Covid verursachen, könnte das Medikament Paxlovid helfen. Dazu hat in den USA eine Studie begonnen. Eine Alternative ist eine nachträgliche Impfung. Patienten hätten so eine Verbesserung der Symptome erreicht, berichtet der Leiter der Ulmer Post-Covid-Ambulanz Johannes Kersten.
Ist indes eine fehlgeleitete Immunantwort verantwortlich, könnte die Impfung laut Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale Universität das System wieder in den Ursprungszustand zurückbringen. Allerdings scheint eine Impfung nur einem Drittel der Betroffenen zu helfen, zwei Drittel müssen weiter auf symptomatische Therapien und auf die Zeit setzen.
Es gibt auch experimentelle Medikamente gegen Auto-Antikörper, etwa BC007 von der Firma Berlin Cures. Studien von der Uniklinik Erlangen und von Berlin Cures sollen das Potenzial von BC007 jetzt wissenschaftlich ausloten.
Ein weiterer Ansatz ist die umstrittene H.E.L.P. Apherese. Die Abkürzung steht für Heparin-induzierte extrakorporale LDL-Präzipitation. Diese Form der Blutwäsche soll eigentlich Fette entfernen, filtert aber möglicherweise auch Mikrogerinnsel heraus, die auch eine Rolle bei Long Covid spielen. Die Ärztin Beate Jäger bietet die H.E.L.P. Apherese in Mülheim an der Ruhr an und berichtet von Erfolgen.
Die Sprecherin der deutschen Gesellschaft für Nephrologie Julia Weinmann-Menke betont, dass die Behandlungserfolge nicht zwingend auf die Therapie zurückzuführen seien. Bei Blutwäsche-Verfahren gebe es oft hohe Placeboeffekte. Die Blutwäsche ist mit rund 1.000 Euro pro Sitzung sehr teuer. Wissenschaftliche Nachweise für die Wirksamkeit fehlen bisher. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen daher nicht.
Anett Reißhauer, Leiterin der Abteilung Physikalische Therapie an der Charité, bietet Long-Covid-Patienten mit Brainfog eine neuartige Therapie an, zu der es aber noch keine Studienergebnisse gibt: Lymphdrainagen am Kopf. Eigentlich wird diese Art der Therapie nach Tumoroperationen angewandt, wenn das Gewebewasser nicht mehr richtig aus dem Gehirn abtransportiert wird. Seltener gibt es solche Probleme aber auch bei Infektionen. „Das merken wir auch bei einem Schnupfen. Wir können nicht ganz richtig denken und man fühlt sich so ein bisschen langsamer im Denken, weil eben auch in diesen Fällen die Lymphdrainage aus dem Gehirn eingeschränkt ist.“ Das könnte – so die Hypothese – zu der Denkverlangsamung bei Long-Covid-Patienten beitragen.
Um einzelne Verfahren und Wirkstoffe, etwa um BC007 oder die H.E.L.P. Apherese, hat sich ein regelrechter Hype entwickelt. Es gibt Petitionen, die eine sofortige Zulassung beziehungsweise die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen fordern. Ob die Hoffnung aber berechtigt ist, dass die Therapien halten, was sie versprechen, lässt sich ohne wissenschaftliche Studien nicht belegen.
Schützt die Corona-Impfung vor Long Covid?
Corona-Schutzimpfungen senken die Zahl der Todesfälle und schwerer Krankheitsverläufe. Können sie auch die Langzeitfolgen abmildern? Ja, lautet das Ergebnis einer britischen Studie, die im September 2022 veröffentlicht wurde. Danach kann die Impfung Long Covid zwar nicht verhindern, aber sie senkt doch das Risiko um 41 Prozent. In dieser Studie wurden zweifach geimpfte Personen mit ungeimpften vergleichen.
Eine weitere britische Studie aus 2022 zeigt aber, dass die Schutzwirkung mit den Monaten langsam nachlässt. In dieser Untersuchung wurde zudem das Long-Covid-Risiko verschiedener Virusvarianten verglichen. Danach führt eine Omikron-Infektion nur etwa halb so oft zu Long Covid, wie eine Infektion mit der Delta-Variante.
Hilfe bei Long Covid - Anlaufstellen:
Quellen: Volkart Wildermuth, SMC, nin, pto, og