Es weht ein eisiger Wind hoch oben über Longyearbyen, das Thermometer zeigt minus 15 Grad. Der Blick ist atemberaubend, es hat geschneit, die kargen Berge über dem blauen Isfjord, an dessen Ende der Hauptort von Spitzbergen liegt, sind mit einer dünnen weißen Schicht überzogen. Es ist kurz vor zwölf am Mittag, und doch nicht mehr wirklich hell. Die Sonne schafft es mit ihrem milden Licht gerade noch auf die Gipfel, bald wird es hier ununterbrochen stockfinster sein, dann beginnt die Polarnacht.
Wir treffen Kim Holmen, ein Polarforscher wie aus dem Bilderbuch. Holmen trägt eine dunkelrote Daunenjacke, dicke Fäustlinge, unter der Kapuze noch eine Zipfelmütze, vor allem aber einen langen grauen Bart. Auf dem Weg hier hoch, sind uns eben noch zwei weiß gefärbte Rentiere über den Weg gelaufen – fast wirkt es als hätten wir in dieser unwirtlichen, aber doch malerischen Umgebung eine Verabredung mit dem Weihnachtsmann.
Holmen ist ein renommierter Forscher, er lebt seit 30 Jahren hier am Ende der Welt, und kann viel über den Klimawandel erzählen. Im Winter ist die Durchschnittstemperatur um zehn Grad gestiegen, im Frühling schmilzt der Schnee viel früher, Holmen zeigt auf den Fjord, der friert nicht mehr zu, das Wasser ist zu warm. Die Gletscher auf Spitzbergen schmelzen rasant – verlieren 30 Zentimeter an Dicke – jedes Jahr.
Wo man nur mit Schneemobilen voran kommt
Ein Bus wartet, um uns wieder hinunter zum Hafen zu bringen, es gibt nur sehr wenige Straßen in Spitzbergen, mit dem Auto fährt man zur Satellitenempfangsstation oder zur letzten in Longyearbyen noch betriebenen Kohlemine.
Anders Jürgensen führt uns durch den Hauptort mit seinen etwa 2.100 Einwohnern. Überall vor den bunten Holzhäusern stehen Schneemobile. Sie sind das Fortbewegungsmittel hier in der Arktis. Auf jeden Bewohner kommt annähernd einer dieser Schneescooter, erzählt Jürgensen. Der Bus hält, unser Fremdenführer kündigt lächelnd eine der größten Attraktionen der Insel an.
Es ist ein Verkehrsschild mit einem Eisbären drauf und wahrscheinlich werdet Ihr heute nicht näher an einen Bären kommen, verheißt uns unser Guide mit einem verschmitzten Lächeln. Also, los geht's: Instagram-Spot Number one.
Ein Rot umrandetes Achtung-Schild, auf schwarzem Grund ein weißer Bär, wer hier weiterfährt, sollte aufpassen. Wer weiter in die Wildnis hinaus will, muss eine Waffe bei sich haben. Kim Holmen, der Polarforscher, schmunzelt und erzählt noch eine kleine Anekdote über das von Touristen tausendfach fotografierte Verkehrszeichen.
Norwegens Gesetze gelten auch hier, erläutert Holmen. Straßenschilder haben außen rot oder gelb zu sein und in der Mitte weiß, der Hintergrund muss also weiß sein. Also hatten wir ein Schild mit einem schwarzen Bären drauf, und das war hier nicht sonderlich populär. Also hatten wir einen Bürgermeister, der wirklich einen guten Humor besitzt, und er hat vorgeschlagen, das Gesetz zu ergänzen."
"Wir sind sehr stolz darauf, dass wir die Eisbären haben"
Und seither gibt es auf Spitzbergen dieses Schild mit dem weißen Bären auf schwarzem Grund. Die Tiere sind allgegenwärtig in Longyearbyen. Im Rathaus steht ein präparierter Eisbär in der Eingangshalle. Verwaltungschefin und Bürgermeisterin, ist hier Kjerstin Askholt, die uns mit einem deutschen Willkommen begrüßt.
Sie trägt eine blaue Polizeiuniform, Gouverneurin wird sie genannt, die Chefin von Svalbard, dem norwegischen Wort für Spitzbergen. "Unser Ziel ist es, einvernehmlich mit den Eisbären zu leben, sie sind streng geschützt," betont sie, nur im äußersten Notfall, in Notwehr, darf auf sie geschossen werden. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir die Eisbären haben.
So sieht das auch ihr Kollege Ole Jacob Malmo, er ist der Polizeichef hier, und hat weniger mit Kriminalität zu tun als damit, Touristen zu beschützen oder zu retten, die sich auf der Suche nach dem Eisbär leichtfertig in Gefahr begeben. Ganz klar, sagt er, die wichtigste Regel ist, wenn Du einen siehst, solltest Du sehen, dass Du wegkommst.
Eisbären-Land ist das hier, sie haben halt das Recht, hier zu sein, wir sind nur Besucher. Forscher warnen allerdings, dass die Bären künftig häufiger in die Ortschaften kommen können. Weil das Meer immer seltener zufriert, wird die Jagd nach Robben schwieriger, die Tiere suchen nach Nahrung. Im letzten Jahr verwüstete ein Bär eine alte Funkstation, Menschen wurden nicht verletzt, 2011 drang jedoch ein Eisbär in das Zelt einer Polarexpedition ein und tötete einen Menschen.
Alkohol-Limit: 24 Biere im Monat
Nach dem Abstecher ins Rathaus marschiert Anders Jürgensen mit uns durch die kleine Geschäftsstraße von Longyearbyen. Vor dem Souvenirladen döst ein Husky im dämmrigen Licht. Hinter der Schaufensterscheibe findet sich wieder ein lebensgroßes Eisbär-Modell, daneben Norweger-Pullis mit Bärenmotiven, hölzerne Pfannenheber mit Eisbär-Schnitzereien, Mobiles mit - glitzernden Eisbären. Allerdings: Wer auf Polarexpedition geht, bekommt hier auch die nötige Ausrüstung. Und für manch einen gehört auch Hochprozentiges dazu.
Alkohol auf Spitzbergen, das ist so eine Sache, berichtet Anders. Den gibt es nur in einem bestimmten Laden. Als Tourist kannst du teuer, aber unbegrenzt einkaufen, Einheimische aber brauchen eine Lizenz, mit einer kleinen Karte gibt es 24 Biere und einen Liter Hartes im Monat. Die Minenarbeiter sollen sich halt nicht betrinken. Anders Jürgensen muss lachen. Okay, für einige ist das der Verbrauch während eines einzigen sehr lustigen Wochenendes.
Zu dieser Jahreszeit ist es ruhig in Longyearbyen. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es hier aussieht, wenn Hunderte von Kreuzfahrttouristen den Ort fluten. Im Sommer legt nahezu täglich ein Schiff an - 70.000 Menschen besuchen derzeit Spitzbergen im Jahr, die Masse wird mittlerweile zum Problem. Wir müssen das in den Griff bekommen, weiß auch Bürgermeisterin Askholt.
"Wir glauben nicht, dass der Massentourismus das Richtige für uns ist. Wir haben eine besondere Verpflichtung, uns um die Natur zu kümmern. Und warum kommen die Touristen? Sie wollen Wildnis sehen - wenn wir zu viele Menschen kommen lassen, dann machen wir uns doch das eigene Produkt kaputt!"
Gern gesehen sind die eher kleinen Schiffe, mit denen teure Expeditionen angeboten werden. Weniger gut gelitten sind die großen Pötte, die Menschen bringen, denen es allein um ein paar Stunden Abenteuerausflug geht.
Kreuzfahrtourismus ist ein Problem
Kürzlich war der deutsche Entwicklungsminister zu Gast und hat eine gemeinsame Initiative für sauberen Kreuzfahrttourismus ins Gespräch gebracht. Gerd Müller besichtigte die internationale Saatgutbank von Longyearbyen. Samen von Nutzpflanzen aus aller Welt wird in einem Bunker im Permafrostboden gelagert, er könnte gebraucht werden, um Pflanzen zu züchten, die besser mit dem Klimawandel klarkommen.
Doch der Minister nutzte den Besuch eben auch, um darauf zu verweisen, dass Kreuzfahrttourismus nicht klimafreundlich ist, gerade hier in der Arktis wird das zum Problem. "Diese großen Kreuzfahrtschiffe haben bisher nahezu ausschließlich noch Schweröl und fahren nicht auf der Basis von umweltfreundlichen Antriebstechnologien", sagt Müller.
Das ist auch für Harald Ellingsen ein Thema. Tourismus in Zeiten des Klimawandels, eine Wissenschaft für sich. Wir besuchen die Universität von Longyearbyen, ja auch damit kann der nördlichste Ort der Welt dienen, 800 junge Menschen studieren hier, die meisten von ihnen allerdings nur ein Semester lang - Ellingsen ist der Universitätsdirektor. Etwa 180 Studenten aus Deutschland leben hier, betont der Chef mit etwas Stolz.
Pflanzen leiden unter Klimawandel
Alles was irgendwie mit der Arktis zu tun hat, lässt sich hier studieren: Geologie, Geophysik, Biologie. Arktische Biologie, das ist die Leidenschaft von Simone Lang. Sie ist Professorin in Longyearbyen und untersucht, wie sehr der Klimawandel die Pflanzenwelt verändert.
"Wir haben während des Winters höhere Temperaturen, dann haben wir Niederschlag, der dann in Form von Regen fällt, den Schnee durchdringt und da Eisschichten bildet, sobald es wieder kälter wird. Dadurch werden die Pflanzen nicht mehr geschützt durch die Schneedecke, das heißt, sie erleiden einen Gefrierschaden, und diesen Gefrierschaden, den sieht man im Jahr darauf als braune Schäden, also abgestorbene Ästchen oder Blätter. Also das kann man deutlich erkennen. Das ist so ein Erbraunen der Tundra."
Früher arbeitete Simone Lang in Karlsruhe, aber sie hat sich dafür entschieden, dauerhaft mit ihrer Familie auf Spitzbergen zu bleiben. Es ist ein ganz normales Leben hier, versichert die Uni-Professorin. Aufstehen, Frühstück machen, Kinder zur Schule bringen. Klar, die Naturverbundenheit, die Liebe zur Wildnis die muss man schon mitbringen, ihr Sohn allerdings, erzählt sie, hat noch nie einen Eisbären gesehen. Vorbereitet sind sie dennoch darauf, dass sich mal ein Tier in den Ort verirren könnte.
"Die Schule hat zum Beispiel eine Eisbären-Wache und das heißt, der Schulhof ist ja nicht eingezäunt, es gibt einen Lehrer mit Gewehr, der zuerst rausgeht, und dann je nach Sicht wird der Schulhof eben erweitert oder verkleinert, das heißt, sie haben irgendjemanden, der da draußen steht, und dann wird das Kommando gegeben, ok, jetzt geht´s los, Ihr könnt kommen."
Und dann ist da noch die monatelange Dunkelheit im Winter und die niemals untergehende Sonne im Sommer, die das Leben in Longyearbyen doch ein wenig anders machen, erklärt Lang.
"Es ist ganz spannend. Es ist jetzt mein zweiter Sommer und der war wunderbar, denn mit dem Licht habe ich überhaupt keine Probleme mehr. Es ist phantastisch, ich kann jeder Zeit schlafen, kann lange arbeiten im Gelände, und die Dunkelzeit fand ich jetzt nicht so wahnsinnig anstrengend. Überraschenderweise ist es schwierig zu schlafen, also diesen Rhythmus zu finden, wir arbeiten dann mit Tageslichtlampen tagsüber, dass der Körper eben weiß am Abend, jetzt ist es Schlafenszeit. Aber es geht relativ schnell vorbei und im Februar ist schon das blaue Licht zurück, das ist ein wunderschöner Monat. Also, wenn man mitgeht mit der Natur und sich nicht dagegen wehrt, geht es gut, sonst wird´s schwierig!"
Ein Hubschrauber fliegt über den Ort, neben den Schneemobilen das wohl wichtige Fortbewegungsmittel. Anders Jürgensen zeigt uns noch die nördlichste Kirche der Welt. Nach dem Krieg wieder errichtet, dient der Bau mit der roten Holzfassade heute als Versammlungsraum für Menschen aller Religionen. Auch und gerade in der dunklen Jahreszeit.
Um die Polarnacht zu überleben, braucht man soziale Kontakte, sagt er, man muss sich treffen, sich unterhalten, den Kopf auf Trab halten. Manche Touristen kommen natürlich eigens, um die Polarlichter zu sehen. Das ist uns diesmal nicht vergönnt. Anders Jürgensen liebt die Dunkelheit, die Kälte, Ihr müsstet das mal selbst erleben, sagt er zum Abschied. Ende Februar, Anfang März, wenn das Licht wieder kommt, das ist für ihn die schönste Zeit. Das blaue Licht, die aufgehende Sonne, das orangefarbene Glühen auf den Bergspitzen – unbeschreiblich schön.