Es war ein trüber Samstagmorgen. Durch den Nieselregen zog ein Grüppchen von Menschen über den Kudamm, tanzend und bester Stimmung, gemäß dem selbst gewählten Motto: Friede, Freude, Eierkuchen. Unter diesem Namen war die Straßenparty als Demonstration bei der Stadt Westberlin angemeldet worden. DJ Westbam:
"Das war natürlich genau der Hammer. Mit Polizeischutz und so drei jämmerlichen Kleinwagen und den kleinen Boxen da hinten drauf und hähähä ..."
Aus den Boxen wummerte Techno. Eine Mischung aus Disco und elektrischen Beats, Acid und House.
Musik, die in manchen kleinen Westberliner Clubs aufgelegt wurde, von DJs wie Westbam. Dr Motte. Dimitri Hegemann.
"Diesen Tag, den hab' ich auch noch gut in Erinnerung, also ich war dort im Kreuzberger Ufo-Club im Keller unter dem damaligen Fischbüro und erwartete eine Gruppe dieser Teilnehmer, wir hatten die alte Kaffeemaschine angeworfen. Es war sehr prickelnd in dieser Zeit, weil im Grunde ja auch die ganze Geschichte mit Ost- und Westberlin schon in der Diskussion war, die Musik war völlig frisch, völlig neu, und das hat uns ziemlich begeistert. Trotzdem: Wir waren eine sehr kleine Gruppe."
Euphorie der ravenden Gesellschaft
Höchstens 100 Leute passten ins Ufo, etwa 150 waren bei der ersten Loveparade dabei am 1. Juli 1989: im letzten Sommer Westberlins. DJ Westbam:
"Es war irgendwo getragen von so ner Euphorie, dass jetzt schönere Zeiten anbrechen. Ich bin ja auch so ein bisschen noch geprägt von der Hippie-Kultur und das habe ich so ein bisschen wiederentdeckt und zum ersten Mal dann richtig erlebt, man hing zusammen, man verbrachte Stunden bis tief in die Nacht und zum anderen Morgen gemeinsam und begleitet wurde man halt durch diese Musik. Das war dann die Euphorie der ravenden Gesellschaft. Was dann später die Spaßgesellschaft wurde, und ich denke, was dann auch nicht zuletzt in den Fanmeilen gemündet hat und ich seh da schon, dass die Loveparade für die Selbsterfindung der Deutschen, da hat es sehr viel bewegt, dass wir gar nicht so sind."
Dimitri Hegemann:
"Das war etwas wirklich Besonderes und vor allem auch etwas Neues, diese Tanzeuphorie vor allen Dingen. Ich kam ja aus dem Berlin, wo die Leute sich alle in Schwarz kleideten und Thema wie No Future angesagt war. Und dann kam dieser frische Inhalt aus England rübergeschwappt, und das hat mich begeistert damals. Und wir haben aber damals in Westberlin kaum einen Quadratmeter gehabt, wo wir feiern konnten und das große Geschenk kam dann kurz später, also mit dem Fall der Mauer."
The future is ours
Bei der zweiten Loveparade, ein Jahr später, tanzten bereits 2.000 Menschen auf dem Kudamm. Angemeldet wieder als Demonstration, dieses Mal unter dem Motto: The future is ours. Eine Techno-Straßenparty für alle.
Dimitri Hegemann:
"Es gab die verrücktesten Theorien, ob das mit Marschmusik, mit Viervierteltakt zu tun hat oder ob es einfach nur das Instrumentale ist, weil viele kein Englisch sprechen und mittanzen konnten, oder ob es primär der Beat ist, der uns da packt. Die Hintergründe, heute betrachtet, haben definitiv damit zu tun, dass die Mauer fiel, und viele Kulturaktivisten aus Westberlin, die fanden dann endlich ihre Spielstätten im Ostteil der Stadt und konnten gleich loslegen ..."
Die Boxen auf den Wagen wurden immer größer, die Beats immer fetter, die Tänzer immer ekstatischer.
"1995 waren wir bereits 350.000 auf dem Kudamm."
Dr Motte. DJ und Veranstalter der Loveparade bis 2006.
"Wir haben gesagt, wir haben ne Verantwortung, wir müssen hier die Sicherheit gewährleisten, und sind deshalb dann auf die Straße des 17. Juni gezogen und haben dann natürlich auch die Möglichkeit gehabt, dass man unmittelbar, um die Straße des 17. Juni herum, sich schnell zurückziehen kann ..."
Müllberg im Tiergarten
Fortan zog die Techno-Parade durch den Tiergarten - noch vier Sommer lang verwandelte sich die vierspurige Straße zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor für jeweils einen Tag in eine Partymeile. Dann begannen die Probleme: die Stadt Berlin weigerte sich, das Treffen der Spaßguerilleros als Demonstration zu akzeptieren und überließ Logistik und Organisation den Veranstaltern. Deren Schulden wuchsen ebenso wie der allsommerliche Müllberg im Tiergarten. Im Jahr 2006 verkauften Dr Motte und seine Partner die Loveparade an den Unternehmer Rainer Schaller. Der verlegte die Technoparty ins Ruhrgebiet. Nach Essen, nach Dortmund.
Loveparade endete in einer Katastrophe
Im Rahmen des europäischen Kulturhauptstadtjahres Ruhr 2010 endete die letzte Loveparade im Duisburger Güterbahnhof mit einer Katastrophe: 21 Menschen starben im Gedränge, weil es nicht genügend Fluchtwege gab, mehr als 500 wurden verletzt. Unverantwortlichkeit und Geldgier haben die Idee der Loveparade endgültig begraben.