Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: In Brüssel haben sich erstmals die Minister jener Staaten getroffen, die sich unter der Führung der USA zu einer Anti-IS-Koalition zusammengefunden haben. Die Sitzung findet im NATO-Hauptquartier statt, aber nur aus logistischen Gründen, wie US-Außenminister Kerry eilig versicherte, denn das Bündnis selbst ist nicht in den Kampf gegen die Steinzeit-Islamisten im Irak und in Syrien eingebunden. Die Anti-IS-Koalition existiert noch keine drei Monate, hat aber nach Kerry's Worten schon deutliche Erfolge vorzuweisen.
Bei uns am Telefon ist nun Markus Kaim, der Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Kaim.
Markus Kaim: Guten Tag, Herr Kapern.
Kapern: John Kerry, der US-Außenminister, kommt ja zu einem ziemlich günstigen Urteil über die Wirkung der Anti-IS-Koalition. Sie habe schon viel erreicht. Sehen Sie das auch so positiv?
Fehlende Ordnungsvorstellung
Kaim: Den Erfolg kann man ja seriöserweise nur messen, wenn man Kriterien angeben kann, was denn erfolgreich sein soll, und damit stoßen wir schon auf eines der Hauptprobleme dieser Anti-IS-Koalition, dass sie, sowohl was das militärische Vorgehen betrifft, aber letztlich noch viel mehr, was das politische Vorgehen betrifft, eigentlich nie eine Ordnungsvorstellung vorgelegt hat, was denn wirklich mit dem Vorgehen erreicht werden soll. Der amerikanische Präsident ist in seinen Äußerungen sehr vage geblieben. Er hat immer gesagt, IS solle degraded and destroyed, also sukzessive geschwächt und dann zerstört werden. Davon ist die Koalition noch weit entfernt. Es scheint mir durchaus eher angemessen zu sein, zu sagen, IS müsste militärisch eingehegt werden, sodass die lokalen Sicherheitskräfte dieser Bedrohung Herr werden können. Und eine politische Ordnungsvorstellung, wie man sich denn den Irak und Syrien vorstellt, sollte der IS eines Tages eingehegt worden sein, die ist ja auch noch fällig.
Kapern: Das ist ja eine sehr analytische Herangehensweise, die Sie da zeigen. Deswegen haben wir Sie auch um das Interview gebeten. Gleichwohl: Wir erhalten hier natürlich tagtäglich Meldungen darüber, wie viele Luftangriffe es auf IS-Stellungen wieder gegeben hat. Bewirken die denn gar nichts bislang?
Kaim: Ich glaube, die Berichterstattung verzerrt ein bisschen das Bild. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass seit dem 8. August, als die Militärschläge im Irak begonnen haben und zum Teil ja auf Syrien ausgeweitet worden sind, die internationale Koalition 1.000 Luftschläge geflogen hat. Das ist auf den Tag gerechnet acht Stück. Wir haben es hier also nicht mit einem massiven Militärangriff zu tun, wo die IS-Stellungen am Tag dutzendfach bombardiert werden, wie das in anderen Fällen der Fall gewesen ist, bei anderen Feldzügen der USA und ihrer Verbündeten. Das Vorgehen der USA ist trotz des gegenteiligen Eindrucks immer noch vergleichsweise zurückhaltend, immer noch vergleichsweise zögerlich, und es gibt ja auch nur eine Handvoll von Staaten, die wirklich substanzielle Beiträge leisten für diesen militärischen Teil der Koalition. Von daher bin ich sehr zurückhaltend, hier schon von einem Erfolg zu sprechen.
Kapern: Nun berichtet das Pentagon in Washington, der Iran habe in den letzten Tagen Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak geflogen. Aus Teheran hieß es zunächst, dieser Bericht sei, ich zitiere das mal, nicht genau und deshalb auch nicht korrekt. Kurz darauf kam dann noch ein deutlicheres Dementi. Wie bewerten Sie diese Informationen?
Eingreifen passt ins Bild
Kaim: Die technischen Details der jüngsten Meldungen kann ich auch nicht beurteilen. Es würde aber in ein Bild passen, was wir von der iranischen Politik in den letzten Monaten gewonnen haben, dass der Iran sich jetzt auch an Militärschlägen beteiligt. Der Iran ist einer der engsten Verbündeten der irakischen Regierung, in der Vergangenheit bereits gewesen, in den letzten Monaten immer sehr stark noch mehr geworden. Es gibt eine Drohnen-Präsenz des Iran auf irakischem Territorium, ironischerweise auf einem früheren amerikanischen Stützpunkt. Es gibt Ausbilder des Iran für die irakischen Sicherheitskräfte. Von daher bliebe es sozusagen in einer Linie, den nächsten logischen Schritt zu gehen, auch direkt gegen IS vorzugehen.
Kapern: Das iranische Einschreiten würde dadurch keine neue Qualität erreichen?
Kaim: Nein. Es bliebe in einer Linie und deckt sich ja eigentlich auch mit der Politik des Iran und spiegelbildlich zu den USA, dass sie auf der einen Seite zwar vehement bestreiten, beide Seiten, dass sie ihr Vorgehen koordinieren würden, aber gleichzeitig offensichtlich ist, dass es zu einer erheblichen Deckungsgleichheit der Politik gekommen ist und somit auch zu einer Annäherung dieser beiden Akteure.
Kapern: Aber diese Annäherung hat ja nicht so weit geführt, dass der Iran heute in Brüssel vertreten wäre bei diesem Treffen der Anti-IS-Koalition. Schränkt das den Wert des Treffens in Brüssel und den Wert dieser Koalition ein?
Kaim: Absolut. Ich finde, Sie legen da den Finger genau an der richtigen Stelle in die Wunde. Eine solche Koalition muss sich immer daran messen lassen, wer denn die gewichtigen Akteure sind, die einen Unterschied machen können im Irak und auch in Syrien, aber wir sprechen jetzt hier erst mal über den Irak, und da ist der Iran einer der zentralen Akteure und ich glaube, es ist auch in den USA hochgradig umstritten, ob es nicht eine angemessene Politik sei, den Iran zu beteiligen. Aber ich glaube, hier sind überwölbende Faktoren im Spiel, nämlich die Tatsache, dass es seit über 30 Jahren eine faktische Entfremdung zwischen iranischer und amerikanischer Politik gegeben hat, die jetzt erst im Kontext des Nuklearprogramms sukzessive auftaut, aber ganz offensichtlich sind die bilateralen Beziehungen noch nicht so weit.
Kapern: Das hat natürlich auch Gründe, unter anderem die Unterstützung des Iran für den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. Muss man angesichts dieser Tatsache nicht sagen, dass die Tatsache, dass die USA da eine scharfe Trennlinie noch immer aufrecht erhalten zum Iran, durchaus richtig und plausibel ist?
Nur punktuelle Zusammenarbeit
Kaim: In der Tat. Sie verweisen auf einen ganz wichtigen Punkt und ein Großteil der Sanktionen, die die USA gegen den Iran errichtet haben oder in Kraft gesetzt haben, haben ja auch vor allen Dingen mit der regionalen und destabilisierenden Rolle des Iran zu tun und auch mit der inneren Verfasstheit, also der Menschenrechtslage im Iran. Auf absehbare Zeit, glaube ich, wird man jetzt nicht von einer Tauwetterperiode zwischen den beiden Akteuren sprechen können. Aber es geht, glaube ich, nur um eine punktuelle Interessenkongruenz, und die ist im Irak erkennbar und in Syrien in keiner Weise, und das betrifft ja nicht nur den Iran, sondern auch andere Akteure. Russland kooperiert vergleichsweise gut und eng im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit den USA, wenn es um den Irak geht. Im Falle Syriens bleiben nach wie vor die Interessen doch sehr unterschiedlich.
Kapern: Gestern nun, Herr Kaim, haben wir Meldungen bekommen, wonach es eine Einigung zwischen der irakischen Regierung auf der einen Seite und den Kurden auf der anderen gegeben habe über die Aufteilung der Öleinnahmen, und das war ja monatelang massiv umstritten. Was bedeutet dieses Zusammengehen der kurdischen Autonomieregionen und Bagdads vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den IS?
Kaim: Das ist zumindest ein Element einer politischen Ordnungsvorstellung, was denn angestrebt werden soll. Noch ist die offizielle Politik aller westlichen Regierungen, an der territorialen Integrität des Irak festzuhalten, aber das ist in den letzten Monaten ja fraglich gewesen. Es stand ja im Raum, dass der kurdische Nordteil den Weg in die Eigenständigkeit antreten würde, und vor diesem Hintergrund ist eine Einigung über die Öleinnahmen, auch eine stärkere Beteiligung der Kurden an der neuen Regierung in Bagdad sicher, glaube ich, ein wichtiges Zeichen, dass mittlerweile eine Politik der, wenn ich das so sagen darf, Inklusion zum Leitbild der irakischen Regierung geworden ist - vielleicht noch nicht so umfangreich, wie wir uns das wünschen würden, aber zumindest gibt es doch, glaube ich, einen Vorzeichenwechsel der irakischen Politik, und das macht das Ganze natürlich für die internationale Koalition umso leichter, wenn eine politische Ordnungsvorstellung zugrunde liegt, die realistisch auch umgesetzt werden kann.
Kapern: Markus Kaim, der Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute mittag im Deutschlandfunk. Herr Kaim, danke, dass Sie Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Kaim: Danke, ebenso!
Kapern: Auf Wiederhören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.