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Luftqualität in deutschen Innenstädten
"Dazu braucht man wirklich keine blaue Plakette"

Die Einführung von blauen Plaketten zur Verbesserung der Luftqualität in den Innenstädten wäre "ein Schnellschuss", sagte der CDU-Politiker Oliver Wittke im Dlf. Er verstehe die Hektik nicht, in die man jetzt verfalle, sagte der Ex-Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen im Dlf. Eine Umrüstung von Bussen sei kurzfristig machbar.

Oliver Wittke im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der CDU-Politiker Oliver Wittke im April 2017 beim Landesparteitag in Münster.
    Die finanziellen Mittel seien da, um Busflotten kurzfristig umzurüsten, daher brauche es keine blauen Plaketten oder Fahrverbote, meint der CDU-Verkehrsexperte Oliver Wittke (imago / Rüdiger Wölk)
    Jasper Barenberg: Fahrverbote für schmutzige Dieselautos, sie werden kommen. Hamburg zum Beispiel wird schon bald den Anfang machen, wenn auch in erst einmal geringem Umfang. Im nächsten Jahr aber dürften dann weitere Städte folgen, in denen die Grenzwerte zum Beispiel für Stickoxide seit Jahren massiv überschritten werden. Um das kontrollieren zu können, fordern vor allem Kommunalpolitiker wie Umweltschützer schon lange die Einführung von sogenannten blauen Plaketten, mit denen man schmutzige von relativ sauberen Autos unterscheiden kann.
    Mitgehört hat der CDU-Politiker Oliver Wittke, von 2005 bis 2009 Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. Jetzt sitzt er im Bundestag und ist dort Mitglied im Verkehrsausschuss. Schönen guten Tag, Herr Wittke.
    Oliver Wittke: Schönen guten Tag!
    Barenberg: Was halten Sie von diesem Vorschlag aus dem Bundesumweltamt, nicht nur eine blaue Plakette einzuführen, sondern gleich zwei?
    Wittke: Ich glaube nicht, dass wir eine blaue Plakette benötigen, denn wir haben uns im Koalitionsvertrag ganz eindeutig dafür ausgesprochen, Fahrverbote wo immer es geht zu verhindern. Und das hat ja auch das Bundesverwaltungsgericht in der vergangenen Woche gesagt. Das Bundesverwaltungsgericht, die Richter in Leipzig haben ganz klar ausgeführt, dass nur als Ultima Ratio Fahrverbote greifen sollen, und deshalb brauchen wir keine blaue Plakette.
    Barenberg: Jetzt hat ja die Chefin des Umweltbundesamtes auch gesagt, nach dem Urteil steht endgültig fest, wir kommen an Fahrverboten nicht vorbei. Wie kommen Sie zu einer so anderen Einschätzung?
    Wittke: Zuerst einmal hat das Bundesverwaltungsgericht nur zwei Fälle beschieden, nämlich die in Düsseldorf und in Stuttgart. In Düsseldorf muss jetzt noch einmal die Kommune, die Stadt Düsseldorf schauen, ob sie mit anderen Maßnahmen weiterkommt. Das hat das Gericht ausdrücklich festgestellt und hat gesagt, da werden Fahrverbote vielleicht gar nicht mal notwendig sein, wenn man mit anderen Maßnahmen die Grenzwerte einhält.
    In Stuttgart ist die Situation etwas anders. Da, hat das Gericht ausdrücklich gesagt, müssen Fahrverbote in Betracht gezogen werden. Das Gericht hat sie aber nicht angeordnet. Und wenn ich mir anschaue, wie die Entwicklung in den letzten Jahren war, ist festzustellen, dass wir die Stickoxid-Belastung deutlich reduziert bekommen haben, seit Beginn der 90er-Jahre um fast 80 Prozent. Das ist ein immenser Rückgang. Und allein von 2016 zu 2017 hat die Anzahl der Städte, in denen der ambitionierte EU-Grenzwert nicht eingehalten wird, um über 20 abgenommen in Deutschland. Das ist ein guter Trend, den müssen wir mit weiteren Maßnahmen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, weiter vollziehen.
    "Wir müssen die Grenzwerte einhalten und wir müssen sie schnell einhalten"
    Barenberg: Das heißt, die Menschen in den stark betroffenen Städten, von denen es ja eine ganze Reihe gibt, die dürfen weiter mit der Luftverschmutzung klarkommen?
    Wittke: Nein, natürlich nicht. Wir müssen die Grenzwerte einhalten und wir müssen sie schnell einhalten. Das kann jetzt nicht Jahre dauern, bis dort die Grenzwerte eingehalten werden, aber wenn wir die großen Flotten beispielsweise jetzt nachgerüstet bekommen, beispielsweise die Dieselbusse, die unterwegs sind, beispielsweise die Kommunalfahrzeuge, die viele Kilometer in den Innenstädten fahren, anders als Pendler, die morgens rein und abends rausfahren, dann werden wir zu einer weiteren Reduzierung der Belastung kommen. Das ist unser Ziel. Wir wollen am Ende Fahrverbote überflüssig machen.
    "Wir wollen den effektivsten Weg gehen"
    Barenberg: Das eine schließt das andere ja nicht aus, Herr Wittke, denn man kann ja an einem Ziel festhalten, Fahrverbote nach aller Möglichkeit auszuschließen, zu vermeiden, und trotzdem dafür sorgen, dass es bundesweit einheitliche Regeln gibt für den Fall, dass man doch Fahrverbote als Ultima Ratio, wie Sie gesagt haben, nutzen muss.
    Warum stimmen Sie da nicht zu, denn das wäre ja die Grundlage für eine blaue Plakette, damit man zumindest weiß, welches Fahrzeug wie schmutzig ist?
    Wittke: Das Problem bei der blauen Plakette ist, dass es am Ende flächendeckende Fahrverbote nach sich ziehen würde, weil es natürlich der einfachste Weg ist. Wir wollen aber nicht den einfachsten Weg gehen, sondern wir wollen den effektivsten Weg gehen. Wir wollen die Grenzwerte einhalten ohne Fahrverbote, und da, wo sie dann überhaupt nicht vermeidbar sind, was ich gar nicht ausschließe, dass das im Übrigen dann nicht bei 10 oder 20 Städten, sondern bei deutlich weniger Städten der Fall sein wird, da kann man auch über andere Maßnahmen der Kontrolle nachdenken. In den Niederlanden werden beispielsweise Kennzeichen gescannt und anhand der Kennzeichen wird festgestellt, ob Fahrverbote eingehalten worden sind oder nicht. Dazu braucht man wirklich keine blaue Plakette, weder eine hellblaue, noch eine dunkelblaue.
    Barenberg: Da widersprechen Sie zum Beispiel Ihrem Bundesparteivize Thomas Strobl, der für Baden-Württemberg jedenfalls sagt, blaue Plaketten, diese Kennzeichnung ist unumgänglich, anders könnte man solche möglichen Fahrverbote gar nicht kontrollieren. Das sehen Sie ganz anders?
    Wittke: Wenn Herr Strobl das so sieht, ist ihm freigestellt, für Baden-Württemberg, für Stuttgart oder für wen auch immer eine solche blaue Plakette einzuführen. Ich glaube nicht, dass wir flächendeckend im Bundesgebiet eine blaue Plakette brauchen, um die Grenzwerte der Europäischen Union einzuhalten.
    Barenberg: Wie viel Zeit wird denn vergehen – Sie haben ja von den Maßnahmen gesprochen, die Sie vorschlagen, Busse umzurüsten, kommunale Fahrzeuge und Ähnliches mehr -, wie viel Zeit wird noch ins Land vergehen?
    Ich erinnere nur mal daran: Seit 2010, glaube ich, gelten die europäischen Grenzwerte, und jetzt haben wir 2018 und sie sind immer noch massiv überschritten.
    Wittke: Das mit dem "massiv" möchte ich bezweifeln.
    Barenberg: … in einigen Städten. In München, in Köln, in Stuttgart.
    Wittke: In einigen wenigen Städten – da sprechen wir über eine Handvoll Städte. Wir haben insgesamt knapp 70 Städte, in denen die Grenzwerte überschritten werden. Der Grenzwert liegt bei 40 Milligramm (Anmerkung der Redaktion: Herr Wittke meint 40 Mikrogramm) pro Kubikmeter Luft. Bei mir in Gelsenkirchen, in meinem Wahlkreis habe ich eine Überschreitung um gerade mal acht Milligramm (Anmerkung der Redaktion: Herr Wittke meint Mikrogramm). Das werden wir durch andere Maßnahmen hinbekommen. Da haben wir beispielsweise jetzt den Straßenbahntakt deutlich intensiviert. Da fährt die Straßenbahn jetzt alle fünf Minuten durch den belasteten Bereich. Das hat dazu geführt, dass eine Reihe von Pendlern umgestiegen sind.
    Wir haben Umleitungsmaßnahmen eingeführt. Wir haben vor, die Busse umzurüsten. Die kommunalen Verkehrsbetriebe schaffen gerade Elektrobusse an. Das wird greifen und da wird man durch solche Maßnahmen und ohne Fahrverbote die Grenzwerte, die ja nun wirklich ambitioniert sind auf europäischer Ebene, einhalten können.
    Am Ende bin ich ganz, ganz sicher: In Städten wie Gelsenkirchen und vielen anderen Städten werden wir damit an Fahrverboten vorbeikommen. Das ist am Ende unser Ziel, weil wir die Autofahrerinnen und Autofahrer nicht kalt enteignen wollen.
    "Die Kanzlerin hat natürlich recht"
    Barenberg: Nun hat ja die derzeitige und dann auch künftige Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt und schon angekündigt nach dem Urteil, die neue Bundesregierung wird sich dann "alsbald auch mit diesem Thema der Kennzeichnung befassen müssen, wie überhaupt mit dem ganzen Maßnahmenpaket." Das haben wir alle so verstanden, als würde sie ein bisschen aufs Tempo drücken und sagen, da muss jetzt aber sehr schnell etwas passieren. Sie können sie jetzt beruhigen oder den neuen Verkehrsminister, wenn er zum ersten Mal bei Ihnen im Ausschuss ist, und sagen, wir haben alles gut auf den Weg gebracht, die Zeit wird das alles schon von alleine regeln?
    Wittke: Die Kanzlerin hat natürlich recht, denn auch das Verwaltungsgericht in Leipzig hat gesagt, es ist unverzüglich und es ist schnell der Grenzwert einzuhalten. Das heißt, wir haben jetzt nicht noch zwei oder drei oder vier Jahre Zeit, sondern das muss schnell greifen. Darum sind ja auch schon im letzten Jahr Maßnahmen ergriffen worden, die jetzt umgesetzt werden. Wir kommen jetzt zur Busnachrüstung. Wir kommen zur Nachrüstung von Kommunalfahrzeugen.
    "Wir kriegen kurzfristig eine Abrüstung hin"
    Barenberg: Aber, Herr Wittke, ich höre immer nur, dass es gar keine Busse auf dem Markt gibt, wenn ich Sie unterbreche - entschuldigen Sie -, dass es lange dauert, diese Maßnahmen umzusetzen. Wie viele Jahre kalkulieren Sie denn da nun?
    Wittke: Wir bekommen einen Dieselbus der Euro-fünf-Norm mit einem Aufwand von 15.000 Euro umgerüstet und durch diese Umrüstung wird er 80 Prozent weniger NOX ausstoßen. Wenn wir die 15.000 Busse, die zurzeit in Deutschland unterwegs sind, mit einem überschaubaren Aufwand umrüsten, werden wir einen riesen Beitrag zur NOX-Reduzierung in unseren Innenstädten beitragen. Das ist kurzfristig machbar. Die Technologie ist verfügbar. Die finanziellen Mittel stehen bereit, um das zu fördern. Das heißt, wir kriegen kurzfristig eine Absenkung hin. Darum verstehe ich nicht die Hektik, in die man jetzt verfällt, und darum, glaube ich, ist auch dieser neuerliche Vorstoß des Umweltbundesamtes ein Schnellschuss.
    Barenberg: … sagt Oliver Wittke, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages. Herr Wittke, danke für das Gespräch heute Mittag hier im Deutschlandfunk.
    Wittke: Ich danke Ihnen! Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.