Michael Köhler: "Wo ich bin, ist Deutschland", sagte Nobelpreisträger Thomas Mann, als er im kalifornischen Exil ankam. Er blieb insgesamt bald 15 Jahre, schrieb dort den riesigen "Josephs"-Roman und den "Doktor Faustus". Sein ehemaliges Anwesen, eine Luxusvilla oberhalb von Santa Monica, ist von der Bundesregierung nun endlich erworben worden. Sie wäre sonst vielleicht abgerissen worden. Kulturstaatsministerin Grütters hat sich zusammen mit dem Auswärtigen Amt dafür eingesetzt. Eine Onlinepetition hatte für zusätzlichen Druck gesorgt. Die Kaufsumme wurde nicht bekannt, wird aber bei circa 13,5 Millionen Dollar in etwa liegen.
Identität, Migration und Integration
Das künftige Nutzungskonzept soll gesellschaftliche Themen auf beiden Seiten des Atlantiks aufgreifen, erklärte das Auswärtige Amt. Dazu zählen Identität, Migration und Integration, aber auch Flucht und Exil. Zu Hause wurde Thomas Mann enteignet und verfemt. Er schrieb in einem Brief an Theodor W. Adorno: "Wir leben hier in unseren Palmen- und Zitronentag hinein. Wir leben am falschen Ort, in der heimatlichen Fremde."
An Tilmann Lahme, einen der besten Thomas-Mann-Kenner und Verfasser zahlreicher Bücher wie etwa "Die Manns. Geschichte einer Familie" – gerade hat er auch die Briefe der Familie Mann herausgegeben –, an ihn ging die Frage: Ist der Erwerb der Villa durch die Bundesregierung ein kulturpolitisch sinnvolles Signal?
Tilmann Lahme: Sinnvoll ist mir da in gewisser Weise schon ein wenig zu moderat und gedämpft, also ich würde geradezu von einer Glücksstunde der deutschen Kulturaußenpolitik sprechen. Es gab ja viele andere Gelegenheiten, bei denen man Dinge versäumt hat, und dass man jetzt dieses Haus kauft und dann sinnvoll nutzen kann, das halte ich wirklich für einen großen Schritt.
Kernzeit der Emigration der Manns
Köhler: "Wo ich bin, ist Deutschland", hat er gerne gesagt. Thomas Mann, der Nobelpreisträger hat viele Jahre im Exil verbracht, fast 15, kam 1942 nach Kalifornien – was hat er dort geschrieben, was hat er fertiggestellt?
Lahme: Das ist im Prinzip wirklich die Kernzeit der Emigration der Manns. Das liegt natürlich auch daran, dass sich da schon so eine kulturelle Tradition des deutschen Exils bildet – man spricht ja nicht zu Unrecht vom Weimar am Pazifik. Und da will er da sein, und da schreibt er seine Bücher. Da wird der große "Josephs"-Roman, diese Tetralogie abgeschlossen – das ist eigentlich unglaublich, dass jemand in die Emigration geht und dann aber trotzdem von seinen Themen nicht loslässt. Also er hat ja keinen Gegenwartsroman der Flüchtlingsschicksale seiner Zeit geschrieben, sondern er hat weiter an dem Stück gewebt, das er begonnen hat noch in Deutschland, und nimmt dann auch sofort sein nächstes Romanprojekt, und das ist dann der berühmte "Doktor Faustus", in dem er das Schicksal Deutschlands zum Thema macht.
Hartnäckiger Villenbesitzer
Köhler: Wie wichtig war ihm eigentlich diese Villa, die ja übrigens nur einen Spuck weit entfernt von einer anderen berühmten Villa ist, der Villa Aurora von Leon Feuchtwanger?
Lahme: Die Villa an sich ist für Thomas Mann etwas, was enorm wichtig ist. Ihn hat mal jemand im Scherz, aber das trifft es ganz gut, den hartnäckigen Villenbesitzer genannt, also Thomas Mann musste im Prinzip immer etwas haben, was Stetigkeit um ihn herum bedeutete. Und ich würde auch denken schon, dass für ihn dann ein Stück wiederum Heimat oder Geborgenheit zumindest war.
Köhler: Sie haben das gerade, Entschuldigung, in einem Beitrag vor einigen Wochen in der "FAZ" geschrieben, was mir in Erinnerung ist, dass im Grunde ihm selber nicht klar war, dass das eigentlich sein letzter großer Lebensaufenthalt war von etwa fast 15 Jahren.
Lahme: Das hat er dann im Rückblick gemerkt. Das ist ihm vielleicht im Jahr 42 gar nicht so klar, aber als er dann wieder weggeht, zehn Jahre später, da wird das eigentlich klar, was das für eine enorm wichtige, bedeutende Phase war. Das ist eben nicht nur die Zeit, in der er eben noch einen Roman und noch einen geschrieben hat, sondern in der der Zweite Weltkrieg ausgefochten wird, in der Zeit, in der dann Amerika eine enorme Rolle spielt plötzlich, weltpolitisch, auch nicht ohne dass die Manns da eine gewisse Rolle spielen, die Amerikaner dazu zu überreden, dass man doch da jetzt ein bisschen intensiver mitmachen muss. Also ich will nicht sagen, dass sie die Amerikaner in den Krieg geführt haben, aber zumindest haben sie sehr daran mitgewirkt, dass die amerikanische Öffentlichkeit, die damals ja auch in so einer Art Trump-Isolationismus-Haltung war – was geht uns das an, Europa –, dass man die informiert und dazu bewegt, zu sagen, ja, das sind aber unsere demokratischen Werte, die da drüben verteidigt werden müssen. Und all dem, an dieser unglaublich spannenden, welthistorisch spannenden Phase sind die Manns eben beteiligt, und da sitzen sie in Kalifornien, in diesem Haus.
Transatlantische Kulturbrücke
Köhler: Herr Lahme, wir haben jetzt über die Bedeutung des Hauses gesprochen, auch das Auswärtige Amt hat das Deutsche Literaturarchiv in Marbach eingeladen, beratend tätig zu sein an der Entwicklung eines literarisch-kulturellen Programms, eine Art Weißes Haus des Exils, davon war die Rede, nennen wir es mal einfach eine transatlantische Kulturbrücke. Was sollte Ihrer Meinung danach dort stattfinden, damit das nicht das Anstaunen von Fassaden alleine bleibt?
Lahme: Ja, es wird ja an die Villa Aurora offenkundig ein bisschen angehängt, also die Villa von Leon Feuchtwanger, die ein Stipendiatenhaus ist, und ich würde mir sehr wünschen, dass es nun aber nicht so etwas wird wie Villa Aurora zwei oder so etwas, also dass man ausschließlich da jetzt so ein Stipendiatenhaus hat, wo man ein paar Leute fördert, und das war es dann. Das ist sicherlich ein sinnvolles Grundkonzept, aber ich würde mir doch sehr wünschen, dass man anregt zu Debatten, zu Austausch. Ich meine, angesichts der aktuellen Lage kann man ja gar nicht genug betonen, wie wichtig der Austausch mit den amerikanischen Partnern ist und vielleicht auch eben nicht nur auf Regierungsebene, und dass wir uns auch nicht immer nur über Fragen des Freihandels und solche Dinge unterhalten, sondern dass es auch einen kulturellen Austausch gibt, einen Debattenaustausch, dass sich Intellektuelle treffen, dass Künstler miteinander ins Gespräch kommen. Und wenn dieses Haus dafür der Anregungspunkt sein könnte oder ein Punkt, an dem das alles stattfindet, dann, glaube ich, hätte man wirklich sehr viel geschafft.
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