Wolfsberater Peter Schütte hat sozusagen Witterung aufgenommen.
"Es gab gestern Morgen eine Sichtung eines Polizeibeamten von zwei Wölfen, und wir haben uns gerade mit dem Polizeibeamten getroffen, der hat uns die Situation nochmal geschildert. Das klingt alles sehr plausibel, dass es wirklich zwei Wölfe waren, also die Größe war entsprechend, die Farbe war entsprechend, die Bewegung war entsprechend, langbeinig, hochbeinig, das spricht alles für eine Wolfssichtung von zwei Wölfen, die, wie der Polizeibeamte sagt, hochflüchtig waren, und wir versuchen jetzt, Spuren zu finden, was im Moment ziemlich schwierig ist, weil das Gras ziemlich hoch ist. "
Über 100 Wolfsberater gibt es in Niedersachsen. Was macht so ein Ehrenamtler eigentlich?
"Praktisch haben wir drei Aufgabenfelder. Das ist einmal Öffentlichkeitsarbeit. Viele der Kollegen halten Vorträge vor Schulen, Gemeinden. Wenn Nutztierrisse oder Wildtierrisse geschehen, dann sind die Wolfsberater dafür zuständig, diese aufzunehmen, vor allem DNA-Proben versuchen zu sichern, wo man dann nachweisen kann, ob dieser Übergriff wirklich von Wölfen verursacht wurde. Und Monitoring ist das dritte Standbein, dass wir versuchen, rauszugehen, um zu gucken, finden wir Wolfshinweise, wo sitzt denn die Wolfsverbreitung überhaupt?"
Auf der Suche nach Wolfshinweisen
Mit ihm zusammen suchen heute Tim Hudd aus London und Toni Franz aus Norddeutschland nach Spuren - sogenannte Bürger-Wissenschaftler. Bürger-Wissenschaftler - nie gehört. Ist das wieder mal ganz etwas Neues?
"Das ist überhaupt nicht neu. Das ist vor allem im englischsprachigen Raum äußerst etabliert und vor allem auch wissenschaftlich anerkannt: Die Bürgerwissenschaftler, das sind also Freiwillige aus der ganzen Welt, die uns unterstützen, Wolfshinweise zu suchen. Das heißt, wir schulen die zwei Tage lang im Erkennen von Hinweisen, das könnte beispielsweise eine Spur oder eine Losung vom Wolf sein, und dann gehen die raus, in die Wälder, auf den Wegen, und versuchen, diese Hinweise zu finden."
Tim Hudd ist Banker, möchte aber gern beruflich wechseln - eventuell in den Naturschutz.
"Die Wölfe sind für mich der Hauptgrund, teilzunehmen. Ich habe in England an ein paar Projekten mit kleineren Tieren mitgearbeitet, da sind Wölfe jetzt schon ein Schritt nach vorn. Und auch die gute Erreichbarkeit war wichtig, Deutschland ist in Europa und liegt recht nah an England."
Leidenschaft für wilde Tiere
Insgesamt zwölf Menschen zwischen 20 und 50 Jahren, aus England, Australien, den USA und Deutschland haben sich in dieser Woche in der Lüneburger Heide getroffen. Sie wollen etwas über wissenschaftliche Feldforschung lernen und mithelfen, genauere Daten über die Wölfe zu sammeln.
In Niedersachsen sind die Jäger für das Monitoring der Wölfe zuständig. Entdecken sie bei ihren Pirschgängen irgendeine Spur, melden sie sie an das staatliche Wolfsbüro in Hannover. Systematisch suchen sie nicht danach. Diese Lücke wollen die Bürgerwissenschaftler zum Teil schließen.
Abi Mohandas aus Indien arbeitet üblicherweise als Investmentbankerin in London. Weshalb opfert sie ihren Urlaub für ein solches Projekt?
"Ich habe eine Leidenschaft für wilde Tiere und ich denke, dass sie Geschöpfe sind, die nicht für sich selbst sprechen können. Wir Menschen verursachen eine Menge Chaos im Ökosystem und zerstören es - das hier ist eine Gelegenheit, den Tieren wenigstens eine Stimme zu verleihen."
Michael Müller aus Stuttgart ist Controller und gönnt sich ein Sabbatjahr, um zu sich selbst zu finden. Was treibt ihn hierher?
"Die Neugier, wissenschaftlich zu arbeiten, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert. Also es hätten genauso gut Luchse sein können oder eine andere Tierart. Also mir gings in der ersten Stufe darum, mal das wissenschaftliche Arbeiten kennenzulernen."
Yvette Albright stammt aus Texas und arbeitet als Physiotherapeutin beim Militär.
"Ich hatte immer schon großes Interesse an Biologie. Hier habe ich eine Gelegenheit, etwas für den Naturschutz zu tun und zugleich ein realistisches Bild zu bekommen, wie wissenschaftliches Arbeiten funktioniert. Es ging mir nicht speziell um die Wölfe, es hätte auch jedes andere Tier sein können."
Der Wolf kehrt nach Niedersachsen zurück
Das Dreierteam im Feld hat sich mittlerweile aufgeteilt. Tim und Toni suchen die Wege im Forst von Trochel ab, Peter hat sich ein anderes Waldstück vorgenommen. Verbindung halten sie per Walkie-Talki.
Aber die Arbeit im Wald ist mühsam. Erfolg stellt sich erst spät ein - und dann ist es nur ein sehr kleiner Erfolg.
"Wir haben jetzt am Nachmittag, nach stundenlanger Suche, tatsächlich Spuren gefunden. Die sind ein bisschen klein, also normalerweise müsste der Vorderfuß mindestens 8 Zentimeter Länge haben, die erreichen diese Spuren grade. Wir vermessen die jetzt und nehmen sie nach den Monitoring-Kriterien auf. Aber: Um einen Wolf wirklich nachweisen zu können, bräuchten wir einen sogenannten geschnürten Trab, das ist die typische Gangart des Wolfes, Tritt in Tritt, wo der Hinterfuß in den Abdruck des Vorderfußes tritt - das brauchen wir für 100 Meter und das haben wir natürlich bei Weitem nicht erreicht."
Fest steht: Der Wolf kehrt nach Niedersachsen zurück. Theo Grüntjens, ebenfalls Wolfsberater in der Region, hat aktuelle Zahlen parat.
"In letzten Veröffentlichungen waren wir Anfang April bei gut 100 Wölfen, die wir unterscheiden können - hier in Niedersachsen. Ich persönlich glaube, wir sind nicht bei 100 Wölfen, sondern bei 150. Deutschlandweit werden wir jetzt sicher bei mindestens 600 Wölfen schon sein."
Dass der wilde Wolf, nachdem er 200 Jahre lang ausgerottet war, sich jetzt wieder seinen Platz erobert, gefällt nicht allen. Besonders manche Jäger tun sich schwer, weiß der pensionierte Förster Grüntjens. Nicht nur, weil der Wolf ab und zu ein Reh reisst und so zum Konkurrenten wird.
Die Natur mit dem Wolf teilen
"Ich sehe eher das Problem für die Jäger, dass das Wild sich bei der Neuankunft der Wölfe vollkommen anders verhält. Der Tagesrhythmus ändert sich, die Zeiten, die man gewohnt war, verschieben sich völlig, teilweise werden sie für lange Zeit Nachttiere, gar nicht mehr gesehen und entziehen sich damit dem Jäger, dass er überhaupt jagen kann."
Und somit steht der vor ganz neuen Herausforderungen.
"Er muss wieder lernen, die Natur besser zu lesen. Das Wild weicht dem Wolf aus und nutzt den Lebensraum, den es kennt. Es wird anstrengender, aber ich persönlich bin ja auch Jäger und Förster, ich sehe es als sehr spannend an, und ich selber schieße auch nicht weniger. Also es ist machbar, mit dem Wolf zu teilen."
Stärker unter den Raubtieren leiden oft Schäfer und Landwirte. Die Bäuerin Bettina Prelle-van-Hemer in Barbostel hat schon zweimal miterlebt, dass ein Wolf nicht nur eines ihrer Kälber anfiel.
"Das lebte erst noch, dann kam der Tierarzt, hat sich die Tiere angeguckt, und wir haben dann nur zwei Kälber gehabt, die eine ganz kleine Verletzung hatten - augenscheinlich. Und am nächsten Tag komm ich morgens auf die Wiese, da lagen dann schon zwei oder drei tot. Die sind einfach gestorben, das konnte man nicht sehen, die hatten die Verletzung unterm Fell. Die haben dann in sich reingeblutet, und das hat sich vor allen Dingen entzündet."
Der Wert der vom Wolf gerissenen Tiere wird vom Land ersetzt. Inzwischen hat die Bäuerin Hunde angeschafft und um die eine Wiese einen hohen Zaun gezogen - auch zu diesen Herdenschutzmaßnahmen gibt es einen Zuschuss von 80 Prozent.
Aber das Verfahren ist immer noch zu bürokratisch, findet Wolfsberater Theo Grüntjes.
"Es kann doch nicht sein, dass der Schäfer nachweisen muss, dass es Wolf war. Normalerweise müssten die, die in der Region für das Thema arbeiten, egal ob hauptberuflich oder ehrenamtlich, die müssten sagen können, die Wahrscheinlichkeit ist eher Wolf, und dann müsste sofort Geld fließen, ohne diese großen bürokratischen Hürden, die oft ein halbes Jahr oder ein Jahr dauern."
Wolfsspuren selten zu finden
Die drei restlichen Teams der Hobby-Wissenschaftler sind inzwischen in anderen Regionen der Heide unterwegs. So richtig aufregend ist die Arbeit nicht durchgehend, findet Nina [*] aus Frankfurt.
"Also ich habe schon gedacht, wo es hier so schön sandig ist, dass man schon mal einen Wolf sieht, also die Spur. Wir sind ja hier, um Sachen aufzunehmen, aufzuschreiben, zu fotografieren - so wandern wir praktisch nur den ganzen Tag, wenn wir nichts finden."
Abi Mohandas ist trotzdem ganz zufrieden.
"Wir finden jede Menge Spuren von Dachsen, Rehen und Hirschen. Das sagt uns, dass zur Zeit keine Wölfe in der Gegend sind. Und trotzdem ist es gut, dass wir mit dazu beizutragen, genau das herauszufinden."
Abends werden die Ergebnisse des Tages zusammengetragen und diskutiert.
Am Ende der Woche ziehen die Teilnehmer Resümee. Tim Rudd hatte schon von vornherein keine falschen Erwartungen gehegt.
"Ich wusste, dass wir wahrscheinlich keine Wölfe sehen würden. Mir reicht es, zu wissen, dass sie da draußen sind, irgendwo im Wald. Mir war auch klar, dass es eine Safari werden würde, und eine Menge Arbeit auf mich zukommt. Entscheidend aber ist, was ich hier gelernt habe - das hätte ich nirgendwo anders lernen können. Deshalb bin ich zufrieden mit der Woche."
Auch Yvette Albright ist ganz glücklich mit dem Erreichten.
"Mir hat es gefallen. Die straffe Organisation hat mich ein bisschen ans Militär erinnert. Besonders gut fand ich, wie sie uns trainiert und erklärt haben, wie man Daten sammelt und wie wichtig Genauigkeit dabei ist. Es war etwa so, wie ich es erwartet habe: Man ist viel draußen, läuft durch den Wald, und wenn man einen Fund macht, ist die Aufregung groß."
Und Abi Mohandas ist überzeugt, dass der Einsatz gute Ergebnisse gebracht hat.
"Auch wenn wir nicht viele Spuren oder Losungen gefunden haben, machte unsere Arbeit Sinn, weil wir dann für dieses Gebiet Wölfe ausschließen konnten. Und als wir einmal viele Spuren von Rehen und Dachsen entdeckt haben, wussten wir, dass keine Wölfe in der Nähe waren, weil sie sich ganz ruhig verhalten hatten. Das zu verstehen - das war toll."
Hobbywissenschaftler opfern Urlaub und Geld
Auch Wolfsberater Peter Schütte lobt seine Mitstreiter sehr.
"Das war sehr erfolgreich. Wir haben insgesamt mit den 48 Teilnehmern 1.000 Kilometer abgelaufen. Wir haben etliche Losungen gefunden, also Kothaufen von Wölfen. Die sind deswegen wichtig, weil sie, wenn sie frisch sind, Aussagen über die DNA treffen können. Das heißt, wir wissen über die Population Bescheid. Wir wissen, welche Individuen laufen da rum, gibt es da Nachwuchs, das ist ganz, ganz wichtig. Und darüber hinaus verschiedene Hinweise wie Spuren. Spuren sind ganz, ganz schwierig zu bestimmen. Aber wir haben trotzdem einige wertvolle Hinweise gefunden, was wiederum für die Wolfsberater spannend ist, denn da kann man jetzt gezielt weitergucken."
Und im nächsten Jahr sind die Hobby-Wissenschaftler wieder dabei. Sie opfern ihren Urlaub, zahlen viel Geld für Anreise und Teilnahme, stehen früh auf, trotzen Sonne und Regen und geben ihr Bestes - alles für den Wolf, und ein möglichst konfliktarmes Zusammenleben mit den Menschen.
[*] Name in Nachhinein anonymisiert