Loyalität zu dem Land, in dem man lebe, sei die Grundvoraussetzung für ein friedliches Miteinander, betonte die Publizistin. Doch genau dieser Begriff werde vielen Menschen, die schon lange in Deutschland leben, gar nicht vermittelt.
Kelek kritisierte, dass auch türkische Verbände den Begriff Loyalität nicht nutzen würden: "Sie fühlen sich berufen, die Menschen, die hier leben, ihre Landsleute immer wieder daran zu erinnern, dass sie ja Türken sind." Diese würden sich von einem Land, in den sie nicht mal leben oder geboren sind, instrumentalisieren lassen, betonte die Sozialwissenschaftlerin.
Das Interview in voller Länge:
Rainer Brandes: "Von den Türkischstämmigen, die schon lange in Deutschland leben, erwarten wir, dass sie ein hohes Maß an Loyalität zu unserem Land entwickeln. Dafür versuchen wir, für ihre Anliegen ein offenes Ohr zu haben und sie zu verstehen." Dieses Zitat stammt von Angela Merkel. Sie hat das in einem Interview der "Ruhrnachrichten" gesagt. Die Bundeskanzlerin fordert also Loyalität von türkischstämmigen Deutschen ein, während Teile ihrer Partei längst die Eingrenzung der doppelten Staatsbürgerschaft fordern.
Ich spreche darüber jetzt mit Necla Kelek. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Publizistin. Sie ist Deutsche und in Istanbul geboren. Seit vielen Jahren kritisiert sie türkische und arabische Parallelgesellschaften in Deutschland. Guten Abend!
Necla Kelek: Guten Abend, Herr Brandes.
Brandes: Frau Kelek, wie steht es um Ihre Loyalität zu Deutschland?
Kelek: Ich sehe mich als ein Mitglied dieses Landes und die Bundeskanzlerin Angela Merkel ist meine Kanzlerin.
"Ohne Loyalität kann man nicht wirklich friedlich miteinander leben"
Brandes: Was ist überhaupt Loyalität?
Kelek: Für mich ist das die Grundvoraussetzung überhaupt für ein friedliches Miteinander. Ohne Loyalität gegenüber dem Land, in dem man lebt, kann man eigentlich nicht wirklich friedlich miteinander leben. Das geht sogar so weit, wenn Menschen sagen, ich lebe gerne in Deutschland, aber ich möchte für die Türkei zum Beispiel sterben, oder ich möchte in Deutschland leben, aber nicht mit den Deutschen, es gibt zwar in diesem Land eine Kanzlerin, aber mein Kanzler oder mein Präsident ist Erdogan. Ich sehe da für die Zukunft oder für ein Miteinander kein gutes oder einen guten friedlichen Weg.
Brandes: Aber was beinhaltet denn Loyalität konkret? Ist nicht das Problem an diesem Wort, dass da jeder reininterpretieren kann was er will?
Kelek: Das ist ja sehr schade, dass genau dieser Begriff den Menschen, die hier so lange schon leben, gar nicht vermittelt wurde. Viele Türken verstehen, glaube ich, unter Loyalität schon wieder Anpassung, Assimilation, worüber wir ja seit Jahrzehnten eigentlich sprechen und auch einfordern.
Loyalität ist eigentlich, dass ich in einem Land, wo ich Steuern zahle und auch zur Wahl gehe, dass ich mich auch mit dem Grundgesetz und auch mit der Verfassung, aber auch mit dem, welche Gesetze hier herrschen, dass ich mich darin auskenne und ein Teil dieser Gesellschaft geworden bin. Das heißt auch ein Teil der deutschen Gesellschaft, dass ich weiß, in welchem Land ich lebe. Das geht natürlich wieder viel, viel, viel weiter, dass ich natürlich auch treu der Regierung bin oder dem Land bin, in dem ich lebe.
"Auch von vielen Verbänden wird der Begriff Loyalität nicht genutzt"
Brandes: Kann denn eine moderne pluralistische Gesellschaft von ihren Bürgern da mehr verlangen als Treue zum Rechtsstaat?
Kelek: Ja, und zwar, dass jeder Einzelne, der sich entscheidet, in einem Land zu leben, auch auseinandersetzt, in welchem Land er lebt, welche Kulturen dort herrschen, was unter diesem Recht, unter diesen einzelnen Gesetzen, was dahinter ja noch für eine ganze Geschichte ja auch steckt, dass er die auch kennt und auch ein Teil dieser Gesellschaft, dieser Wertegemeinschaft, in der wir leben, sein möchte.
Demokratie heißt ja, dass ich mich in meinen eigenen Angelegenheiten in dem Land, wo ich lebe, einmische und nicht eine Parallelwelt mir schaffe und sage, das ist ja auch mein Recht, weil so wird das ja oft begründet. Auch von den vielen Verbänden zum Beispiel, was ich sehr kritisiere, wird dieser Begriff Loyalität ja überhaupt nicht genutzt. Sie fühlen sich berufen, die Menschen, die hier leben, ihre Landsleute immer wieder daran zu erinnern, dass sie ja Türken sind.
Auch die türkischen Verbände zum Beispiel sind sehr türkisch-nationalistisch und besonders die Mitglieder, die da sind, und auch die Menschen, die hier geboren sind, gehen nach einer Tradition, zum Beispiel türkisch-muslimischer Tradition, können nicht für sich selber einen individuellen Weg dadurch gehen. Das heißt, sie beeinflussen ihre Mitglieder, aber auch die Öffentlichkeit immer wieder in die Richtung, dass jeder, der hier lebt, nicht vergessen darf, dass er aus der Türkei stammt.
"Die meisten sind in zwei Nichtheimaten verloren"
Brandes: Jetzt sagen diese Verbände ja, sie propagieren, dass die Leute ihre türkische Herkunft nicht vergessen und trotzdem gleichzeitig auch in Deutschland beheimatet sein sollen. Kann man denn zwei Staaten gleichzeitig loyal sein? Das, behaupten ja einige in der Union jetzt, ginge eben nicht und sie wollen die doppelte Staatsbürgerschaft wieder zurückdrehen.
Kelek: Es gibt sicherlich viele türkische muslimischstämmige Menschen, die hier wirklich eine Heimat gefunden haben und gleichzeitig zuhause sind in der Türkei, also in beiden Heimaten zuhause sind. Aber ich weiß, dass die meisten - und darüber sprechen wir, glaube ich, auch -, die sich weder integrieren wollen in die europäischen Werte und eine andere Welt hier zusammenbasteln, dass sie eigentlich in zwei Nichtheimaten verloren sind, und über diese Gruppe sprechen wir.
Und wenn ich an die Demonstration jetzt denke, was für Erdogan letztens ja stattgefunden hat, dann kann ich nur sagen, dass das aus meiner Sicht Zivilsoldaten des Erdogans waren und diese Menschen tatsächlich davon ausgehen, dass nicht nur die Türkei zu islamisieren ist, sondern auch Europa. Das heißt, sie lassen sich von einem Land, in dem sie nicht mal leben oder nicht mal geboren sind, so einfädeln, dass sie hier im Auftrag eines anderen Landes leben, und das kann ja für unsere Gemeinsamkeit und diese Multi-Ethnie, über die wir hier sprechen, nicht gut sein.
Brandes: Steht denn die doppelte Staatsbürgerschaft hier einer besseren Integration im Weg?
Kelek: Ja. Ich bin gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, besonders zu Menschen, die aus einem so kollektiven Staat kommen und keine individuelle Freiheit haben, sich wirklich für sich selbst zu entscheiden, ob sie in Deutschland einen eigenen Weg gehen wollen, weil durch diesen Respekt gegenüber den Älteren haben sie auch kein Recht auf Widerspruch. Die meisten, aber auch ihre Vertreter, die organisierten Verbände, nutzen die doppelte Staatsbürgerschaft tatsächlich für ein anderes Land zu dienen, aber hier zu leben, und deshalb bin ich dagegen.
"Die meisten gehen für Erdogan auf die Straße und nicht für Frau Merkel"
Brandes: Aber was entgegnen Sie Leuten, die sagen, ich bin hier in Deutschland zuhause, deswegen möchte ich Deutscher sein, ich bin aber auch in der Türkei beheimatet und möchte vielleicht auch mal in der Türkei und mal in Deutschland leben und arbeiten, und dafür ist die doppelte Staatsbürgerschaft eine feine Sache?
Kelek: Wir haben eben andere Erfahrungen gemacht. Wir sehen doch, dass die meisten zum Beispiel für Erdogan auf die Straße gehen und nicht für Frau Merkel oder für die Demokratie. Und wenn wir solche Erfahrungen machen, dass das einem nicht gut tut, dass der Einzelne sich nicht wirklich Deutschland als Heimat aussuchen kann, weil dieses Kollektiv so stark ist, dann kann das nicht gut sein. Das kann für europäische Länder gut sein, aber nicht für islamisch-muslimisch-türkische Menschen. Das ist einfach nicht in Ordnung.
Es gibt bestimmt welche, die das für sich selbst so positiv werten und auch positiv nutzen, aber die meisten tun das nicht. Außerdem gibt es die Möglichkeit, wenn sie nur den deutschen Pass haben, eine blaue Karte zu bekommen, und nach wie vor können sie in der Türkei mit dieser blauen Karte Eigentum erwerben, sogar dort selbstständig sein. Die türkische Regierung hat sich da auch Dinge überlegt, wie das Land nicht für immer verloren gehen kann.
Brandes: Ich habe mit der Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek über Merkels Forderung an türkischstämmige Deutsche nach Loyalität zu Deutschland gesprochen. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.