Musik: Alfred Bachelet - Chère Nuit
"Chère Nuit" - "Geliebte Nacht" ist der Titel eines Liedes von Alfred Bachelet. Er war Zeitgenosse von Claude Debussy, lebte jedoch viel länger. "Chère Nuit" beschreibt, wie die Sonne untergeht, die Dunkelheit langsam eintritt, und die Geheimnisse der Nacht verzaubern.
Musik: Alfred Bachelet - Chère Nuit
Die Nacht stand besonders in der Romantik für die verborgenen, oft erotischen Wünsche, für Neugier und Angst gleichermaßen. Eine ideale Inspirationsquelle für Künstler – Dichter, Musiker, Maler. "Chère Nuit" (Geliebte Nacht) - unter diesem Titel hat die britische Sopranistin Louise Alder 24 französische Lieder zusammengestellt. Zwischen 1866 und 1948 entstanden bilden sie ein stilistisch vielfältiges Spektrum. Debussy, Ravel, Satie, Messiaen, Poulenc heißen die Komponisten, auch Werke der beiden Komponistinnen Pauline Viardot und Cécile Chaminade sind dabei. Die CD ist bei Chandos erschienen.
Musik: Alfred Bachelet - Chère Nuit
Mit Sehnsucht in der Stimme
Über der aufgefächerten Klavierbegleitung führt Louise Alder ihren Sopran spannungsvoll und dynamisch abgestuft. Manchmal klingt ihr Timbre auf einzelnen Worten leicht hauchig. Das verstärkt den Eindruck von Sehnsucht. Ihr Vibrato benutzt sie überlegt und angenehmerweise niemals verschwenderisch. Man spürt, dass sie auch eine erfahrene Sängerin alter Musik ist.
Musik: Alfred Bachelet - Chère Nuit
Alfred Bachelets Lied "Chère Nuit" entstand 1897 für die berühmte Sängerin Nellie Melba. Wie viele französische Komponisten der Zeit war Bachelet von Richard Wagner beeinflusst. In "Chère Nuit" baut sich etwa der musikalische Höhepunkt sehr stringent auf und erinnert hier durchaus an große Kulminationen bei Wagner.
Das Album von Louise Alder kann man in drei Abschnitte aufteilen. Das zweite Drittel schließt Bachelets Lied ab. Dieser Teil mit Liedern von Pauline Viardot und Cécile Chaminade steht stilistisch in der romantischen Liedtradition des 19. Jahrhunderts. Das erste Drittel mit Ravel, Messiaen, Debussy zeigt den Blick ins 20. Jahrhundert. Die Gedichte stammen u. a. von symbolistischen Poeten wie Verlaine und Mallarmé. Das letzte Drittel mit Poulenc, Satie und Maurice Yvain kehrt zurück ins 20. Jahrhundert, und bringt Aspekte der leichteren Muse ein. Die Lieder vermitteln den Charme von Chanson, Operette oder Varieté.
Eröffnet wird das Album mit Maurice Ravels "Asie" (Asien) aus dem dreiteiligen Zyklus "Shéhérazade" von 1903.
Musik: Maurice Ravel - Shéhérazade, 1. Asie
Mit Flirren und Schillern im Klavierpart
"Altes Wunderland der Märchen meiner Amme, in dem die Fantasie wie eine Kaiserin im Wald voller Geheimnisse schlummert..." Schon allein die ersten Worte des Liedes "Asien" aus Shéhérazade von Ravel entführen in eine exotische Welt.
Dreimal, wie eine Beschwörung wiederholt die Sängerin am Anfang das magische Wort "Asien". Spätestens seit der Pariser Weltausstellung von 1889 übten der Orient und Fernost und für viele einen unwiderstehlichen Zauber aus. Ravels Lied besingt Blumeninseln und Nachtvögel, Samt oder Seide. Das Flirren und Schillern des Klavierparts drückt Faszination und Sehnsucht aus. Joseph Middleton nuanciert seinen Anschlag mit feinen Farbschichten, er begleitet nicht nur hier subtil und immer durchsichtig. So auch eindrücklich in Olivier Messiaens "Trois Mélodies" (Drei Liedern) von 1930. Messiaen war damals zweiundzwanzig. Der junge Komponist stand noch ganz im Zauber und in der Tradition von Debussy. Aber man hört schon manche Charakteristika seines späteren Stils, etwa vielschichtige Akkorde oder vogelstimmenartige Klänge. Zu dem Lied "Pourquoi" (Warum) schrieb Messiaen selbst den Text. Vögel, Luft, Wasser oder Wolken kommen vor. Aber die insistierend wiederholte Frage "Warum?", warum die Wunder der Natur den offensichtlich deprimierten Erzähler nicht berühren, bleibt offen.
Musik: Olivier Messiaen - "Trois Mélodies", 1. Pourquoi
Louise Alder und ihr Klavierpartner Joseph Middleton strahlen nicht nur in "Pourquoi" von Olivier Messiaen eine beeindruckende Ruhe und Klarheit aus. Man spürt in jedem Ton, dass die beiden Künstler intensiv am Ausdruck und seiner adäquaten musikalischen Umsetzung gefeilt haben. Man fühlt sich so als Hörer, als Hörerin sehr sicher.
Auch ein Luftgeist taucht auf
Außerdem überzeugt die Dramaturgie des Albums. Auf Messiaens "Trois Mélodies" folgen drei Lieder von Debussy. Es vermittelt sich sofort – quasi rückwirkend - , wie Messiaen in direkter Linie Debussy stilistisch aufgreift und fortführt. Debussys Lieder wiederum entstanden schon in den 1880-er Jahren, sie wirken aber visionär.
Musik: Claude Debussy - "La Romance d’Ariel"
Ein Ausschnitt aus "La Romance d’Ariel" – "Ariels Romanze" von Claude Debussy. Louise Alder schlüpft hier in die Rolle des Luftgeistes aus Shakespeares "Der Sturm". Das Gedicht von Paul Bourget erzählt bildreich von wehenden goldenen Haaren, schwingenden Glocken, Licht und Schatten, Freude und Leid.
Eigentlich zieht sich durch alle 24 Lieder des Albums "Chère Nuit" mehr oder weniger stark die Melancholie. Man hört sie auch in "Havanaise" von Pauline Viardot. Die legendäre Mezzosopranistin, Pädagogin und Komponistin hatte spanische Wurzeln. In ihrer "Havanaise" klingt der typische Habenera-Rhythmus an, der ja auch aus Georges Bizets Oper Carmen bekannt ist.
Musik: Pauline Viardot, Six Mélodies et une Havanaise VWV 1019, 7. Havanaise
Geschmackvolle Wechsel unterstützen die Dramaturgie
Nicht nur diese "Havanaise" von Pauline Viardot - ein ins Folkloristische tendierendes Lied - singt Louise Alder mit Charme und Anmut. Das letzte Drittel des Albums "Chère Nuit" (Geliebte Nacht) streift stilistisch klar das Unterhaltungsmusikgenre. Das verschafft nach der bis dahin doch dominierenden schwülen Schwere - dem Schmerz, dem Leid, der Sehnsucht – eine gewisse Erleichterung. Doch bevor das Album fast im Barmusik- und Varieté-Stil endet, fehlt auch hier nicht der ernsthafte Kontrast dazu: mit drei Liedern von Francis Poulenc. Genau diese geschmackvollen Wechsel machen die Dramaturgie dieser CD so kurzweilig.
Musik: Francis Poulenc, Metamorphoses FP 121, 3. Paganini
"Paganini" das dritte Lied aus den "Metamorphosen" von Francis Poulenc. Hier werden der legendäre Teufelsgeiger und sein Instrument zum Ausgangspunkt für ein überbordendes Wort- und Assoziationsspiel. Die Violine wird als Meerjungfrau, Heilige, gestiefelter Kater oder Jäger und mehr bezeichnet. Es ist eines der virtuosesten Lieder der CD, brillant serviert von Louise Alder und Joseph Middleton. Ab hier setzen die beiden Künstler gewissermaßen zum ausgelassenen Schlussspurt an. Nachdem in Poulencs "Paganini" rauschend Assoziationen zur Violine besungen wurden, schliesst sich ein Augenzwinkern von Erik Satie an.
Musik: Erik Satie, La Diva de L’Empire
Mit Pep, Swing und Witz
Mit "La Diva de L’Empire" (Die Diva aus dem Empire) bezieht sich Erik Satie auf ein Varieté-Theater am Leicester Square in London. Dieses Lied von 1904 basiert auf dem amerikanischen Cakewalk-Tanz. Mit Pep, Swing und Witz geht Louise Alder dieses schon fast Jukebox-artige Lied an. Man staunt einmal mehr über die Vielseitigkeit der Sopranistin.
Das letzte Lied dieser CD stimmt noch einmal eine Hymne auf die Nacht an. "Je chante la nuit" von Maurice Yvain kann sowohl "Ich singe von der Nacht" oder "Ich singe in der Nacht" bedeuten. In seinem Text lässt der Filmregisseur Henri Clouzot die magischen Facetten der Nacht leuchten: die Liebessehnsüchte, die Traurigkeit und Hoffnung, das Leid gebrochener Herzen. So schließt sich in diesem Album "Geliebte Nacht" der Kreis zu den schillernden, symbolistischen Liedern am Anfang der CD. Auf diese weite, kontrastreiche, aber immer stimulierende Reise folgt man Louise Alder und Joseph Middleton mit purem Vergnügen.
Musik: Maurice Yvain, Je chante la nuit
Chère Nuit - French songs
Louise Alder, Sopran
Joseph Middleton, Klavier
Label: Chandos
Louise Alder, Sopran
Joseph Middleton, Klavier
Label: Chandos