In Stuttgart am Neckartor steht Deutschlands wohl berühmteste Schadstoffmessstation. Wegen der vielen Dieselfahrzeuge wurden hier die Grenzwerte jahrelang überschritten. Als am 17. März die Corona-Verordnungen eingeführt wurden, zeigten die Messungen dann ein überraschendes Bild: Der Verkehr am Neckartor ist deutlich zurückgegangen, auf etwa 60 Prozent.
Gleichzeitig sind aber die Stickstoffdioxidwerte leicht gestiegen. Ist der Diesel also doch nicht schuld an der Luftverschmutzung? Die Zeitung "Die Welt" titelte: "Die Messwerte der Corona-Ära rütteln am Image des schmutzigen Diesels." AfD-Chef Jörg Meuthen sprach von einem "grünen Diesel-Schwindel" und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU erklärte im Bundestag:
"Wenn wir jetzt in der Situation einfach nur noch 15 bis 20 Prozent Verkehr haben an den verschiedenen Messstellen, aber die Messergebnisse gleichbleiben oder sogar schlechter sind, dann ist das in einem Missverhältnis."
"Durch die Coronakrise einen Rückgang der NO2-Konzentration"
Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger von der CDU teilte mit, dass das Thema Dieselfahrverbote damit endgültig vom Tisch sei. Doch wie aussagekräftig sind die Stuttgarter Messungen? Gibt es in den deutschen Städten tatsächlich immer noch genauso viel Stickstoffdioxid wie vor der Corona-Pandemie? Ute Dauert widerspricht. Sie ist im Umweltbundesamt zuständig für das Fachgebiet Luftqualität.
"Dieses Missverhältnis ist schlichtweg nicht da. Wir finden einhergehend mit der Reduzierung des Straßenverkehrs in den Städten durch die Coronakrise einen Rückgang der NO2-Konzentration. Von daher kann man diese Feststellung einfach so nicht stehen lassen, sie ist schlichtweg falsch."
Das ARD-Politikmagazin "Kontraste" startet eine Umfrage unter den Umweltbehörden aller Bundesländer und fragt sie nach den Werten ihrer Messstationen. 15 von 16 Ländern liefern Zahlen. Sie zeigen, dass die Stickstoffdioxid-Belastung während des Corona-Shutdowns nahezu überall signifikant gesunken ist.
"Äpfel mit Birnen vergleichen"
An den bayerischen Messstationen in Straßennähe wurden im Schnitt 26 Prozent weniger Stickstoffdioxid-Imissionen gemessen, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Das hessische Landesamt für Umwelt schätzt den um Wettereinflüsse bereinigten Rückgang auf 30 Prozent ein. Berlin verzeichnet einen Rückgang um 28 Prozent, Hamburg an einzelnen Messstationen sogar um bis zur Hälfte.
Doch warum sind dann die Schadstoffwerte am Stuttgarter Neckartor während des Corona-Lockdowns nicht zurückgegangen? Rainer Kapp, der Leiter der Abteilung Stadtklimatologie der Stadt Stuttgart hat dafür eine Erklärung:
"Im Moment vergleichen wir eine Hochdrucksituation, eine Schönwetterperiode mit geringen Verkehrsmengen mit einer Vorhersituation mit relativ hohen Verkehrsmengen aber relativ guten Bedingungen mit viel Wind, durchaus auch mit Regen, sodass wir da, man könnte sagen, Äpfel mit Birnen vergleichen."
Weniger Diesel, weniger gefährliches Stickstoffdioxid
Die ARD-"Kontraste"-Recherche zeigt also, dass es doch einen Zusammenhang zwischen weniger Diesel auf den Straßen und weniger gefährlichem Stickstoffdioxid in der Luft gibt.
Bleibt also Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bei seinem Zweifel? Ein Interview will er dazu nicht geben. Auf "Kontraste"-Nachfrage antwortet das Ministerium schriftlich, dass Einschätzungen des Einflusses der Corona-Maßnahmen auf die Luftqualität im Moment verfrüht seien.