Ein kleines Dorf in der Nähe von Bangkok. Mühsam schlängelt sich ein Bach durch den Müll, den die Dorfbewohner die Böschung hinuntergeworfen haben. Der Gestank hier ist kaum auszuhalten. Am Bachufer blähen sich alte Plastiktüten auf. Konservendosen, Fischreste und eine tote Ratte treiben in der schmierigen Brühe. Das Wasser ist schwarz. Aber zwischen all dem Müll ragt eine schlanke Pflanze mit einer weißen Blüte aus dem Wasser - es ist ein Lotus. Der ganze Schmutz kann der Pflanze nichts anhaben. Durch eine besondere Struktur der Pflanzenoberfläche bleibt sie sauber.
"Die Lotusblüte wird nicht verschmutzt. Sie ist ein Symbol für Reinheit und Schönheit. Buddha benutzte den Lotus als Sinnbild für die Erleuchtung, das Erreichen des Nirwana", sagt die Religionswissenschaftlerin Pataraporn Sirikanchana von der Thammasat University in Bangkok.
"Die Lotusblüte wird nicht verschmutzt. Sie ist ein Symbol für Reinheit und Schönheit. Buddha benutzte den Lotus als Sinnbild für die Erleuchtung, das Erreichen des Nirwana", sagt die Religionswissenschaftlerin Pataraporn Sirikanchana von der Thammasat University in Bangkok.
"Unbefleckt und unversehrt"
In verschiedenen Religionen ist der Lotus ein Symbol der Reinheit. In der Lehre Buddhas dient die Entwicklung der Lotuspflanze als Vergleich für das Potenzial eines jeden Menschen, die Erleuchtung, den Austritt aus dem Kreislauf der Wiedergeburten zu erlangen, auch unter schwierigsten Umständen. Das erläutert Nopchai Chansilpa, Direktor des Seerosen- und Lotusinstituts der Rajamangala University in Thailand.
"Die Lotusblüte ragt unbefleckt und unversehrt aus Schmutz und Schlamm empor. Genauso kann auch der Gläubige sich aus einer misslichen Lage befreien und Erleuchtung erfahren - sobald er den wahren Charakter des Daseins erkannt hat."
Professor Pataraporn Sirikanchana sagt: "Schlamm ist gleichbedeutend für schlechte Taten und widrige Lebensumstände. Aber der Mensch kann durch ein spirituelles Leben seine Situation verbessern und schließlich erleuchtet werden. Ganz so, wie der Lotus im Sonnenlicht erblüht."
In den buddhistischen Texten steht geschrieben, dass Buddha die Gläubigen in drei Kategorien eingeteilt hat. Auch dabei nimmt er Bezug auf die Lotuspflanze, so Religionswissenschaftlerin Sirikanchana.
"Zu einer Gruppe gehören diejenigen, die sich, wie der Lotus, aus dem Wasser erheben. Sie befinden sich kurz vor der Erleuchtung. In der zweiten Gruppe sind Menschen, die gerade eben erst über das Wasser hinaus schauen können. Ihre 'Blüte' ist kurz davor, sich zu öffnen. Die dritte Kategorie dagegen besteht aus jenen, deren Haupt noch von Wasser bedeckt ist. Irgendwann haben sie die Möglichkeit, wie ein Lotus zu erblühen, das heißt, Erleuchtung zu erfahren. Aber bis dahin müssen diese Menschen noch sehr viel lernen."
Einer Legende zufolge soll Buddha einst auf einer Lotusblüte das Licht der Welt erblickt haben. Professor Sirikanchana sagt:
"Das ist nur eine Geschichte. Die Urtexte und die Kommentare dazu unterscheiden sich hierbei. In den Kommentaren heißt es, dass Buddha nach seiner Geburt über Lotusblätter gegangen sein soll. Aber davon ist in Urtexten zum Buddhismus, den Tripitaka, nichts zu lesen."
Auch Hindus und Bahai verehren den Lotus
Auch die Götter im Hinduismus haben eine starke Verbindung zum Lotus. So soll einst ein Lotus aus dem Bauchnabel des Hindu-Gottes Vishnu gewachsen sein. Auf diesem ließ sich dann der Gott Brahma, der Weltenschöpfer, nieder und meditierte fortan an diesem Platz.
Padma ist eine andere Bezeichnung für den Lotus in Indien und gleichzeitig das Urmeer in der indischen Mythologie. Aus Padma entstand dann das Universum. Auch die Göttin Lakshmi, die Wohlstand und Glück bringen soll, steht inmitten des Milchozeans auf einer riesigen Lotusblüte. Andere hinduistische Gottheiten halten eine Lotusblüte in der Hand.
Die Verbindung des Lotus zu den Religionen ist auch bei den Bahai deutlich sichtbar: Der weiße Tempel der Glaubensgemeinschaft in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi hat die Form einer Lotusblüte. Die Bahai verfolgen das Ziel, alle Religionen miteinander zu vereinen und so das friedliche Zusammenleben der Menschen zu fördern. Den Plan, den Tempel in Form einer Lotusblüte zu erbauen, erklärte der Architekt so:
"Der Lotus hat nicht nur einen Bezug zu allen Religionen Indiens, sondern ist wahrscheinlich die perfekteste Blume der ganzen Welt."
"In Asien nutzen wir jeden Teil der Pflanze"
Über diese perfekte Pflanze wissen viele Leute im Westen kaum etwas oder haben falsche Vorstellungen. Manche sind der Meinung, der Lotus benötige für sein Wachstum viel Wärme und könne deshalb nur in tropischen Regionen gedeihen. Christoph Neinhuis, Professor für Botanik an der TU Dresden:
"Man geht davon aus, dass die Lotusblumen mit der Ausbreitung des Buddhismus Richtung Süden, in die Tropen hinein, als Symbolpflanze von den Menschen mitgenommen wurden. Die natürlichen Verbreitungsgebiete liegen viel weiter nördlich. Also, natürlicherweise kommt Lotus in den USA bis an die Grenze nach Kanada vor und zum Beispiel in Russland bis nach Sibirien."
Wissenschaftler haben den Effekt, dass kein Schmutz der Lotuspflanze anhaften kann, bei der Entwicklung neuer Produkte genutzt. Mittlerweile gibt es zum Beispiel Textilien, an denen Flüssigkeiten einfach abperlen, ohne Flecken zu hinterlassen. Dank des Lotus-Effekts. In Asien wird der Lotus allerdings wegen anderer Eigenschaften geschätzt. Der Leiter des Seerosen- und Lotusinstituts in Thailand, Nopchai Chansilpa:
"Hier in Asien nutzen wir jeden Teil der Pflanze. Der Lotus erfüllt vier grundlegende Bedürfnisse des Menschen: Wir brauchen Nahrung, benötigen Kleidung, eine Behausung und manchmal auch Medizin - und all das liefert uns die Lotuspflanze. Der Lotus ist einfach perfekt."