Peter Sawicki: Die Angebote sind für Air Berlin eingegangen. Wie sieht jetzt die beste Perspektive für die Airline aus, und was bedeutet die Insolvenz für Air Berlin eigentlich über Deutschland hinaus. Das fragen wir den Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt. Er ist jetzt am Telefon. Guten Abend!
Heinrich Großbongardt: Schönen guten Abend!
Sawicki: Wenn wir die Insolvenz von Air Berlin mal in einen größeren Rahmen stellen: Ist das das Ende der billigen Flugpreise in Europa?
Großbongardt: Nein, ganz sicherlich nicht. Der Luftverkehrsmarkt in Europa ist extrem wettbewerbsintensiv, und Sie haben am unteren Ende der Preisskala Anbieter wie Ryanair oder Swissair, und Sie haben am oberen Ende die klassischen Netzwerkairlines wie Lufthansa oder Air France. Da ist jede Menge Wettbewerb, und das wird sich auf das Preisniveau europaweit sicherlich nicht auswirken.
Konkurrenzkampf zwischen Billigairlines und Netzwerkairlines
Sawicki: Aber es fällt doch auf, dass die klassischen, die typischen Billigairlines weniger geworden sind in den letzten Jahren. Germanwings ist ja auch schon vor einigen Jahren von der Lufthansa übernommen worden.
Großbongardt: Germanwings als Lufthansa-Tochter ist in die Eurowings integriert worden, aber wenn Sie sehen, dass es in Island die WOW gibt, es gibt die easyJet, es gibt die Ryanair, es gibt die Vueling als Tochtergesellschaft von British Airways und Iberia. Es gibt da eine ganze Menge Gesellschaften, die vor allem teilweise inzwischen, siehe Ryanair, größer sind als die Lufthansa sind und mehr Passagiere befördern.
Sawicki: Aber gibt es noch dieses klassische Geschäftsmodell der Billigairlines? Weil ja auch Ryanair nicht mehr nur mit den Ticketpreisen Geld verdient. Es werden ja Extragebühren für Gepäck und für andere Dienste mittlerweile erhoben.
Großbongardt: Das Ticketpaket aufzuschnüren und andere einzelnen Dienstleistungen zu verkaufen, das war von Anfang an das Konzept der Billigfluggesellschaften. Eine Ryanair hat damit Geld für Gepäck et cetera von Anfang an zusätzlich Geld verdient über den Ticketverkauf hinaus.
Modell der Billigairlines "nicht überflüssig"
Sawicki: Aber wurde vieles dann nicht von den großen Airlines teilweise kopiert?
Großbongardt: Die großen Airlines haben sich an diesem Modell orientiert, die haben das kopiert, weil sie sonst gar nicht mit dem reinen Ticketpreis hätten mithalten können, denn in dem Moment, wo ich als Passagier bei der einen Airline 39 Euro bezahle für einen Flug, und die andere sagt, sie möchte 100 Euro dafür haben, aber da sind die und die Extras drin, dann ist das etwas, was sich in einem so preissensitiven Umfeld, wie es der Luftverkehrsmarkt ist, gar nicht verargumentieren kann.
Sawicki: Macht das dann aber die Billigairlines, die jetzt noch da sind, nicht langfristig überflüssig aus Ihrer Sicht?
Großbongardt: Nein. Was wir haben werden ist eine Zweiteilung des Luftverkehrs, dass wir einmal Netzwerkairlines haben, wie Lufthansa, Air France, British Airways et cetera, die international Langstreckenflüge, Umsteigeverbindungen über große Drehkreuze anbieten werden, und wir werden auf der anderen Seite die wichtige Komponente des Punkt-zu-Punkt-Verkehrs haben, wo ich nicht umsteige, und das ist die Domäne von Billigfluggesellschaften wie Ryanair oder eben auch wie Eurowings.
Sawicki: Sie haben gesagt, es wird diese Zweiteilung geben im europäischen Flugmarkt. Das heißt, hat sich Air Berlin also falsch entschieden? Gehörte Air Berlin zu keiner dieser zwei Domänen, wenn man so will?
Großbongardt: Genau. Air Berlin wollte eigentlich irgendwie die eierlegende Wollmilchsau sein. Sie wollten Netzwerkairline sein und Low-cost, sie wollten Touristik machen und Businessfliegerei, und das hat einfach nicht funktioniert. Das war schon seit Jahren eigentlich klar, dass dies ein Geschäftsmodell ist, das in der Form keine Zukunft hat.
Sawicki: Also ist Air Berlin dann ein Sonderfall.
Großbongardt: Air Berlin ist da sicherlich ein Sonderfall. Das hat nichts mit dem Markt zu tun, sondern das hat vor allem damit zu tun, dass hier ganz fundamentale strategische Fehler gemacht worden sind.
Keine Nachteile für Fluggäste in Europa
Sawicki: Und für die Kunden, für die Fluggäste in Europa erwarten Sie also keine Nachteile in der nahen Zukunft?
Großbongardt: Für die Fluggäste in Europa sind keine Nachteile zu erwarten. Was allerdings passieren kann, das muss man klar sagen: Wir werden unter Umständen auf bestimmten innerdeutschen Strecken, die dann ein Lufthansamonopol haben werden, wie zum Beispiel Hamburg-München oder Düsseldorf-München, die bislang im Wettbewerb mit der Air Berlin geflogen worden, wir werden da wahrscheinlich höhere Preise sehen. Andererseits: Auch da steht es jedem frei einzusteigen, und es würde mich nicht wundern, wenn ein easyJet zum Beispiel sich auch auf solche Strecken setzt, wenn das Aufkommen hoch genug ist.
Sawicki: Aber ist es dann sinnvoll in dem Fall, wenn die Lufthansa das, was von Air Berlin übrig bleibt, komplett übernimmt?
Großbongardt: Nun, die Lufthansa wird das ganz sicherlich nicht komplett übernehmen. Das geht erstens aus kartellrechtlichen Gründen nicht, und ich glaube auch nicht, dass die Lufthansa das Interesse hat, alles komplett zu übernehmen, sondern die Lufthansa wird sich die Teile herauspicken, die für das Streckennetz von Eurowings am besten passen, die da am leichtesten zu integrieren sind.
Aufspaltung von Air Berlin
Sawicki: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass Air Berlin aufgespalten wird?
Großbongardt: Ich gehe davon aus, dass Air Berlin aufgespalten wird, ja. Eine Air Berlin als komplettes Unternehmen, so wie wir es haben, wird es in Zukunft nicht geben. Ich glaube auch nicht, dass zum Beispiel ein Herr Wöhrl mit seinem Angebot zum Zuge kommen wird. Dafür bietet es für die Gläubiger viel zu wenig, und man muss auch ganz klar sagen, auch die Aussichten für die Mitarbeiter in diesem Fall: äußerst, äußerst ungewiss.
Sawicki: Welche anderen Bieter sind denn aus Ihrer Sicht aussichtsreiche Kandidaten für Kaufanteile bei Air Berlin?
Großbongardt: Aussichtsreiche Kandidaten sind sicherlich die easyJet, und ein aussichtsreicher Kandidat, kann ich mir vorstellen, ist auch Niki Lauda im Zusammenspiel mit der Condor und dem Reisekonzern Thomas Cook. Das Angebot der Berliner Spedition Zeitfracht ist insofern auch chancenreich, als es ja da zum Beispiel auf den Frachtbereich zielt. Das ist eine Geschichte, an der die Lufthansa und auch eine easyJet gar nicht interessiert sind.
Sawicki: Das heißt, wenn wir das kurz zusammenfassen: Sie haben jetzt drei, vier Kandidaten genannt, die infrage kommen aus Ihrer Sicht. Wer könnte dann also was übernehmen, was könnte das Modell sein am Ende?
Großbongardt: Das ist ganz schwer zu sagen zum jetzigen Zeitpunkt, wer wie viel bekommt. Also ich kann mir vorstellen, dass eine Lufthansa für die Eurowings an vielleicht irgendwo zwischen 50 und 70 Flugzeugen interessiert ist. Es könnte durchaus sein, dass Niki Lauda zum Zuge kommt und die von ihm gegründete und dann an die Air Berlin verkaufte Niki zurückkaufen kann und dass easyJet tatsächlich diese Tochtergesellschaft LGW, an der sie offenbar interessiert ist, dann zugeschlagen bekommt.
Sawicki: Und was heißt das für die Arbeitnehmer, für die mehr als 8.000 Arbeitsplätze? Könnten alle von denen gesichert werden in irgendeinem Fall?
Großbongardt: Nein, alle Arbeitsplätze können ganz sicherlich nicht gesichert werden. Komplett erhalten werden könnten sicherlich die Niki und die Tochter LGW, die Turboprop-Flugzeuge, die Air Berlin betreibt. Beide Unternehmen sind nicht insolvent. Anders sieht es aus bei dem restlichen Flugbetrieb, der in der Air Berlin ist, der in dem insolventen Unternehmen ist. Da würde beispielsweise eine Lufthansa/eine Eurowings … die sind am fliegenden Personal interessiert. Aber für die Mitarbeiter, die in der Verwaltung tätig sind, da wird es wahrscheinlich düster aussehen.
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