Ein Wohngebiet mitten in der alten Bergbau-Stadt Bytom, nur 15 Kilometer von Katowice entfernt. Viergeschossige, schmutzig-graue Blocks reihen sich aneinander. Dazwischen spärlicher Rasen, ein paar Bäumchen, vereinzelt Teppichstangen. Leise Stimmen dringen aus einer Parterre-Wohnung. Am Fenster nebenan blättert der Lack. Oben, im vierten Stock warten Kasia und ihre kleine Tochter an der Wohnungstür.
"Hanuscha" heiße sie, sagt die Zweijährige schüchtern. Hanuscha oder auch Hania sind Koseformen von "Hanna", erklärt Mama Kasia und bittet ins Wohnzimmer. In dem kleinen Raum drängen sich Ess- und Schreibtisch, Klappcouch, Sessel, Flachbildschirm, Stereoanlage, CDs und Kinderbücher. Dazwischen surrt ein silbrig-glänzender Kasten, der Luftreiniger.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Kohlerevier Schlesien - Dicke Luft und schwarzes Gold".
"Das Gerät springt automatisch an, wenn die Umgebungsluft zu schlecht ist", sagt Kasias Ehemann, Marcin. "Das Ding läuft den ganzen Herbst und Winter bis hinein in den Frühling", ergänzt die 31-Jährige. Meist steht der Luftreiniger im Schlafzimmer der jungen Familie.
Beißender Smog-Schleier hängt über der Region
"Als ich schwanger war, bin ich nur mit Atemschutzmaske zur Arbeit gegangen, es gab Tage, an denen war die Luftverschmutzung fürchterlich hoch. Wenn die Luft zu schlecht ist, bleiben wir mit Hania den ganzen Tag zu Hause, egal wie nervig das ist. Wir machen uns große Sorgen wegen der Luftbelastung."
Manchmal kommt selbst unser Luftreiniger nicht dagegen an, dann ist die Luft hier drinnen nur 20 Prozent besser als draußen, erzählt Marcin. Gerne würde Kaisa auch für ihre Tochter eine Atemschutz-Maske kaufen, aber mit ihren zwei Jahren ist sie dafür noch zu klein. Solche Masken gibt es erst für Kinder ab vier.
Hania zieht ein Kinderbuch aus dem Regal und krabbelt auf den Schoß ihrer Mama. Kasia und Marcin sind mit dem Smog groß geworden. Beide sind in Bytom aufgewachsen. Kasia hat in Katowice studiert, Marcin in Krakau gelebt und gearbeitet. Als sie sich entschlossen, eine Familie zu gründen und eine kleine Wohnung zu kaufen, fiel die Wahl auf Bytom - zwangsläufig.
"In Bytom, weil die Immobilienpreise die günstigsten im ganzen Land sind. Hier im Viertel ist es sogar noch billiger als in anderen Stadtteilen oder im Umland. Wir haben sogar Zuschüsse bekommen, weil wir hier eine Wohnung kaufen."
"Es ist günstig, weil die Menschen Angst haben vor der Stadt", ergänzt Kasia.
Möbel und Plastikmüll landen auch in den Öfen
Angst, weil die Kohleschächte unter dem Zentrum regelmäßig dafür sorgen, dass die Erde obendrüber in Bewegung gerät. Und weil von Herbst bis Frühjahr ein beißender Smog-Schleier über der Region hängt. Denn ein Großteil der Einwohner heizt mit überalterten Kohleöfen, auch in den Wohnblocks. Kasia deutet aus dem Wohnzimmer-Fenster in die Dunkelheit. Der Block auf der anderen Straßenseite ist wärmegedämmt und frisch gestrichen, in Knallfarben. Und trotzdem:
"Ja, die Leute heizen mit Kohle, auch hier, im Block auf der anderen Straßenseite. Sie heizen mit Kohle, ich bin aber nicht sicher, ob es überhaupt Kohle ist, weil die Farbe des Rauchs, der aus dem Schornstein kommt, sieht anders aus."
Nicht nur minderwertige Kohle landet in den Öfen, sondern auch alte Möbel oder Plastikmüll. Kasia und Marcin haben eine Gasheizung einbauen lassen, auch ein Anschluss ans Fernwärme-Netz wäre möglich. Theoretisch. Dafür müssten aber alle Nachbarn zustimmen. Die beiden Eigentümer-Parteien im Parterre wollen aber nicht, sie heizen nach wie vor mit Kohle.
"Ich würde nicht sagen, dass alle Leute, die noch mit Kohle heizen, sich kein Gas leisten können", sagt Marcin. "Es ist ihnen einfach egal. Kohle ist heilig", fügt er hinzu.
Milliardenprojekt für saubere Luft
Im Herbst 2018 hatte die Warschauer Zentralregierung ein 25-Milliarden-Euro-Programm für "saubere Luft" beschlossen. Über zehn Jahre will man in ganz Polen den Austausch alter Heizungsanlagen sowie eine energetische Sanierung der Häuser fördern. Mehr als vier Millionen Haushalte sollen davon profitieren.
Zusätzlich haben einzelne Städte eigene Förderprogramme aufgelegt. Auch ein gesetzliches Verkaufsverbot für minderwertige Brennkessel sowie die schädlichsten Brennstoffe wie etwa Kohleschlamm wurde erlassen. Außerdem müssen an Tagen, an den die Luft besonders belastet ist, Kindergärten und Krippen die Eltern auf die schlechten Messwerte hinweisen.
"Ich sehe, dass es sich langsam ändert. Leute in unserem Alter, Leute, die Kinder haben – sie wollen über das Problem diskutieren. Auf der anderen Seite: Wenn geschrieben wird, dass die letzte Grube in Bytom geschlossen werden soll, dann gibt es oft gruselige Kommentare dagegen. Und dann geben Politiker enorm viel Geld für Drohnen aus, die Schornsteine kontrollieren und gleichzeitig lese ich auf Facebook den Post einer Frau, die schreibt: Wenn ich bei der Stadt anrufe, weil ich sehe, dass mein Nachbar alte Möbel verbrennt, sagen sie dort: Wir haben nicht genug Einsatzkräfte, wir können niemanden schicken."
Kasia schüttelt den Kopf. Auch Marcin bezweifelt, dass sich schnell etwas ändern wird.
"Erst kürzlich hieß, dass das letzte Bergwerk hier geschlossen werden müsste und sofort kamen Reaktion wie: "Ja, aber was ist mit den Jobs für die Jugend?" Als ob die jungen Leute wirklich Untertage arbeiten wollten."