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Der Fall Rubiales
Spaniens Fußball kehrt die Scherben zusammen

Ein Fußballspiel, ein Kuss, dazu ein Streik und ein Verfahren – und zum Schluss ein Happy End? Es war Einiges los im spanischen Frauenfußball in diesem Sommer. Nur über den Sport wurde wenig geredet. Stattdessen geht es um Machos und Sexismus.

Von Christian von Stülpnagel |
Die spanischen Nationalspielerinnen haben in der Nations League gegen die Schweiz erneut ein Zeichen für ihre Solidarität mit ihrer Mitspielerin Jennifer Hermoso nach dem Kussskandal gesetzt. Die spanischen Spielerinnen trugen die "Se acabo"-Botschaft zudem am Handgelenk.
Die spanischen Nationalspielerinnen haben in der Nations League gegen die Schweiz erneut ein Zeichen für ihre Solidarität mit ihrer Mitspielerin Jennifer Hermoso nach dem Kussskandal gesetzt. Die spanischen Spielerinnen trugen die "Se acabo"-Botschaft ("Es ist vorbei") zudem am Handgelenk. (IMAGO / NurPhoto / Jose Breton)
Es ist der größte Erfolg in der Geschichte des spanischen Frauenfußballs. Im Finale der Fußball-WM in Australien und Neuseeland besiegt das spanische Nationalteam England – und gewinnt den ersten großen Titel. Doch über den sportlichen Erfolg redet rund einen Monat nach dem Titel so gut wie keiner mehr. Stattdessen geht es wieder einmal um einen Mann.
Luis Rubiales beherrscht seit dem WM-Titel die Sportnachrichten. In Spanien, aber auch in ganz Europa – und sogar in den USA. Sein Kuss auf den Mund der Spielerin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung löst Empörung aus.
„Ich wollte den Kuss nicht“, sagt Hermoso ein einem Video aus der WM-Umkleide. „Aber was sollte ich machen?“

Rubiales sieht sich als Opfer einer Kampagne

Was Verbandschef Rubiales tun soll, ist den meisten direkt nach dem Kuss klar: Er muss zurücktreten. Aber er denkt gar nicht dran. „Niemals werde ich zurücktreten.“
Er sieht sich als Opfer einer Kampagne von Feminist*innen, die ihn zerstören wollten. Droht Hermoso mit einer Klage. Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung behauptet er, der Kuss sei einvernehmlich gewesen – und lässt sich von seinen Unterstützern beklatschen.
Darunter auch der Trainer der Nationalmannschaft, Jorge Vilda.
Unter den Spielerinnen – und unter den Spielern, ist die Solidarität mit Jennifer Hermoso hingegen groß: „Wir sind alle Hermoso“, mit diesem Claim laufen Teams in der spanischen La Liga auf.

Überall Unterstützer

Auch Sarina Wiegmann, die gegnerische Trainerin im WM-Finale, stellt sich auf die Seite der Spanierinnen: „Es berührt mich wirklich. Als Coach, als Mutter zweier Töchter, als Ehefrau, als Mensch. Das alles zeigt, dass wir im Frauenfußball und in der Gesellschaft noch einen weiten Weg vor uns haben. Und deshalb widme ich diesen Preis der spanischen Nationalmannschaft, die bei der WM so einen guten Fußball gespielt hat", sagt sie, als die UEFA sie zur Trainerin des Jahres kürt.

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Und Anita Bonmati, Spielerin des Jahres, will weiter kämpfen: „Auch im Namen von Jennifer Hersomo an alle Frauen da draußen, die das gleiche durchmachen: Wir sind bei euch. Wir arbeiten weiter daran, dass die Gesellschaft besser wird.“

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Sie und ihre Kolleginnen aus der spanischen Nationalmannschaft der Frauen treten geschlossen in den Streik: Solange Rubiales noch im Amt ist und es keine Reformen gibt, wollen sie nicht spielen.
Dabei ist das Problem eigentlich größer und älter als der Kuss-Skandal. Schon ein Jahr vor der WM treten 15 Spielerinnen aus dem Nationalteam zurück – wegen der Trainingsmethoden von Jorge Vilda und der Stimmung im Team. Doch damals ändert sich nichts – Vilda bleibt im Amt, und 12 der 15 Spielerinnen verpassen die WM.
Ein Jahr später ist Vilda der erste Rubiales-Unterstützer, der nach der Kuss-Affäre gehen muss. „Ich habe 17 Jahre lang 100 Prozent für den Verband und den Frauenfußball gegeben. Mein Rauswurf ist nicht gerechtfertigt. Dass ich jetzt gehen muss, ist unfair.“

Die Spielerinnen streiken, Rubiales hat keinerlei Einsicht

Aber die Spielerinnen streiken weiter. Reformen bleiben aus – und Rubiales bleibt. Allerdings nur ein paar Tage, denn am 10. September ist es auch für ihn vorbei. Er trete zurück, weil er seinen Job nicht mehr machen könne. Von Einsicht oder einem Schuldeingeständnis redet er aber nicht.
Mittlerweile läuft ein Gerichtsverfahren. Spanien ist in Sachen Frauenrechte eigentlich eines der fortschrittlichsten Länder Europa, nur ja heißt hier ja. Der Fall Rubiales zeigt aber, dass das noch nicht überall angekommen ist.
Und die Affäre ist noch lange nicht vorbei. Die Spielerinnen streiken weiter, fordern echte Reformen, auch als die neue Nationaltrainerin sie für die Spiele in der Nations League nominiert. Erst die Drohung des Verbands, die Spielerinnen für alle Wettbewerbe zu sperren, aber auch ein paar Zugeständnisse führen zu einer Lösung.
„Ich bin überzeugt, dass der Deal mit dem Verband nach unseren Gesprächen bis in die frühen Morgenstunden unseren Sport, aber auch den Frauensport und unsere Gesellschaft generell besser macht", sagt Alexia Putellas, Kapitänin der Mannschaft. Den Generalsekretär Andreu Camps hat der Verband rausgeworfen, eine Kommission gemeinsam mit den Spielerinnen soll jetzt Reformen erarbeiten. Verteidigerin Irene Paredes mahnt:
„Wir haben uns in der Vergangenheit sehr einsam gefühlt. Das muss alles korrigiert werden, solche Dinge dürfen nicht mehr vorkommen. Aber wenn sie vorkommen, muss es klare Regeln und Strukturen geben, die sofort aktiv werden.“

Der Schaden für den spanischen Verband ist enorm

Der Schaden für den spanischen Verband ist enorm – sportlich hält er sich aber noch in Grenzen: Die zwei Nations League Spiele gegen Schweden und die Schweiz hat Spanien souverän gewonnen, nimmt Kurs auf die Teilnahme an Olympia 2024 in Paris.
Und vielleicht gibt es da dann ja den nächsten großen Erfolg für spanische Fußball-Nationalmannschaft der Frauen.