29 Jahre alt ist Johann Georg Niederegger, als er im März 1806 in einer Lübecker Zeitung eine öffentliche Erklärung abdrucken lässt:
Mit dem heutigen Tag trete ich die bisherige Conditorey des seligen Johann Gerhard Maret für meine Rechnung an, und erlaube mir, mich dem Wohlwollen der Freunde dieses Hauses, wie dem des ganzen verehrten Publiko auf das Ergebenste zu empfehlen. Ich werde allemal mein äußerstes Bestreben dahin richten, durch aufrichtige und billige Behandlung das Zutrauen zu verdienen, dessen sich meine Vorgänger mit so viel Recht rühmen konnten.
Der schwierigen Lage wegen hatte der Konditor seiner Heimatstadt Ulm sechs Jahre zuvor den Rücken gekehrt. Die Hansestadt an der Trave ist zu dieser Zeit zwar auch keine reiche, aber eine wohlhabende Stadt, als Handelszentrum noch immer von Bedeutung. Hier erweist sich Johann Georg Niederegger nicht nur als guter Konditor, sondern auch als geschickter Kaufmann. Als er 1856 stirbt, hinterlässt er seinem Schwiegersohn ein weit über die Stadtgrenzen hinaus angesehenes Familienunternehmen.
Heute beschäftigt Niederegger in seiner Marzipanfabrik 500 Mitarbeiter. Zwischen August und Februar kommen noch einmal bis zu 200 Saisonkräfte hinzu. Keiner von ihnen muss die Mandeln heute noch selbst schälen oder gar mit einem Reibstein zu einem Brei zermahlen. Das erledigen große Maschinen und Produktionsstraßen. Etwa 30 Tonnen Marzipan verlassen täglich die Manufaktur – durchweg so genanntes "Lübecker Marzipan", eine inzwischen von der EU und damit weltweit geschützte Herkunftsbezeichnung. Nur in der Hansestadt darf es hergestellt werden und nur in einer vorgeschriebenen Zusammensetzung. Die genaue Rezeptur des Niederegger Marzipans allerdings bleibt ein gut gehütetes Geheimnis.
In den Produktionshallen ist nach wie vor Handarbeit angesagt. Zum Beispiel in der so genannten Schminkabteilung, wo das ganze Jahr über Marzipanäpfel, Birnen und Bananen, Katzen, Hunde oder Elefanten in kleine bunte Kunstwerke verwandelt werden. Manuela Kässner hat einen Pinsel mit Lebensmittelfarbe in der Hand und eine besonders aufwendige Marzipantorte zur 200-Jahr-Feier vor sich:
"Das ist eine Ehre, dass malen – oder besser: Schminken zu dürfen. Mein Sohn geht noch zur Schule. Wenn er aber gefragt wird: Was ist Deine Mutter von Beruf, dann sagt er: Meine Mutter ist Kunstmalerin für Süßes. Weil er sich eben ‚Schminkerin’ nicht merken kann."
Die 40-jährige ist im Kreis ihrer Kolleginnen nicht die einzige, die stolz auf ihre Arbeit ist. Und nicht die einzige, die mit Anerkennung über das Unternehmen spricht.
"Seit 27 Jahren bin ich in der Firma. Ich habe hier meine Sicherheit. Ich arbeite hier sehr gerne. Die Kollegen sind nett. Es gefällt mir rundherum alles. Und da der Betrieb ja schon 200 Jahre existiert, kann man ja hoffen, dass man vielleicht noch länger hier ist. Ich kann hier alt werden! Ich bin 36. Und ich kann wirklich bis zum Rentenalter, wenn der Betrieb so bleibt, hier alt werden!"
Er kenne den Namen jedes Mitarbeiters, heißt es von Holger Strait, der heute die Geschäfte führt - in der siebten Generation und gemeinsam mit seiner Frau Angelika. Von Entscheidungen auf der Bettkante spricht er mit einem selbstironischen Schmunzeln. Und ist stolz darauf, dass er noch nie einen Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Gründen vor die Tür gesetzt hat. Das Wort Familienunternehmen: für die beiden ein Stück der Philosophie bei Niederegger und damit ein wichtiger Baustein des geschäftlichen Erfolgs.
"Dieses große Wort immer: Wir sind eine Familie! Das wird heute nicht gern gehört. Aber ich glaube schon, dass es andere Empfindungen beim Mitarbeiter sind, als für einen Konzern zu arbeiten!"
"Ich glaube schon, dass inhabergeführte Unternehmen letztlich nicht getrieben sind von Quartalsberichten oder von Börsenzahlen; dass wir eine Strategie sehr kontinuierlich um- und fortsetzen können, uns sicherlich anpassen müssen, aber nicht hektisch anpassen müssen, nur weil irgendwelche Quartalsergebnisse nicht da sind."
Mehr als 300 verschiedene Artikel hat Niederegger derzeit im Sortiment. Die schlichte Marzipankartoffel und das traditionelle Marzipanbrot gehören ebenso dazu wie Pralinen und Marzipanlikör. Ein Balanceakt zwischen Tradition und Veränderung. Viele Entscheidungen, sagt Strait, trifft er aus dem Bauch heraus. Und das in einem Umfeld, das schwieriger geworden ist: Im letzten Jahr stagnierte der Umsatz in der Süßwarenbranche erstmals. Weshalb Holger Strait von sich sagt, dass er sich beklagt, dies aber auf hohem Niveau.
"Wenn ich natürlich stöhne und sage: Mensch, die Mandelpreise haben sich fast verdreifacht oder Haselnusspreise sind so extrem hoch – wenn man dann mal in die Geschichte guckt: Ur-Ur-Großvater Köpf hatte die Gründerkrise zu überleben, Urgroßvater Köpf hatte die Weltwirtschaftskrise, Großvater Strait hatte ein zerbombtes Geschäftshaus in der Breiten Straße – Ich glaube, eigentlich ist unsere Generation besser dran als die Generationen davor."
Zumal Niederegger im vergangenen Jahr den Umsatz gegen den Branchentrend um sieben Prozent steigern konnte. Umsatzzahlen im Einzelnen verrät das Unternehmen nicht. Nur soviel: Als besonders erfolgreich haben sich gerade neue Produkte erwiesen: der Marzipan-Tee zum Beispiel oder verschiedene mit Marzipan aromatisierte Kaffeesorten. Und damit der Versuch, zusätzlich zu dem Kerngeschäft mit den Klassikern auch neue, vor allem: jüngere Kunden anzusprechen. Insofern bleibt für Holger Strait und Ehefrau Angelika im Grunde nur ein Wunsch: Das eine der beiden erwachsenen Töchter die Niederegger Marzipanfabrik eines Tages weiterführt. Es wäre die achte Generation.
Mit dem heutigen Tag trete ich die bisherige Conditorey des seligen Johann Gerhard Maret für meine Rechnung an, und erlaube mir, mich dem Wohlwollen der Freunde dieses Hauses, wie dem des ganzen verehrten Publiko auf das Ergebenste zu empfehlen. Ich werde allemal mein äußerstes Bestreben dahin richten, durch aufrichtige und billige Behandlung das Zutrauen zu verdienen, dessen sich meine Vorgänger mit so viel Recht rühmen konnten.
Der schwierigen Lage wegen hatte der Konditor seiner Heimatstadt Ulm sechs Jahre zuvor den Rücken gekehrt. Die Hansestadt an der Trave ist zu dieser Zeit zwar auch keine reiche, aber eine wohlhabende Stadt, als Handelszentrum noch immer von Bedeutung. Hier erweist sich Johann Georg Niederegger nicht nur als guter Konditor, sondern auch als geschickter Kaufmann. Als er 1856 stirbt, hinterlässt er seinem Schwiegersohn ein weit über die Stadtgrenzen hinaus angesehenes Familienunternehmen.
Heute beschäftigt Niederegger in seiner Marzipanfabrik 500 Mitarbeiter. Zwischen August und Februar kommen noch einmal bis zu 200 Saisonkräfte hinzu. Keiner von ihnen muss die Mandeln heute noch selbst schälen oder gar mit einem Reibstein zu einem Brei zermahlen. Das erledigen große Maschinen und Produktionsstraßen. Etwa 30 Tonnen Marzipan verlassen täglich die Manufaktur – durchweg so genanntes "Lübecker Marzipan", eine inzwischen von der EU und damit weltweit geschützte Herkunftsbezeichnung. Nur in der Hansestadt darf es hergestellt werden und nur in einer vorgeschriebenen Zusammensetzung. Die genaue Rezeptur des Niederegger Marzipans allerdings bleibt ein gut gehütetes Geheimnis.
In den Produktionshallen ist nach wie vor Handarbeit angesagt. Zum Beispiel in der so genannten Schminkabteilung, wo das ganze Jahr über Marzipanäpfel, Birnen und Bananen, Katzen, Hunde oder Elefanten in kleine bunte Kunstwerke verwandelt werden. Manuela Kässner hat einen Pinsel mit Lebensmittelfarbe in der Hand und eine besonders aufwendige Marzipantorte zur 200-Jahr-Feier vor sich:
"Das ist eine Ehre, dass malen – oder besser: Schminken zu dürfen. Mein Sohn geht noch zur Schule. Wenn er aber gefragt wird: Was ist Deine Mutter von Beruf, dann sagt er: Meine Mutter ist Kunstmalerin für Süßes. Weil er sich eben ‚Schminkerin’ nicht merken kann."
Die 40-jährige ist im Kreis ihrer Kolleginnen nicht die einzige, die stolz auf ihre Arbeit ist. Und nicht die einzige, die mit Anerkennung über das Unternehmen spricht.
"Seit 27 Jahren bin ich in der Firma. Ich habe hier meine Sicherheit. Ich arbeite hier sehr gerne. Die Kollegen sind nett. Es gefällt mir rundherum alles. Und da der Betrieb ja schon 200 Jahre existiert, kann man ja hoffen, dass man vielleicht noch länger hier ist. Ich kann hier alt werden! Ich bin 36. Und ich kann wirklich bis zum Rentenalter, wenn der Betrieb so bleibt, hier alt werden!"
Er kenne den Namen jedes Mitarbeiters, heißt es von Holger Strait, der heute die Geschäfte führt - in der siebten Generation und gemeinsam mit seiner Frau Angelika. Von Entscheidungen auf der Bettkante spricht er mit einem selbstironischen Schmunzeln. Und ist stolz darauf, dass er noch nie einen Mitarbeiter aus wirtschaftlichen Gründen vor die Tür gesetzt hat. Das Wort Familienunternehmen: für die beiden ein Stück der Philosophie bei Niederegger und damit ein wichtiger Baustein des geschäftlichen Erfolgs.
"Dieses große Wort immer: Wir sind eine Familie! Das wird heute nicht gern gehört. Aber ich glaube schon, dass es andere Empfindungen beim Mitarbeiter sind, als für einen Konzern zu arbeiten!"
"Ich glaube schon, dass inhabergeführte Unternehmen letztlich nicht getrieben sind von Quartalsberichten oder von Börsenzahlen; dass wir eine Strategie sehr kontinuierlich um- und fortsetzen können, uns sicherlich anpassen müssen, aber nicht hektisch anpassen müssen, nur weil irgendwelche Quartalsergebnisse nicht da sind."
Mehr als 300 verschiedene Artikel hat Niederegger derzeit im Sortiment. Die schlichte Marzipankartoffel und das traditionelle Marzipanbrot gehören ebenso dazu wie Pralinen und Marzipanlikör. Ein Balanceakt zwischen Tradition und Veränderung. Viele Entscheidungen, sagt Strait, trifft er aus dem Bauch heraus. Und das in einem Umfeld, das schwieriger geworden ist: Im letzten Jahr stagnierte der Umsatz in der Süßwarenbranche erstmals. Weshalb Holger Strait von sich sagt, dass er sich beklagt, dies aber auf hohem Niveau.
"Wenn ich natürlich stöhne und sage: Mensch, die Mandelpreise haben sich fast verdreifacht oder Haselnusspreise sind so extrem hoch – wenn man dann mal in die Geschichte guckt: Ur-Ur-Großvater Köpf hatte die Gründerkrise zu überleben, Urgroßvater Köpf hatte die Weltwirtschaftskrise, Großvater Strait hatte ein zerbombtes Geschäftshaus in der Breiten Straße – Ich glaube, eigentlich ist unsere Generation besser dran als die Generationen davor."
Zumal Niederegger im vergangenen Jahr den Umsatz gegen den Branchentrend um sieben Prozent steigern konnte. Umsatzzahlen im Einzelnen verrät das Unternehmen nicht. Nur soviel: Als besonders erfolgreich haben sich gerade neue Produkte erwiesen: der Marzipan-Tee zum Beispiel oder verschiedene mit Marzipan aromatisierte Kaffeesorten. Und damit der Versuch, zusätzlich zu dem Kerngeschäft mit den Klassikern auch neue, vor allem: jüngere Kunden anzusprechen. Insofern bleibt für Holger Strait und Ehefrau Angelika im Grunde nur ein Wunsch: Das eine der beiden erwachsenen Töchter die Niederegger Marzipanfabrik eines Tages weiterführt. Es wäre die achte Generation.