Lennart Pyritz: Mehr als eine Million: So viele Menschen sterben vorzeitig pro Jahr in China durch Luftverschmutzung. Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid tragen zu Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs oder Schlaganfällen bei. Ein internationales Forschungsteam hat jetzt am Beispiel Chinas untersucht, wie sich der Klimawandel mit zunehmenden Extremwetter-Ereignissen auf die Luftverschmutzung und die damit zusammenhängenden Gesundheitsrisiken auswirkt. Einer der Studienautoren ist Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und inzwischen emeritierter Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Mit ihm habe ich heute Mittag telefoniert und zuerst gefragt, was vor der aktuellen Studie schon bekannt war über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Luftverschmutzung?
Hans Joachim Schellnhuber: Ja, relativ wenig. Wir zitieren natürlich einschlägige Arbeiten. Bisher hat man im Wesentlichen drüber nachgedacht, wie die Luftverschmutzung – zum Beispiel Aerosole, Schwefeltröpfchen und so weiter – möglicherweise das Sonnenlicht dämpfen, sodass die Erderwärmung dadurch etwas weniger krass ausfällt. Aber der umgekehrte Weg, den sind wir, glaube ich, zum ersten Mal gegangen, dass wir eben fragen: Wenn durch den Klimawandel sich die atmosphärischen Bedingungen verändern, also speziell blockierende Wetterlagen entstehen, wie wirkt sich das dann auf die Effekte der Luftverschmutzung hinsichtlich menschlicher Gesundheit aus.
"Eine wirklich interdisziplinäre Studie"
Pyritz: Ihre Arbeit beruht dabei auf Modellrechnungen. Welche Klimaluftverschmutzung und auch welche medizinischen Daten haben Sie denn dafür genutzt und wie haben Sie die miteinander in Beziehung gesetzt? Das sind Daten aus China.
Schellnhuber: Ja, wobei bei den Klimamodellen setzt man auf die globalen Modelle, die fortgeschrittensten Modelle, die es gibt. Wir verfügen da über einen großen Pool. Das muss man dann auf regionale Verhältnisse runterbrechen, aber man kann auch gewisse phänomenologische Studien nutzen, die sozusagen bestimmte Erwärmungsszenarien in Zusammenhang mit bestimmten Wetterlagen setzen. Da haben wir auf viele Erfahrungen zurückgegriffen, die wir selbst auch am Potsdam-Institut sozusagen gemacht und entwickelt haben, und dann natürlich medizinische Daten und vor allen dann die Quellen, Studien, die man in China für die Luftverschmutzung gemacht hat. Das ist ja ein Thema, was die chinesische Regierung und Öffentlichkeit umtreibt, dort gibt es sehr viel gutes Datenmaterial. Das Entscheidende war, das alles in Beziehung zueinander zu setzen. Es ist eine wirklich interdisziplinäre Studie, die von der Physik der Atmosphäre bis hin zu klinischen Studien in Hospitälern geht.
"Pro Jahr etwa eine Million vorzeitige Todesfälle"
Pyritz: Was waren dann die Ergebnisse Ihrer Modellberechnungen? Wird der Klimawandel die Luftverschmutzung in China verschärfen und dadurch zu mehr Todesfällen führen?
Schellnhuber: Die Antwort ist ja, das kann man sogar quantitativ ausdrücken. Wir finden einen kleinen, aber signifikanten Effekt, nämlich man muss sich das vorstellen: In China gibt es wohl pro Jahr etwa eine Million vorzeitige Todesfälle, also das ist ein enormer Preis, den das Land für seine rapide Industrialisierung zahlt. Und aufgrund der Faktoren, die wir berücksichtigt haben – und ich muss dazusagen, wir haben nur ein mittleres, ein sehr mäßiges Klimaszenario gerechnet, wo die Erderwärmung Ende dieses Jahrhunderts vielleicht irgendwo bei zweieinhalb, drei Grad liegen würde, und es könnte sehr viel deutlicher ausfallen. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass das grob gerechnet etwa 10.000 weitere Todesfälle verursachen würde. Wie gesagt, in einem im Augenblick realistischeren Szenario, was wir oft business as usual, also "weiter so" nennen, würde diese Zahl sich wohl drastisch noch mehr erhöhen. Und der Haupteffekt, das sind stagnierende Wetterlagen in diesem Falle. Und das kann man sich auch gut vorstellen: Wenn ich kaum Windbewegung habe, vielleicht sogar eine Inversionswetterlage habe, wo die warme Luft oben liegt und wie ein Deckel auf kalter Luft, was wir manchmal ja auch im Winter in Deutschland haben, dann können diese Schmutzpartikel, auch der Feinstaub, der bis in die Lunge und vielleicht sogar ins Gehirn geht, der kann seine Arbeit dann ungestört verrichten sozusagen, und zwar möglicherweise für vier, fünf, sechs Wochen. Das ist also das Tödlichste von allen, und das haben wir eben hier zum ersten Mal wirklich in Anschlag gebracht, also durchgerechnet.
Luftverschmutzung in Indien noch drastischer als in China
Pyritz: Ihre Studie bezieht sich ja auf die Lage in China. Wie sind denn im Vergleich die Verhältnisse in anderen Weltregionen, zum Beispiel Europa und im speziellen Deutschland, ist dort mit ähnlichen Effekten zu rechnen?
Schellnhuber: Zunächst muss ich noch mal sagen, dass diese stagnierenden Wetterlagen vor allem zusammenhängen mit der Schwächung, wenn man so will, der Veränderung des sogenannten Jetstream, was wiederum eine Folge ist der disproportionalen, also überproportionalen Erwärmung der Arktis. Das ist ein Effekt, also eine Veränderung der atmosphärischen Zirkulation, die wir am PIK auch vor zehn Jahren schon berechnet und publiziert haben. Und das bringt mich dann zu Ihrer Frage: Diese Schwächung des Jetstream, die gilt für die ganze Nordhemisphäre, das heißt, unsere Breiten sind betroffen, ja. Von der Logik her lässt sich unsere Studie sehr wohl auf Deutschland, auf Mitteleuropa anwenden – das wäre ein nächster Forschungsschritt. Wo die Situation aber noch viel, viel dramatischer wäre, wäre Indien, wo ja die Luftverschmutzung ganz andere Niveaus noch erreicht als in China. Wenn Sie die Liste der zehn schmutzigsten Städte sich anschauen, also was Luftqualität angeht, dann werden sieben oder acht indische Städte ganz oben sein. In China hat man sehr wohl Fortschritte erzielt, in Indien geht es eher in die andere Richtung. Das heißt, der absolute Brennpunkt für eine Forschung unserer Art wäre Indien.
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