"Heute fühle ich mich katarisch, heute fühle ich mich arabisch, heute fühle ich mich afrikanisch, heute fühle ich mich homosexuell, heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Gastarbeiter". Mit dieser Aussage hat FIFA-Präsident Infantino, ein weißer Mann aus der Schweiz, auf einer Pressekonferenz am Tag vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar für Verwunderung gesorgt.
Mehr als eine Stunde lang lobte Infantino das Gastgeberland und prangerte westliche Doppelmoral in der Katar-Kritik an. "Wenn jemand vorher sagt, man solle Politik draußen lassen und sich auf den Sport konzentrieren, und dann eine Stunde lang wirklich schauerliche Dinge verbreitet, dann ist das auch dem geschuldet, dass wenige Tage vor der WM die Nerven blank liegen", sagte Luise Amtsberg im Deutschlandfunk.
Amtsberg ist Grünen-Politikerin und Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt.
"Hin und her lässt zweifeln"
Wenige Wochen vor WM-Start hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) von einem Besuch in Katar eine Sicherheitsgarantie des katarischen Premier- und Innenministers mitgebracht, dass sich alle Fans - also auch Homosexuelle - frei in Katar bewegen könnten.
"Vor dem Hintergrund, dass sich jüngst der WM-Botschafter und andere wichtige Personen in Katar noch homophob und sexistisch geäußert haben und ich nicht wahrgenommen habe, dass sich die Regierung davon distanziert hat, sind diese Sicherheitsgarantien natürlich mit Vorsicht zu genießen", so Amtsberg.
"Diese Sicherheitsgarantien, das ewige hin und her, die nicht klaren Aussagen lassen daran zweifeln, dass man mit Katar einen guten Akteur hat, der weiß, welche Verantwortung er jetzt auch trägt."
Amtsberg sollte ursprünglich mit Faeser nach Katar fahren. Da die Gastgeber aber deutlich gemacht hätten, nicht tiefgreifend über Menschenrechte reden zu wollen, habe Amtsberg ihre Reise bis nach der WM verschoben.
"Katar als geopolitischer, regional wachsender und in der Bedeutung wachsender Akteur wird relevant bleiben. Und deshalb müssen wir uns auch die Frage stellen, wie es weitergeht mit den Menschen, die dort ja zu Millionen im Land sind und sehr, sehr schlechte Arbeitsbedingungen vorfinden."
"Da hätte mehr passieren können"
Zwar habe sich die Lage im Land durch den internationalen Druck verbessert, jedoch nicht weitreichend genug, so Amtsberg. "Da muss ich sagen, hätte mehr passieren können in den vergangenen Jahren. Jetzt muss man sagen, der Druck hat zumindest nicht so weit gereicht, dass wir auf eine entspannte menschenrechtspolitische Lage gucken können."
Nun, kurz vor der WM, über Menschenrechte zu sprechen, sei nicht möglich, so Amtsberg. "Die Nerven liegen so blank, dass kein vernünftiger Dialog möglich ist", sagte sie. Ob Innenministerin Faeser zum Turnier reise, müsse sie selbst entscheiden.
Von Boykottforderungen halte Amtsberg aber nichts: "Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Aber was mir wichtig ist, ist, dass man nicht reist und auch nicht die WM guckt, ohne sich zu vergegenwärtigen, was die Umstände sind. Das ist das Mindestmaß an Verantwortung, was die Politik, aber auch jeder Einzelne hat."
"Wertegeleitete Außen- und Menschenrechtspolitik"
Gleichzeitig haben deutsche Unternehmen wie Siemens oder die Deutsche Bahn von Geschäften mit Katar profitiert, auch im Rahmen der WM. Amtsbergs Parteifreund Robert Habeck hat sich im März vor dem katarischen Energieminister im Rahmen von Gas-Verhandlungen verbeugt.
Solche Wirtschaftsbeziehungen und Forderungen nach einer verbesserten Menschenrechtslage würden sich nicht ausschließen, sagte . "Das wäre eine wertegeleitete Außen- und Menschenrechtspolitik."
Blieben Verbesserungen der Menschenrechtslage aber aus, wäre eine Kündigung der Verträge "das konsequenteste", sagte Amtsberg. "Aber ich habe das Gefühl, dass man mit Katar reden kann."
Dabei komme es auf den richtigen Zeitpunkt an. "Kurz vor und während der WM ist kein guter Zeitpunkt, das haben wir herausgefunden. Das ist bedauerlich, weil so ein großes Ereignis den Druck auch hochhält. Wir müssen gucken, wie viel Druck noch da ist, wenn die WM vorbei ist und die mediale und politische Öffentlichkeit vielleicht nicht mehr so stark dort hinguckt."
Wirtschaftliche Beziehungen und Kritik seien deshalb keine Doppelmoral, sagte Amtsberg. "Mit einem pragmatischen Ansatz Einfluss nehmen auf die Menschenrechtslage, das ist der Auftrag, den wir da haben."