Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) soll heute erstmals vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur gescheiterten Pkw-Maut aussagen. Zuvor sollen die Chefs der Betreiberfirmen befragt werden, die für die Erhebung der Maut vorgesehen waren. Die Union forderte zudem kurzfristig die Anhörung eines weiteren Zeugen, des früheren Staatssekretärs im Verkehrsministerium, Schulz.
Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte im Dlf, dass auf der Aussage des Staatssekretärs "sehr viel Gewicht liegen werde". "Ein Minister, der das Parlament belügt hat natürlich ein ernsthaftes Problem, zukünftig mit Partnern in der Politik aber auch außerhalb der Politik zu agieren." Sollte Scheuer eine Lüge tatsächlich nachgewiesen werden, sei seine Glaubwürdigkeit so eingeschränkt, "dass ein Minister in dieser Situation auch nicht mehr handlungsfähig ist".
Das Interview im Wortlaut:
Münchenberg: Frau Lühmann, ein weiterer Zeuge ist jetzt geladen worden. Versucht die Union, mit Verfahrenstricks den eigenen Minister vor unliebsamen Fragen zu schützen?
Lühmann: Als wir das hörten, dass Herr Schulz geladen werden soll, waren wir etwas erstaunt. Rein sachlich ist es begründet. Wir haben drei von vier Personen, die an diesem fraglichen Gespräch dabei sind. Dann macht es oder ergibt es Sinn, die vierte Person auch noch zu laden. Dass das allerdings so kurzfristig kommt, hat uns schon sehr erstaunt, denn dass Herr Schulz dabei war, das ist seit Monaten, seit Jahren bekannt. Und damit diese Vorwürfe der Opposition nicht zum Tragen kommen, haben wir, habe ich darauf bestanden, auf zwei Dinge. Erstens: Herr Schulz wird nur zu diesem Gespräch gefragt. Und das zweite ist: Herr Scheuer wird auf alle Fälle heute noch gehört. Denn wir haben ja in der Vergangenheit mit Rücksicht auf die Zeugen so gegen Mitternacht gesagt, wenn eine Zeugenvernehmung in die Richtung geht, dann verzichten wir an dem Tag darauf. Das wird heute nicht der Fall sein. Herr Scheuer wird auf alle Fälle gehört.
"Normalerweise muss jedes Gespräch protokolliert werden"
Münchenberg: Aber die Frage ist, wie lange er wirklich auftreten kann, weil wenn sich das Ganze zeitlich verzögert, bleibt vielleicht eine relativ kurze Zeit für den Auftritt von Scheuer, der ja die zentrale Figur in diesem Desaster ist.
Lühmann: Nein. Dagegen sprechen zwei Sachen. Zum einen wird Herr Scheuer ja noch einmal gehört, im Januar, und zwar sehr umfassend. Heute geht es ja wirklich nur um diese Gespräche. Das Problematische ist, dass insgesamt acht Gespräche mit den verschiedenen Betreibern und Leuten, die sich beworben haben, nicht protokolliert wurden. Normalerweise muss jedes Gespräch protokolliert werden. Das sagt auch das Vergaberecht. Wir haben mehrere, die nicht protokolliert sind, und genau dazu, zumindest zu denen, an denen er teilgenommen hat, werden wir ihn heute befragen. Zu anderen Dingen haben wir im Januar noch die Möglichkeit.
Münchenberg: Dann lassen Sie uns mal auf die neuen Vorwürfe im Detail schauen. Da heißt es jetzt in einem Gedächtnisprotokoll, das allerdings erst nachträglich angefertigt worden ist und auch nur aus zweiter Hand stammt, Scheuer sei sehr wohl angeboten worden, die Maut-Verträge erst nach dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen. Das habe der Minister aber aus politischen Gründen abgelehnt. So war es im "Spiegel" zu lesen. Wie glaubhaft aus Ihrer Sicht ist dieser Vorwurf oder sind diese neuen Erkenntnisse?
Lühmann: Es sind ja keine neuen Erkenntnisse, sondern wir haben ja schon längere Zeit davon gehört, dass dieser Vorwurf im Raum steht. Ob dieses Protokoll nun da ist oder nicht, ist für mich relativ uninteressant. Interessant ist, was die Zeugen heute aussagen werden.
Ehem. Staatssekretär Schulz: "Auf seine Aussage wird sehr viel Gewicht gelegt werden"
Münchenberg: Die Frage ist ja auch, wie klar werden sie sich positionieren.
Lühmann: Das ist die Frage. Der eine Zeuge, den Sie schon genannt haben, Herr Kapsch, ist Österreicher. Das heißt, er ist freiwillig hier. Wir haben andere Zeugen aus Deutschland, die können wir verpflichten zu kommen. Zeugen aus dem Ausland nicht; Herr Kapsch ist freiwillig hier. Das deutet natürlich darauf hin, dass er sich sehr klar äußern wird.
Münchenberg: Nun ist es aber auch so: Warum soll der zuständige Mitarbeiter der Betreibergesellschaft, der das Protokoll ja nachträglich erst angefertigt hat, ein Interesse haben, hier die Unwahrheit zu behaupten? Es spricht doch auch viel dafür, dass dieses Gedächtnisprotokoll stimmt.
Lühmann: Insbesondere, weil diese Vorwürfe ja schon länger im Raum sind, spricht viel dafür. Es ist schon seltsam, dass man dann kurz vor so einer Vernehmung plötzlich ein Gedächtnisprotokoll macht. Das muss man deutlich sagen. Da werden wir auch heute Fragen zu stellen, was das soll. Aber die Tatsache, dass diese Vorwürfe schon länger im Raum stehen, spricht dafür, dass die Substanz haben. Nun haben wir aber auch den Zeugen Schulz, der ja nicht mehr im Verkehrsministerium ist, der quasi auch kein Interesse daran haben kann zu lügen. Das heißt, auf seine Aussage wird sehr viel Gewicht gelegt werden.
Münchenberg: Nun hat Scheuer ja im Parlament steif und fest behauptet, ein solches Angebot für eine Verschiebung sei nie Thema gewesen. Wenn er gelogen haben sollte, wenn das tatsächlich rauskommen sollte, welche Konsequenzen wären dann zu ziehen?
Lühmann: Das muss Herr Scheuer, das muss die Bundesregierung machen. Aber ich kann Ihnen sagen: Ein Minister, der das Parlament belügt, hat natürlich ein ernsthaftes Problem, ein Vertrauensproblem, zukünftig mit Partnern in der Politik, aber auch außerhalb der Politik zu agieren. Das ist aber eine Beurteilung, die die Bundesregierung treffen muss, die auch der Parteivorsitzende Markus Söder treffen muss, denn die Parteien entscheiden, welche Minister ins Amt kommen.
"Ein Minister, der das Parlament belügt, hat ein ernsthaftes Problem"
Münchenberg: Aber das wäre für die SPD trotzdem keine rote Linie? Auch die SPD könnte ja dann die Konsequenz ziehen und sagen, wenn Scheuer nicht geht, dann gehen wir aus der Koalition.
Lühmann: Das könnten wir sagen. Allerdings hat diese Koalition bis zum Wahltermin noch einige Themen, die wir bearbeiten wollen, und das wäre dann nicht mehr möglich. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ein Minister, eine Ministerin müssen selber für sich entscheiden, wie sie noch weiterarbeiten können und wie nicht. Wenn eine Lüge nachgewiesen ist, und ich sage nachgewiesen, denn Frau Lindner hat in dem Beitrag ja auch gesagt, es könnte heute passieren, dass Aussage gegen Aussage steht - die beiden Betreiber sagen, ja, das hat es gegeben, und Herr Schulz und Herr Scheuer sagen, nein, das hat es nicht gegeben -, dann haben Sie eine typische Patt-Situation, die ich als Polizistin auch vom Gericht her kenne. Aber sollte es anders kommen, sollte es wirklich nachgewiesen sein, dass er gelogen hat, dann ist die Glaubwürdigkeit dermaßen eingeschränkt, dass ein Minister in dieser Situation auch nicht mehr handlungsfähig ist, und dann sollten die Konsequenzen von der Regierung oder von ihm selber ausgehen.
Münchenberg: Aber wenn es tatsächlich so kommen sollte, dass Aussage gegen Aussage steht, dann wird die SPD nicht darauf bestehen, dass hier auch personelle Konsequenzen gezogen werden müssen?
Lühmann: Herr Münchenberg, das können wir nicht. Seriös ist, ich kann einen Fehler nachweisen, oder er ist nicht nachgewiesen. Und bei Aussage gegen Aussage ist er nicht nachgewiesen. Dann sind zwar nicht sämtliche Zweifel ausgeräumt, aber der Fehler ist auch nicht nachgewiesen. Wir müssen schon die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auch an dieses Verfahren des Untersuchungsausschusses anlegen.
"Viele Dinge im Ministerium sind nicht optimal gelaufen"
Münchenberg: Lassen Sie mich noch einen Punkt machen, Frau Lühmann. Es gab ja mehrere Treffen zwischen Scheuer und den potenziellen Mautbetreiber-Gesellschaften. Es gibt keine Vermerke dazu. Ist das nicht trotzdem sehr, sehr ungewöhnlich?
Lühmann: Ja! Das hatte ich ja in meinem Eingangs-Statement erwähnt. Es sind insgesamt acht Gespräche, da werden wir auch drüber reden müssen, die normalerweise von der Rechtslage her hätten protokolliert werden müssen. Das sagt das Vergaberecht. Natürlich werde ich fragen und andere sicher auch, warum die nicht protokolliert wurden. Bis jetzt ist die Begründung aus dem Ministerium, dass es lediglich Kennenlern-Gespräche waren, wo es nicht um Vertragsinhalte ging. Inzwischen haben wir aber schon Zeugen gehört, die etwas anderes dazu gesagt haben. Das wird heute auch ein wichtiger Teil sein.
Münchenberg: Halten Sie den Verkehrsminister eigentlich für einen guten Verkehrsminister?
Lühmann: Das müssen letztendlich andere entscheiden, die mit seinen Dingen, die er politisch auf den Weg gebracht hat, leben müssen.
Münchenberg: Aber Ihre Sicht?
Lühmann: Bei diesem Fall der Maut haben wir festgestellt, dass viele Dinge im Ministerium nicht optimal gelaufen sind.
Münchenberg: Das war jetzt sehr diplomatisch und war die Aussage der verkehrspolitischen Sprecherin der SPD, Kirsten Lühmann. Frau Lühmann, danke für das Interview.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.