Archiv


Luftschloss im All

Anfang Juli startet der deutsche Astronaut Thomas Reiter an Bord der US-Raumfähre Discovery zur Internationalen Raumstation. Ein halbes Jahr lang soll er auf der Raumstation bleiben, als erster Deutscher. Doch ein Grund zum Jubeln ist das nicht. So ruhig die Station durch den Weltraum zieht - im politischen Kosmos torkelt sie ziellos umher.

Von Dirk Lorenzen | 25.06.2006
    Ernst Messerschmid:
    "Wir haben bisher in Deutschland in den letzten Jahren 200 Millionen Euro bezahlt und vielleicht ein oder zwei Experimente durchführen können."

    Günther Brandt:
    "Wir bauen ein Universallaboratorium, das halt im Weltraum benutzt werden kann."

    Ernst Messerschmid:
    "Ist das nicht etwas zu viel Geld für die Experimente? Die Antwort ist: Natürlich ist es etwas viel Geld, wenn es das einzige Ziel gewesen wäre."

    Klaus Heiss:
    "Eine Weltraumstation ist nicht Selbstzweck. Das ist die große Tragödie."

    Wie ein außerirdisches, gigantisches Insekt schwirrt sie um die Erde. Vier aneinander gekoppelte Module - quer dazu eine lange Gitterstruktur, weit ausladende Sonnensegel. Scheinbar sinnlos ragen Gitterstreben wie Arme in den schwarzen Weltraum.

    Die Internationale Raumstation: In 90 Minuten gleiten alle Kontinente und Ozeane unter ihr vorbei. 16 mal am Tag geht auf der Raumstation die Sonne auf und unter.

    Zwei Menschen halten derzeit auf dem fußballfeldgroßen Koloss die Stellung. Der Russe Pavel Winogradow und der Amerikaner Jeffrey Williams. Ihr Auftrag: Täglich die Systeme prüfen, Rauchmelder testen, Trockennahrung zubereiten. Dazu einige Stunden sportliche Aktivitäten. Das Ganze beim lauten Dröhnen der Belüftungsanlage - und bei üblem Gestank. Körperpflege ist im All sehr schwierig... Ab und an gibt es einen gefährlichen Außenbordeinsatz. Ansonsten warten Winogradow und Williams: auf die Lieferung der nächsten Teile - und auf Besuch von unten.

    In der Tat: Das kosmische Duo bekommt bald Verstärkung. Wenn in den nächsten Tagen (2. Version: in wenigen Wochen) der Space Shuttle Discovery startet, dann reist auch Thomas Reiter mit: Er wird der erste Deutsche auf der Raumstation sein - und der erste Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, der ein halbes Jahr dort oben bleiben soll. Mit Thomas Reiter erreicht die Dauer-Besatzung die Stärke von drei Personen. Doch Anlass zum Jubeln ist das nicht. So ruhig die Station durch den Weltraum zieht - im politischen Kosmos torkelt sie ziellos umher. Weil die amerikanischen Raumfähren in einigen Jahren ihren Dienst einstellen, wird die Station über den Rohbau nicht hinauskommen. Das steht heute schon fest. Das Experimentieren in der Schwerelosigkeit wird nur eine geringe Rolle spielen und Europa muss sogar bangen, ob sein Raumlabor Columbus überhaupt noch nach oben kommt. War der Traum von der Forschung im All eine Mogelpackung? Lohnt der Aufwand in der Umlaufbahn überhaupt noch? Oder ist die Raumstation gescheitert, ein Zig-Milliarden-Grab im All?

    "twenty-five... system activated... fifteen... t minus ten, nine, eight, seven, six, five, four,
    Jetzt, man sieht schon, wie was hoch kommt. Man sieht den Dampf hochkommen - auf der rechten Seite geht der Dampf hoch.
    three, two...
    Jetzt geht es auf der zweiten Seite hoch -
    one and lift-off...
    jetzt sieht man das Ganze hochkommen.
    Wahnsinn. Zack - da geht er hoch.
    Aber man hört noch nichts. Man sieht es nur groß aufsteigen
    [Rauschen und Knattern fängt an]
    - jetzt kommt der Schall an. - Da geht es hoch - es dreht sich leicht zur Seite weg. Es geht nach hinten weg - jetzt in der Rücklage.
    Man kann kaum in den Feuerstrahl gucken - so hell ist das Ganze."

    Selbst sechs Kilometer von der Startrampe am Kennedy Space Center entfernt bebt der Boden - die Druckwellen sind buchstäblich mit dem Bauch zu spüren: So klingt es, wenn sich ein Space Shuttle von Florida aus durch die Atmosphäre ins All stemmt.

    Es dauert nicht einmal zehn Minuten, um von der Erdoberfläche in eine Umlaufbahn zu kommen. Und doch hat es diese Strecke in sich. 1986 explodierte kurz nach dem Start der Shuttle Challenger. Vor drei Jahren wurde die Schwesterfähre Columbia beim Start so stark beschädigt, dass sie zwei Wochen später beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verglühte. Danach blieben die Raumfähren erst einmal am Boden. Der Ausbau der Internationalen Raumstation kam zum Erliegen. Nun stauen sich die fertigen Komponenten in den NASA-Hallen und warten auf die nächsten Shuttle-Flüge.

    Die Raumstation stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Anfang der 80er Jahre von US-Präsident Ronald Reagan als "Freedom" halbherzig auf den Weg gebracht, sollte sie zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas am Himmel strahlen - der war 1992... Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die Amerikaner aus finanziellen Gründen das Projekt auf die internationale Ebene gehoben. 1998 startete endlich das erste Modul, seit dem Jahr 2000 ist die Station dauerhaft bewohnt. Doch schon jetzt ist klar, dass die Raumstation unvollendet bleiben wird... - auf Geheiß von ganz oben...

    Mittwoch, 14. Januar 2004, kurz nach drei Uhr am Nachmittag - nicht in der Umlaufbahn, sondern in der NASA-Zentrale in Washington, DC. Ein paar Blocks südlich vom Capitol ist fast die gesamte Führungsebene der NASA versammelt, dazu viele Astronauten - banges Erwarten füllt den Raum. Hoher Besuch steht an: Präsident George Bush persönlich hat sich angesagt, um der NASA die Marschrichtung vorzugeben. Bush schüttelt kamerawirksam einigen Astronauten die Hand, hört die Grußbotschaft von der Raumstation und kommt schnell zur Sache:

    " "Heute verkünde ich einen neuen Plan, um den Weltraum zu erkunden und die Präsenz des Menschen quer durch das Sonnensystem zu erweitern. Wir wollen zunächst die Internationale Raumstation bis 2010 fertig ausbauen. Wir werden zu Ende bringen, was wir begonnen haben. Wir halten uns an die Vereinbarungen mit unseren 15 internationalen Projektpartnern."

    Der Präsident verlangte von der NASA Unmögliches. Zum Zeitpunkt von Bushs Rede hatten die Raumfähren nach dem Columbia-Unglück noch Startverbot. Laut Plan sollte das restliche Material - immerhin noch etwa 200 Tonnen - in knapp 30 Shuttle-Flügen nach oben gebracht werden, um die Station wirklich fertig auszubauen. Doch das scheint den Präsidenten an diesem Januartag nicht weiter zu kümmern. In derselben Rede sagt er:

    "In 2010, the Space Shuttle -- after nearly 30 years of duty -- will be retired from service."

    Nach fast 30 Dienstjahren will Bush den Shuttle im Jahr 2010 in den Ruhestand schicken. Doch bis 2010 können die drei verbliebenen Raumfähren das gar nicht mehr leisten. Höchstens noch 17 mal werden sie starten - und damit ist ein vollständiger Ausbau der Raumstation definitiv nicht mehr möglich. Auch Europas Raumlabor Columbus würde ohne Shuttle-Flug zum irdischen Museumsstück.

    Kennedy Space Center in Florida, Amerikas Weltraumbahnhof: In einer langen Halle wartet das, was erst noch zur Internationalen Raumstation werden soll. Verbindungsteile aus Metall, ausladende Sonnensegel, ein Wohnmodul - und Columbus, das Kernstück für die Forschung. Für irdische Verhältnisse wäre die Architektur des Raumlabors beachtlich. Eine silberne Dose, sieben Meter lang, knapp fünf Meter im Durchmesser, die weder oben noch unten kennt. An allen Wänden, oben wie unten, links wie rechts, sind Experimentierschränke festgeschraubt, Klapptische, Klettbänder zum Anheften von Stiften, Werkzeug, Computer. Nur an einem Ende öffnet sich eine Luke nach draußen: Hier könnte Columbus an die Raumstation andocken - wenn man es denn lässt.

    "Wir bauen ja ein Universallaboratorium, das halt im Weltraum benutzt werden kann. Wir stellen eine Infrastruktur zur Verfügung, um eben Experimente durchzuführen."

    Günther Brandt ist Projektleiter für Columbus bei EADS Space Transportation in Bremen.

    "Für biologische Experimente gibt es Inkubatoren, Temperaturkammern, in denen diese Experimente durchgeführt werden können. Es gibt eine so genannte Glove Box, einen Handschuhkasten, der ein abgeschlossenes Volumen hat, in dem mit gefährlicheren Stoffen experimentiert werden kann. Wir haben eine Anlage, mit der Flüssigkeiten untersucht werden können. Es gibt einen Schrank, der voll ist mit medizinischen Geräten. Also gerade die Kosmonauten und Astronauten sind ja auch Versuchsobjekte: Dazu gibt es viele klinische Geräte an Bord, mit denen diese Experimente durchgeführt werden können."

    Im All gelten dieselben physikalischen Gesetze wie auf der Erde - nur die am Boden alles dominierende Schwerkraft ist nicht spürbar. So steigt im All heiße Luft nicht mehr auf, unterschiedlich schwere Stoffe lassen sich perfekt durchmischen, ausgekippte Flüssigkeiten schweben als Kugel durch den Raum. Viele Universitätsinstitute haben Experimentierzeit beantragt, um in der schwerelosen Umgebung zu forschen oder neuartige Legierungen zu entwickeln. Dagegen lässt die kommerzielle Forschung, mit der früher immer geworben wurde, noch auf sich warten. Bisher begeistern sich für Columbus nur die Firmen, die es bauen - wirklich nutzen will es kaum ein Unternehmen.

    "Ich bin sicher, dass Unternehmer die Raumstation kommerziell nutzen werden. Die Kommerzialisierung kommt, aber jetzt noch nicht."

    Jean-Jacques Dordain, Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, mahnt zur Geduld. Ihn überrascht die bisherige Zurückhaltung der Firmen nicht.

    "Unternehmer wollen schnelle Erträge sehen. Ich habe noch keinen getroffen, der heute einen Euro investieren würde und dann sagt, er könne zehn bis 20 Jahre warten, bis er dafür etwas zurückbekomme. Wir als ESA müssen erst einmal Columbus starten und für alle Wissenschaftler auf der Erde zugänglich machen. Sobald wir dort oben wissenschaftlich erfolgreich arbeiten und innovative Anwendungen entwickeln, werden die Unternehmer kommen und Geld investieren."

    Noch bis vor wenigen Jahren galt die Forschung im All immer als Hauptantrieb für die Internationale Raumstation. Insbesondere in Europa war politisch gewünscht, die Forschung in der Schwerelosigkeit zu betonen - und natürlich die bevorstehende Kommerzialisierung. Weltraumfahrt sollte sich sozusagen in der Umlaufbahn rechnen. Die Prognosen waren fantastisch: So wähnte sich die NASA Anfang der 80er Jahre bereits am Beginn der dritten industriellen Revolution, weil nun die Zeit der Fabriken im Weltraum angebrochen sei. Astronauten würden Medikamente gegen tödliche Krankheiten und superschnelle Computerchips entwickeln und im großen Maßstab herstellen. Ein Hirngespinst.

    Nein, betont heute auch Jean-Jacques Dordain, die bemannte Raumfahrt werde nicht nur für Experimente in der Schwerelosigkeit betrieben. Diese Forschung könne man auch ohne Menschen im All durchführen. Der ESA-Generaldirektor gehörte zu den ersten fünf Astronauten-Kandidaten in Frankreich - doch ein eigener Raumflug war ihm nicht vergönnt.

    "Bemannte Raumfahrt geht viel weiter - ich würde sogar sagen, da gibt es viele Aspekte jenseits des Weltraums. Für mich gehört bemannte Raumfahrt viel mehr zur Geschichte der Menschheit als zur Geschichte des Weltraums. Die Menschheit hat schon immer versucht, dorthin zu gelangen, wohin sie mit ihrer Technologie gehen konnte. Als man reiten konnte, hat man Kontinente durchquert. Als man Schiffe bauen konnte, hat man Ozeane überquert. Als man fliegen konnte, ist man geflogen. Jetzt dringen wir eben in den Weltraum vor. Bemannte Raumfahrt hat mit viel mehr zu tun als nur mit dem Weltraum."

    Ein Labor wie Columbus würde man heute vermutlich nicht noch einmal bauen, räumen viele Experten hinter vorgehaltener Hand ein. Zwar werden im Raumlabor durchaus wissenschaftlich interessante Experimente laufen - aber wirklich bedeutend kann die Forschung vorerst gar nicht werden, denn dem Labor fehlt es an Laboranten. Die dreiköpfige Besatzung, die ab jetzt Dienst tun wird, ist allein mit den "Hausmeistertätigkeiten" ausgelastet. Für intensive Forschung wäre mindestens eine sechsköpfige Besatzung nötig. Das hatten NASA und ESA bis vor einigen Jahren stets verkündet. Jetzt bleibt es auf absehbare Zeit bei drei Astronauten. So ist die angebliche Forschungsstation ein überdimensioniertes Raumschiff mit gelegentlichen Experimentierstunden.

    Ohnehin hat George Bush bei der Verkündung seiner "Vision zur Weltraumerkundung" klar gemacht, dass der größte Partner der Internationalen Raumstation jetzt ganz andere Ziele im All verfolgt:

    "Unser Ziel ist, bis zum Jahr 2020 zum Mond zurückkehren - als Startpunkt für noch weiter entfernte Ziele. Wir wollen auf dem Mond für immer längere Perioden leben und arbeiten."

    Der Internationalen Raumstation bleibt bei den Plänen für Mond- und Marsflüge nur noch die Rolle als Sprungbrett - und so lässt der Präsident keine Zweifel, was er künftig von der Raumstation erwartet.

    "Wir werden unsere künftige Forschung auf der Raumstation auf die langfristigen Effekte eines Weltraumaufenthalts auf den menschlichen Körper konzentrieren. Kosmische Strahlung und Schwerelosigkeit sind Gefahren für die menschliche Gesundheit. Wir müssen über diese Effekte viel mehr lernen, bevor wir zu monatelangen Reisen durch die leeren Weiten des Weltraums aufbrechen."

    Die NASA hat sich de facto von der allgemeinen Forschung in der Schwerelosigkeit verabschiedet - und damit das früher stets als so gewichtig geltende Argument von der fliegenden Forschungsplattform als irrelevant fallen lassen. Die Europäer tun sich da schwerer - schließlich müssen sie rechtfertigen, warum ihr Raumlabor Columbus überhaupt noch ins All soll.

    Ein zweistöckiges Backsteinhaus im viktorianischen Stil. Hier, an einer Straßenecke mitten in einer Wohngegend in der Umgebung von Washington, residiert "High Frontier". Die "hohe Grenze" ist die Ideenschmiede der US-Raumfahrt. Von hier kamen die maßgeblichen Impulse zur Neuausrichtung der amerikanischen Weltraumpolitik. Der Chef spricht Deutsch.

    "Dr. Klaus Heiss, Südtiroler, seit über 40 Jahren in USA."

    Klaus Heiss war nach seinem Studium binnen weniger Jahre zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten im Raumfahrtbereich aufgestiegen. Er war noch keine 30, als ihm die NASA den Auftrag seines Lebens gab: Auf genau fünf Seiten sollte er das geplante Shuttle-Konzept kritisch bewerten. Bei den parlamentarischen Anhörungen zum Space Shuttle sagte er im US-Senat neben Wernher von Braun aus. Diese Raumstation hat Klaus Heiss von Anfang an für einen Fehler gehalten.

    "Entweder brauche ich eine Weltraumstation, um zum Mond zu kommen oder um diese großen Satelliten zusammenzustellen. Eine Weltraumstation ist nicht Selbstzweck. Das ist die große Tragödie."

    Kein überzeugendes Ziel, ein unrealistischer Zeitplan, unklare Verantwortlichkeiten - dieses Projekt konnte nicht gut gehen... Dennoch sieht Klaus Heiss die Raumstation nicht nur als gescheitert an:

    "Das Positive an der Weltraumstation ist, dass es ein Managementteam heute gibt, das es erlaubt, dass die USA und Europa und Russland und Japan zusammenarbeiten. Sie glauben, das ist einfach - aber das ist nicht einfach. Das sind verschiedene Sprachen, verschiedene Kulturen. Das Ganze zusammenzubringen, das ist ein unheimlich großer Wert. Das ist auf technischem Gebiet, im Managementgebiet, auch im politischen Gebiet. Das darf nicht verloren gehen. Ich sage: Bitte gemeinsam jetzt eine Mondstation machen. In einem Condominium: Ich mache in meinem Apartment, was ich will - der andere in seinem Apartment, was die anderen wollen. Aber bitte die gemeinsamen Kosten gemeinsam abtragen. Und ich glaube das wäre das Beste, was aus der Weltraumstation gemacht werden kann: nämlich die Weltraumstation am Mond machen - je schneller, desto besser."


    "It's one small step for man -- a giant leap for mankind."

    Neil Armstrongs Worte sind Legende. Als er als erster Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte, war das ein kleiner Schritt für ihn, aber ein Riesensprung für die Menschheit. Doch nach dem überaus erfolgreichen Apollo-Projekt war der Mond fast in Vergessenheit geraten. Die USA hatten das Apollo-Programm 1972 vorzeitig abgebrochen. Das politische Ziel im Kalten Krieg war erreicht - man war als erstes auf dem Mond.

    Jetzt, 35 Jahre später, taucht mit China ein neuer Konkurrent im All auf - die Chinesen haben bereits zweimal Menschen ins All gestartet. Wird der "zweite erste Mensch" auf dem Mond Chinesisch sprechen? Oder doch wieder Englisch? Die "Attacke" der Chinesen erfolgte, als die USA nach der Columbia-Katastrophe flügellahm am Boden lagen - ein Schock für die nach ihrem Selbstverständnis führende Weltraumnation. Sogar der Untersuchungsausschuss zum Columbia-Unglück hat Ende 2003 vernichtend festgestellt, im US-Weltraumprogramm sei während der drei Jahrzehnte nach Apollo eine klare Leitidee nicht erkennbar.

    Das war der Moment für High Frontier. Das kleine Team um Klaus Heiss entwickelte für das Weiße Haus das Strategiepapier, in dem es die Neuausrichtung der Weltraumpolitik empfahl.

    "Unser Bericht hat schwer eingeschlagen und führte zur Entscheidung von Präsident Bush, wieder zurückzukehren zum Mond und zwar um dort permanent zu bleiben. Es gibt budgetäre Schwierigkeiten, die allerdings bei weitem überschätzt werden. Es handelt sich hier nicht um Hunderte von Milliarden von Dollar, sondern um einige Milliarden Dollar, 10 bis 20 Milliarden. Aber es gelingt uns jetzt langsam, langsam, langsam diesen riesigen Tanker in die richtige Richtung zu bewegen. Ich glaube, in ein, zwei Jahren wird der Mond wahrscheinlich das dominante Ziel in den USA sein. Und nicht Mars, und nicht andere Spielereien, sondern wirklich als wirtschaftlich-strategisch-wissenschaftlicher Kernpunkt, als nächste Stufe im Weltraumprogramm."

    Ein klarer Sommerabend in Deutschland. Die ersten Sterne blinken am noch dämmerungshellen Himmel auf, von Minute zu Minute kommen mehr Lichtpünktchen zum Vorschein. Plötzlich zeigt sich über dem Westhorizont ein neues Licht. Heller als alle Sterne strebt es lautlos über das Firmament, um nach gut zwei Minuten über dem Osthorizont wieder zu verschwinden. Die Internationale Raumstation ist in vielen Nächten am Himmel mit bloßem Auge zu sehen. In dem Lichtpunkt sitzen zwei, bald sogar drei Menschen. Sie sind gar nicht so weit weg, nur 350 Kilometer über uns - aber sie sind sehr lange weg.

    Klaus Heiss:
    "Wir brauchen den Menschen im Weltraum, also im Erdumkreislauf, um etwas über den Körper herauszufinden. Was kann der menschliche Körper aushalten? Was sind die Probleme? Es gibt arge Probleme - vor allem psychologische Probleme. Es gibt da einige Zwischenfälle, auch im Shuttle-Programm - übrigens mit einem deutschsprachigen Astronauten, aber auch mit anderen -, wo sie einfach durchdrehen, sowohl die Russen als auch die Amerikaner. Es ist wichtig, um den Körper selber zu verstehen, aber auch um zu beantworten, kann überhaupt ein menschlicher Körper über lange Zeit über den Mond hinaus andere Destinationen erreichen im Sonnensystem? Die Antwort heute ist nein. Und das verneint die NASA und das verneinen die Weltraumenthusiasten. Ich brauche die Antworten, bevor ich sage, jetzt gehe ich über den Mond hinaus zu Mars oder wo auch immer."

    Eine fast kuriose Entwicklung: Bis vor wenigen Jahren lautete der NASA-Slogan zur Raumstation "It's about Life on Earth" - es geht um das Leben auf der Erde. Jetzt geht es um das Leben auf dem Mond, auf dem Mars, irgendwo im All. Die Raumstation wird zu einer Art Selbsterfahrungsgruppe, um für lange Reisen durch das All gewappnet zu sein - zu einem Testfeld für Mondstationen.

    Auch Europas Raumfahrtagentur ESA hat den Mond und den Planeten Mars als Ziele ausgemacht - zunächst für unbemannte Raumsonden, ab etwa 2025 sollten aber auch Astronauten die fernen Himmelskörper ansteuern. Europa hat sich Ziele vorgegeben, die es aus eigener Kraft derzeit gar nicht erreichen kann: Die ESA betreibt zwar bald ein Raumlabor, aber um ihre Astronauten nach oben zu bringen, ist sie auf die Kooperation der Amerikaner oder Russen angewiesen. Nur per Shuttle oder Soyuz-Rakete kommen Europas Astronauten ins All - für ESA-Chef Jean-Jacques Dordain auf Dauer untragbar:

    "Eine der Lehren, die wir aus der Raumstation ziehen, ist die, dass man niemals von einem Transportsystem abhängig sein darf. Wenn das scheitert, sind wir alle gescheitert. So ist das beim Shuttle. Wenn der Shuttle am Boden bleiben muss, kommen keine großen Komponenten mehr zur Raumstation. Man braucht immer zwei unabhängige Systeme. Europa hat nicht die Finanzen, eine eigene bemannte Rakete zu bauen. Aber ich mache Druck, damit sich Europa an einem der beiden künftigen Transportsysteme beteiligt. Die USA wollen den Shuttle-Nachfolger allein bauen. Also versuchen wir nun gemeinsam mit Russland und Japan das Kliper-Programm zu entwickeln. Kliper könnte künftig das zweite Raumschiff für die Erkundung des Weltraums sein."

    Kliper könnte die Raumstation ansteuern - aber auch bis zu sechs Astronauten zum Mond bringen. Europa ist eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen und selbst wichtige Komponenten zu liefern. Doch bevor sich Europa an so einem Projekt und möglichen Flügen zum Mond beteiligt, müsse man sich über die Ziele der bemannten Raumfahrt klar werden, mahnt Ernst Messerschmid, der als dritter Deutscher im All war und heute Professor am Institut für Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart ist:

    "Das ist nicht alles durch Forschung motiviert. Sonst machen wir wieder den Fehler wie bei der Raumstation, wo wir gesagt haben, wir brauchen die Raumstation, weil wir die Forschung in der Schwerelosigkeit durchführen. Dann hat man Schwierigkeiten, die Frage zu beantworten: Wie rechtfertigen Sie das? Wir haben bisher in Deutschland in den letzten Jahren 200 Millionen Euro bezahlt und vielleicht ein oder zwei Experimente durchführen können. Ist das nicht etwas zu viel Geld für die Experimente? Die Antwort ist: Natürlich ist es etwas viel Geld, wenn es das einzige Ziel gewesen wäre. Wir verbinden mit der Raumstation Wissenschaft, Forschung, technische Entwicklung, Schaffung von Innovationen, aber auch wirtschaftliche Dinge, Dinge im Bildungsbereich."

    Aber das einzugestehen, fällt den Raumfahrtagenturen noch immer schwer. Die ESA mit ihren 17 Mitgliedsstaaten und den sich oft eifersüchtig bekriegenden nationalen Raumfahrtagenturen hat nur selten die Chance, von sich aus strategische Ziele zu formulieren und dann auch konsequent umzusetzen. Klaus Heiss, vor vier Jahrzehnten in die USA ausgewandert, macht mit seinem Südtiroler Charme sehr deutlich, dass ihm seine alte Heimat viel zu zaudernd ist:

    "Was mir abgeht, warum stellt sich nicht irgendein europäischer Präsident hin und sagt: So Leute, wir wollen Europa eine Vision geben für die Jugend. Wir, Europa, gehen jetzt zum Mond - mit oder ohne Amerikaner, mit oder ohne Russen, mit oder ohne Chinesen, Japaner. Wir machen das. Und wenn andere das auch machen, warum nicht. Das fehlt heute in Europa. Jean-Jacques Dordain, der Chef der ESA, kam eigens zu unserer Konferenz in Venedig. Und er hat gesagt, schau Klaus, wo ist in Europa die politische Leitfigur, die zu mir, zur ESA, kommt, auf die Schulter klopft wie Bush dem Chef der NASA, so jetzt geht es zum Mond innerhalb von zehn Jahren, das ist die neue Zielsetzung. Das fehlt heute in Europa."

    Für Klaus Heiss - von Haus aus Ökonom - ist die Rückkehr zum Mond nicht nur eine faszinierende Vision. Der Mondflug, behauptet er, könne sogar doch noch den Einstieg in die langfristig sehr umfangreiche Kommerzialisierung des Weltraums liefern, allerdings auf ganz andere Art als die meisten heute denken:

    "Das große Thema ist Energie. Das klingt irgendwie frappierend vielleicht für den Laien. Aber am Mond hat ein Quadratmeter ein Potential von 1,3 Kilowatt Elektrik. Innerhalb von 10 Tagen trifft die Mondscheibe mehr Energie von der Sonne als die gesamten fossilen Energiereserven der Erde. Der Kernpunkt ist: Kann ich diese Energie auf die Erde übertragen? Und zweitens: Kann ich Mondmaterial verwenden, um diese Systeme zu bauen? Das sind die großen Fragen heute langfristig."

    Um diese Fragen zu beantworten, müssen Menschen auf den Mond. Da helfen keine Labortests und Simulationen. Astronauten vor Ort müssen ausprobieren, ob solche Techniken zu realisieren sind. Wenn ja, dann hätte die Raumfahrt bei der Rückkehr zum Mond eine enorme wirtschaftliche Perspektive - aber klassische Fabriken für die Erde gäbe es auch dann eher nicht:

    "Die Perspektive gibt es für die Produktion von Solarzellen am Mond. Das ist die wichtige Sache heute, nicht um sie herunterzuholen, sondern um sie oben zu verwenden, damit ich sie nicht hinaufschicken muss. Die anderen Sachen, da bin ich sehr, sehr, sehr skeptisch. Die Waren, die da wichtig sind, müssen sich ungefähr mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen, wegen der Zeit, und die Masse muss möglichst gering sein, am besten gleich null. Also: Kommunikation, Beobachtungen, Energie. Physisch vom Weltall Sachen herunter zu transportieren, das glaube ich nicht. Meines Erachtens ist die kurzfristige Vision vom Mond und im Erdumkreislauf die Nutzung von Solarenergie."

    Das mag heute noch recht fantastisch klingen - doch die Techniken zur Energieübertragung per Laser hat die Industrie schon entwickelt, sogar in Deutschland. Zudem ist die Raumfahrt in vielen Bereichen derzeit so dynamisch wie nie zuvor, allerdings vor allem in China und Indien. Beide Staaten sind an der Internationalen Raumstation nicht beteiligt. Die Raumstation muss aufpassen, in der niedrigen Umlaufbahn nicht bald im Abseits die Erde zu umkreisen. Die geplatzten Illusionen vom forschenden Universallabor mit Fabrikhalle sind Scheitern und Chance zugleich. Die Station wird - so lange es geht - noch weiter ausgebaut und dann auch genutzt, wie jetzt vom deutschen Astronauten Thomas Reiter, wenn er in wenigen Tagen mit dem Space Shuttle die Raumstation erreicht. Vom Mond darf man träumen, meint der Ex-Astronaut und Raumfahrtmanager Ernst Messerschmid - aber Investitionsruinen wären keine gute Basis für hoch gesteckte Ziele:

    "Wenn wir nicht anständig das ISS-Programm weiterführen und zu einem bestimmten Abschluss bringen, brauchen wir uns gar keine Gedanken zu machen über weitergehende Missionen vor allem im internationalen Kontext wie bei der Raumstation. Der Erfolg der Raumstation wird essentiell sein für zukünftige Missionen zurück zum Mond. Noch weniger wird es ohne diese Voraussetzung Flüge zum Mars geben oder zu anderen Orten im erdnahen Weltraum."