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Louis Couperus: "Die stille Kraft"
Ivo van Hove inszeniert im Ruhrpott indonesische Nächte

Von Karin Fischer |
    Die große Frage, die dieses Stück aufwirft – wie stellt man "Indonesien" auf der Bühne dar? – wird gleich zu Beginn beantwortet. Die Holzplanken der quadratischen Spielfläche sind zur Hälfte nass. Später regnet es, die Bühne dampft. Wer je in Asien war, kennt diese warmen Sturzbäche. Der Monsun als Mitspieler – er durchnässt nicht nur die Schauspieler, sondern wabert als feuchte Schwüle auch durch den Zuschauerraum. Mithilfe dieses kolossalen Regens und viel Krawumm wird sogar ein Seebeben inszeniert. Dazu die Projektion von Meeresbrandung auf den drei Seiten der Bühne im Salzlager der Kokerei Zollverein; niederländische Schauspieler; asiatisch anmutende Bedienstete; Sarongs. Doch natürlich ist Regisseur Ivo van Hove kein Vertreter des Illusionstheaters, sondern zeigt alles ganz selbstverständlich als "gemacht", mit javanischen Bambusinstrumenten und metallenen Kleiderständern um die Bühne. Klobiger Kolonialschwulst ist hier nicht zu finden. Dafür ist die Geschichte um so schwülstiger.
    Otto van Oudijck ist der Hauptverwalter des Bezirks Labuwangi auf Java, ein gestrenger, prinzipientreuer, arbeitsamer Herrscher, der das Land liebt und die stolze Tradition der einheimische Aristokratie retten will, die durch Trunk- oder Spielsucht einzelner Angehöriger der indonesischen Fürstenfamilie unterzugehen droht. Chais Scholten van Aschat kniet oft vor einem kleinen Holzstuhl, der seinen Schreibtisch markiert - ein Dienender, der so aber auch seiner Familie ständig den Rücken kehrt. Und damit blind ist gegenüber den erotischen Ausschweifungen seiner Frau Leonie, die gleichzeitig mit ihrem Stiefsohn Theo und mit einem Halbblut namens Addy schläft. Briefe, die Leonie verleumden, ignoriert van Oudijck, bis schlimme Dinge passieren – ein zerbrochener Spiegel, eine Attacke mit blutrotem Saft auf Leonie im Badezimmer. Leonie nennt es Geisterspuk wie die abergläubischen Einheimischen, van Oudijck glaubt an Proteste von Aufständischen, nachdem er den unbotmäßigen javanischen Prinzen festgesetzt hat. Es gibt aber noch ein zweites Paar im Stück: Eva, die sich schwertut mit dem indonesischen Laissez-faire, mit der Kulturlosigkeit, dem Klima, dem endlosen, durch das Wetter provozierten Verfall ihres Hauses; und Frans van Helderen, halb Holländer, halb Javaner, der sie anbetet und sich nach Europa, nach Paris und Bayreuth, sehnt. Im Buch wie im Stück stehen beide für die unerfüllten Sehnsüchte wie die enttäuschten Erwartungen der Europäer in den Kolonien.
    "Die stille Kraft", das Irrationale, geheimnisvolle, exotische Andere, hat am Ende gesiegt. Mit seinem 1900 erschienenen Buch hat der Autor Louis Couperus die kurze Kolonialzeit der Holländer im heutigen Indonesien in einen Roman gegossen, der Groschenheft-Romantik und poetische Kraft ebenso vereint wie die Sympathie für schwüle Erotik und Ansätze eines kritischen Diskurses über die Kolonien.
    Ein Kulturkampf zwischen westlicher und fernöstlicher Kultur, der auch heute noch hoch aktuell ist, wie ihn Johan Simons, der Intendant der Ruhrtriennale, mit Blick auf Afghanistan oder den Irak aus dem Buch heraus lesen will, ist hier nicht beschrieben. Deutlich aber wird die Einbahnstraßen-Mentalität der Niederländer, dieser unbedingte Glaube an die europäischen Errungenschaften, die einzig dem Wohl und einer vermeintlich besseren Zukunft der "Landeskinder" dienten.
    Die Koproduktion der Ruhrtriennale mit der Toneelgroep Amsterdam ist bilderreich und ökonomisch, emotional und reflektiert zugleich, was übrigens auch für das sehr gute Ensemble von Schauspielern gilt. Vor allem aber stellt sie das Werk eines Autors aus dem Nachbarland vor, der als der "Thomas Mann der Niederlande" gilt, und der hierzulande noch oder wieder zu entdecken ist.