Archiv


"Looking on Darkness”

Auch die zweite CD, die ich Ihnen heute vorstellen möchte, kommt aus dem Norden, selbst wenn sie im Süden Deutschlands verlegt wird, nämlich beim Münchner Nobel-Label ECM, das ja vor allem auch im Jazz eine allererste Adresse darstellt. Der norwegische Akkordeonist Frode Haltli und das Vertavo Streichquartett haben eine Scheibe mit zeitgenössischer norwegischer Musik vorgelegt, wobei die Zusammenarbeit zwischen dem Streichquartett und dem Solisten Haltli sich in einem Quintett der jungen, noch nicht dreißigjährigen Komponistin Maja Solveig Kjelstrup Ratkje niederschlägt, das freilich das Hauptwerk dieser CD darstellt. Ansonsten spielt Haltli Sololiteratur von Bent Sørensen, PerMagnus Lindborg, Magnus Lindberg und Asbjørn Schaathun, die auf erstaunliche Weise den Ausdrucksreichtum der Ziehharmonika ausschöpft. Da sind es vor allem immer wieder die Spalt- und Mixturklänge, die durch den Obertonreichtum des Instruments zu interessanten Hörerfahrungen werden. Es kommt nicht von ungefähr, dass man gelegentlich an die französische Orgelliteratur des 20. Jahrhunderts erinnert wird, vor allem an Messiaen. Das Quintett von Maja Solveig Kjelstrup Ratkje wiederum ist programmatisch mit "gagaku variations" für Akkordeon und Streichquartett überschrieben. Da geht es also um die Auseinandersetzung mit einer tausendjährigen japanischen musikalischen Tradition, und wenn man so will, hat Peer Gynt wieder eine Zwiebelschale mehr freigelegt. Dem Werk eignet freilich nichts Folkloristisches, wie überhaupt der gesamten CD nicht ein Hauch von norwegischer Folklore anzumerken ist und eben auch nicht von direkter Kopie japanischer traditioneller Musik. Sehr wohl aber spürt man vor allem am Ende des Quintetts die fernöstliche Spiritualität der Reduktion, während im vorhergehenden Verlauf des Werks durchaus eruptive Blöcke vorhanden sind, die an die Wildheit des frühen Strawinsky gemahnen. Vor allem aber bezwingt die auskomponierte Balance zwischen Akkordeon und Streichern, die freilich zur Bedingung hat, dass der harmonische Kanon traditioneller europäischer Musik verlassen wird. * Musikbeispiel: Maja Solveig Kjelstrup Ratkje - aus: "gagaku variations”

Norbert Ely |