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Kommentar zu Lützerath
Belastungsprobe für die Grünen

Während die Parteispitze der Grünen den Kompromiss um Lützerath verteidigt, demonstrieren Teile der Grünen Jugend vor Ort mit. Das sei der Preis der Macht, meint Dirk Birgel - und eine aufmüpfige Partei-Jugend gehöre traditionell zum guten Ton.

Ein Kommentar von Dirk Birgel, Chefredakteur der "Dresdner Neuesten Nachrichten" |
Demonstranten halten ein Schild mit der Aufschrift "Keine Kohle für die Kohle" auf einer Demonstration am 14.01.2023 bei Lützerath hoch
Lützerath erhitzt nicht nur die Gemüter vor Ort, sondern führt auch zu Diskussionen bei den Grünen (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
In Lützerath, in der Nähe von Mönchengladbach, protestieren Klimaschützer und Aktivisten seit Wochen für den Erhalt des Dorfes. Am Mittwoch (11. Januar) hat die Polizei mit der Räumung des Ortes begonnen, der zugunsten des Braunkohleabbaus aufgegeben werden soll. Es kam zu Rangeleien und Steinwürfen. Die Polizei äußerte sich trotzdem zufrieden mit dem Einsatz. Die Räumung verlief weitgehend friedlich.

Die jungen Grünen demonstrieren mit oder sympathisieren

Lützerath erhitzt aber nicht nur die Gemüter vor Ort. Die kleine Gemeinde wird gerade auch zu einer Belastungsprobe für die Grünen, die den Klimaschutz als politisches Thema nach eigenem Verständnis ja für sich gepachtet haben. Die Jungen an der Basis der Partei demonstrieren direkt in Lützerath oder sympathisieren zumindest überwiegend mit dem Protest. Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hingegen verteidigt die Vereinbarung für den Kohleausstieg in diesem Teil des Landes und damit das Aus des Ortes Lützerath. Es sei die richtige Entscheidung, sagte Habeck. Es beende verbindlich das Abbaggern im Rheinischen Revier ab 2030.
So muss jemand reden, der politische Verantwortung trägt und weiß, dass Verträge einzuhalten sind. Dass derselbe Habeck aber zu Jahresbeginn den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu einem früheren Braunkohleausstieg in der Lausitz gedrängt hat, zeigt, dass auch er, Habeck, nicht vor einer gewissen Janusköpfigkeit gefeit ist. Vertragsbruch fordern und sich zehn Tage später auf Vertragstreue berufen – das schaffen die wenigsten ohne rot zu werden. CDU-Mann Kretschmer keilte denn auch zurück, die Bundesregierung solle preiswerte Energie beschaffen und nicht weitere Verunsicherung und Kostensteigerungen verursachen.

Habeck wird es nicht gelingen die Basis einzufangen

Aber das nur am Rande. Dass es Habeck nicht gelingen wird, die junge Basis einzufangen, ist offenkundig.  Da kann er noch so oft wie sein Parteifreund und NRW-Umweltminister Oliver Krischer auf die rechtsverbindlichen Vereinbarungen mit dem Energieriesen RWE hinweisen. Die Reaktion ließ denn auch nicht lange auf sich warten: Die Grüne Jugend verstehe sich als Teil der Klimabewegung und werde in den nächsten Wochen weiter laut auf der Straße für Lützerath einstehen und bei den Aktionen rund um das Dorf für wirksame Klimapolitik kämpfen, kündigte die Grüne Jugend NRW beispielsweise an.
Und jetzt unterstützt auch noch Klima-Ikone Greta Thunberg den Protest am Niederrhein. Die war schon im September 2021 vor Ort gewesen, um für die Einhaltung des 1,5-Grad-Klimaziels zu demonstrieren – nicht ganz zufällig einen Tag vor der Bundestagswahl.
Dieser Auftritt dürfte Habeck und Co. damals gefallen haben. Dass die Grünenspitze auch diesmal hoch erfreut über den Besuch aus Schweden ist, darf man bezweifeln. Thunbergs Auftritt ist die perfekte Solidaritätsbekundung mit den Habeck-Kritikern. Selbst die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, spricht offen von einem Konflikt mit der Parteispitze. Viele Menschen in Lützerath seien von den Grünen enttäuscht.

Preis der Macht

In der Opposition würde die Parteispitze sicher anders reden, aber der Wähler in Deutschland hat schon oft ein feines Gespür für Ironie bewiesen. Die SPD musste Hartz IV mitmachen, die CDU den Atomausstieg ertragen und die Grünen jetzt eben Lützerath abbaggern. Das ist der Preis der Macht. Und eine aufmüpfige Partei-Jugend gehört nicht nur bei den Jusos in der SPD schon traditionell zum guten Ton.
Eines freilich müssen sich alle Beteiligte klarmachen. Lützerath ist ja - wie auch der Hambacher Forst und viele andere Orte - nur ein Symbol für den Streit um die richtige Energiepolitik. Bliebe Lützerath auf der Landkarte und stünden alle Schaufelradbagger in den Tagebauen still, wäre das sicher ein kleiner Beitrag für die Rettung des Weltklimas. Aber Deutschland hätte eine wichtige Energiequelle weniger. Nur wenn es gelingt, die fossilen Energieträger dauerhaft und zuverlässig zu ersetzen, wird Lützerath der Schlusspunkt sein. Ein paar Solar- und Windparks mehr reichen dafür nicht.