Den Auftakt bilden zwei Selbstportraits: Freuds kompakter, ganz dunkel gehaltener Charakterschädel, Auerbachs zersprungenes, in viele Einzelteile fast aufgelöstes Gesicht auf hellem Grund. Diese Unterschiede sind Programm, auch bei den oft über Jahre immer neu gefertigten Bildnissen anderer Personen: Wo Freud ganz nah und plastisch an der Figur bleibt, fliegen die Gesichter bei Auerbach fast auseinander, zerfallen in viele abstrakte Details und fügen sich dann zu einem Fragment - weil die Geschichte eines Menschen notwendig Fragment bleiben muss.
Auf das Wesentliche reduziert
Es ist klug, die Ausstellung auf grafische Arbeiten zu beschränken - in den Ölbildern würden Freuds Fleischwülste und bei Auerbach die abstrakt-expressive Farbigkeit die Oberhand gewinnen. In der Reduktion der Radierung aber tritt das Wesentliche zutage, bei Freud die Lust am Detail, an der Schutzlosigkeit und Nacktheit, die über eine Person eben mehr erzählt als alles andere; bei Auerbach eine fast Giacometti-hafte, immer neu ansetzende Suche nach dem Wesen einer Person, das sich oft dann in auseinanderdriftenden, in der Leere verlierenden Strichen manifestiert.
Beide Künstler sind als Kinder auf der Flucht vor den Nazis nach England gekommen; es scheint ihnen immer unangenehm gewesen zu sein, darüber zu sprechen. Die beiden Künstler lernten sich früh kennen und blieben ein Leben lang befreundet, sagt Kuratorin Regina Freyberger.
Sie sind in den 1950er-Jahren in London in denselben Künstlerkreisen unterwegs, waren beide mit Francis Bacon befreundet. Freud hat Auerbachs Debüt-Ausstellung 1956/57 in London gesehen und war von ihr sehr beeindruckt - und hat gemeint, das sei das schockierendste Durcheinander gewesen, das er je gesehen hätte. Aber nicht im negativen, sondern im positiven Sinne. Und auch Auerbach war von der Kunst Freuds sehr beeindruckt.
Die beiden tauschten sich aus, berieten einander in Detailfragen - und waren beide äußerst sesshaft. Sie wohnten quasi in ihren Londoner Ateliers, arbeiteten 365 Tage im Jahr und begaben sich nur im Notfall auf Reisen.
Sie sind einfach beide eher asketisch in ihrem Leben und grundsätzlich wenig gereist. Und Freud ist, wenn er gereist ist, zu Ausstellungen gereist, um bestimmte Bilder zu sehen von Grünewald oder anderen. Dann ist er mal in den Flieger gestiegen und hat sich das angesehen. Auerbach noch viel weniger.
Auf der Suche nach dem Wahrhaftigen
Beiden Künstlern ging es nicht um das Abbild, sondern um die Wahrheit einer Person, der man sich in vielen Sitzungen annähern musste. Dabei wurde auch die zunehmende Müdigkeit des Modells als Ausdruck von Wahrhaftigkeit empfunden. Während Freud immer die gleichen Personen oft jahrelang immer neu in ihrer Kreatürlichkeit zu fassen suchte, als Körperlandschaften, malte Auerbach pro Sitzung ein Bild, von dem er in der folgenden Sitzung die Farbe abschabte und von Neuem begann; so entstanden viele Schichten einer Person, in immer neuer Sicht.
Diese Verfahren sind in der Radierung natürlich nicht möglich, für die Freud die Radiernadel, Auerbach aber Dartpfeile und Schraubenzieher nutzte. Aber auch hier gab es bei beiden monatelange Sitzungen und Skizzen; die in den Ätzgrund der Kupferplatte gekratzte Figur wird beim Druck natürlich nochmals massiv bearbeitet.
Zweieiige Zwillinge im künstlerischen Geist
In der schön arrangierten Ausstellung beeindruckt die beiden Künstlern gemeinsame Strategie der Beharrlichkeit, bei motivischer Beschränkung ein Gegenüber immer neu zu erkunden, das wahre Gesicht zu zeigen. Bei Auerbach steht das stets Veränderbare einer Figur, aber auch das Flüchtige des Lebens im Zentrum des Interesses. Er ist allerdings gnadenlos: Manche Köpfe haben totenschädelähnliche Umrisse und ein Werk wie "Julie asleep" zeigt quasi ein Gerippe liegender Linien. Bei Freud dagegen sind die Formen kompakt: wollüstige Leiblichkeit, effektreiche Körperbehaarung und subtile Schattierung.
Lucian Freud und Frank Auerbach wirken wie zweieiige Zwillinge: Sie zeigen, wie man aus dem gleichen strategischen Ansatz höchst Unterschiedliches machen kann. Und sie sind doch so wesensverwandt, wie zwei Künstler es nur sein können.