Gisa Funck: Was war das Hauptmotiv, eine Biografie über die lange vergessene Luise Straus zu schreiben?
Eva Weissweiler: Mir gefiel einerseits ihr literarisches Oeuvre sehr, also insbesondere diese komprimierten Kürzestgeschichten, die sie dann vor allem im Exil für das Pariser Tageblatt geschrieben hat. Das war das eine. Das andere war ihre außerordentlich berührende und interessante und exemplarische Lebensgeschichte, für eine jüdische Intellektuelle dieser Zeit.
Funck: Die 1893 in Köln geborene Jüdin Luise Straus war zweifellos eine ganz ungewöhnlich hochgebildete Frau für ihre Zeit. Sie hatte in Bonn Kunstgeschichte studiert, war promoviert. Und sie hat dann 1918, also noch im Ersten Weltkrieg, den damals noch fast unbekannten Maler Max Ernst geheiratet.
Und wenn man jetzt Ihre Biografie über Luise Straus liest, dann kann man schon sagen: Der später weltberühmte Surrealist, der wird darin auch etwas entzaubert. Sie schreiben etwa: Max Ernst sei sehr kleinbürgerlich, patriarchalisch geprägt gewesen, ein großer Frauenheld. Sie sagen auch: Er war sehr launisch, sehr egoman. Und er scheint seine Geliebten und Ehefrauen geradezu – ja! – regelmäßig als so eine Art Karrierebeschleuniger gesehen und benutzt zu haben.
War das auch ein Scheibmotiv für dieses Buch, also diesen Kunst-Star Max Ernst auch mal von einer weniger bekannten, weniger glorreichen Seite zu zeigen?
Weissweiler: Ernst hat Frauen mit System geheiratet
Eva Weissweiler: Also, so ein Max-Ernst-Bashing oder so was, das wollte ich eigentlich gar nicht betreiben. Jedenfalls nicht mit Vorsatz. Aber je tiefer ich natürlich in die Geschichte einstieg, umso unvermeidlicher wurde das, ihn eben auch sehr kritisch darzustellen.
Und was Sie eben gesagt haben: Er hat ja eigentlich mit System immer nur Frauen geheiratet, die ihm weiterhelfen konnten. Erst Luise als intellektuelle Türöffnerin. Dann Marie Berthe-Aurange als Mitglied der französischen High Society. Dann Peggy Guggenheim als eine der reichsten, amerikanischen Frauen und Kunstsammlerin. Und da ließ sich ein gewisses kritisches Licht auf ihn nun nicht unterdrücken, bei aller Verehrung, die ich nach wie vor habe für sein Ouevre.
Funck: Max Ernst und Luise Straus haben 1918 übrigens ausdrücklich gegen den Willen ihrer Eltern geheiratet, also auf beiden Seiten. Es war durchaus eine Skandalehe. Sie, als gutbürgerliche Jüdin, er als Katholik aus kleinbürgerlichen, provinziellen Verhältnissen. Und beide haben dann 1919 den Kölner Dada-Kreis mitbegründet. Und ich weiß nicht, ob ich das falsch gelesen habe in Ihrem Buch. Aber ich den Eindruck, dass die gutbürgerliche Luise, also dass die nicht wirklich eine leidenschaftliche, überzeugte Verfechterin des Dadaismus war, oder?
Weissweiler: Ja, ich glaube, es war ihr ernst mit diesem Vorsatz, alles Althergebrachte zu zertrümmern. Sprache, Literatur, Theater, Bildende Kunst etc. Aber, dass sie wirklich eine innere – ich möchte mal sagen – Liebesbeziehung zu Dada Köln hatte, das habe ich zumindest nicht feststellen können. Dazu war sie kunsthistorisch zu konservativ sozialisiert. Und da fiel es ihr überhaupt schwer, nicht nur zu Dada, sondern einen Zugang zur zeitgenössischen Kunst zu bekommen, zunächst mal.
Funck: Das Dada-Ehepaar Max Ernst und Luise Straus hat dann auch relativ schnell ein Kind bekommen, den Sohn Jimmy. Trotzdem ging diese Ehe dann 1922 doch relativ dramatisch in die Brüche. Warum musste diese Ehe vielleicht auch scheitern?
Konservative Vorstellung von Ehe
Weissweiler: Luise ist glaube ich bei aller Emanzipation und aller Bildung doch auch mit sehr konservativen Vorstellungen in die Ehe gegangen, die sie von der Generation ihrer Mutter übernommen hat. Dass die Frau eben sich ganz anpasst und ganz sozusagen ein Appendix des Mannes ist. Bis hin eben zur Lektüre und zum Freundeskreis. Und sie hat wirklich in bedrohlicher Geschwindigkeit vieles von dem, was ihr vorher wichtig war, also Freundeskreis, Musik machen, Geige-Spielen ad acta gelegt, nur um Max Ernst zu gefallen.
Und ich denke mal: Einerseits war ihm das ganz recht so, dass er da so ein dienendes Wesen im Hintergrund hatte. Aber andererseits hatte ihn auch das gerade – es ist ein absurd scheinender Widerspruch – aber enttäuscht. Dass diese flirrende, vielseitige Intellektuelle, die er kennengelernt hat, plötzlich doch einem angepassten Frauchen Platz gemacht hat. Und davon war er enttäuscht. Dann kam natürlich noch die sehr negative Veränderung ihres Äußeren seit der Geburt dazu, sie wurde ja sehr dick. Und er war ja nun bekanntlich ein Ästhet und ein Liebhaber schöner Frauen.
Funck: Nicht besonders förderlich war dann sicherlich auch die Liebesaffäre von Max Ernst mit Gala, der Frau seines Dichterfreundes Paul Eluard. Sie schreiben im Buch sogar: Diese öffentlich zur Schau getragene Affäre mit Gala, das sei der "größte Schmerz" gewesen im Leben von Luise Straus gewesen. Ist sie darüber wirklich nie hinweggekommen?
Weissweiler: Meiner Ansicht nach nicht, auch wenn sie selbst oft genug dann in ihrer Autobiografie "Nomadengut" das Gegenteil behauptet. Dass sie es irgendwann ganz vergessen hätte und ganz aufgegangen sei, sowohl in ihrem Beruf als auch in ihren zahlreichen Liebschaften. Was das Berufliche betrifft, glaub’ ich das.
Aber was diese vielen Männerbeziehungen angeht, denke ich doch, dass das eine verzweifelte Reaktion auf diesen Schmerz war. Auch zu zeigen: "Guckt mal hier! Ich kann mich auch sexuell so verhalten wie ein Mann! Ich kann mir auch einfach alles nehmen, was ich haben möchte!"
Funck: Stichwort Emanzipation. Nach der Trennung von Max Ernst musste sich die alleinerziehende Mutter Luise Straus völlig neu orientieren – und sie wird dann Anfang der 20er Jahre zu einer – ja – durchaus beeindruckenden Pionierin der Emanzipation. Also, sie mietet eine eigene Wohnung in Köln an. Sie hat ihr eigenes Hausmädchen. Sie verdient ihren Lebensunterhalt selbst, als Zeitungsjournalistin. Das war doch schon sehr außergewöhnlich für eine Frau zu dieser Zeit?
Weissweiler: Einerseits vielleicht nicht, weil es doch sehr viele, alleinstehende Frauen, auch alleinstehende Mütter in dieser Zeit gab, schlicht und einfach deshalb, weil so viele Männer im Krieg gefallen waren. Und die Frauenbewegung der 20er Jahre, die hatte ja eine beachtliche Turbulenz, da tat sich ja einiges.
Und die Frauen hatten da einerseits so viele Freiheiten, wie sie vorher noch nie gehabt haben, aber andererseits hatten sie natürlich trotzdem gegen immense, gesellschaftliche Vorurteile zu kämpfen. Also, es war so diese typische 20er Jahre-Atmosphäre: "Der Tanz auf dem Vulkan".
Und ich denke mal, beruflich sind ihr gar nicht so viele Hindernisse in den Weg gelegt worden. Das war einfach, vor allem so ab 1925, eine gute Zeit für emanzipierte, eigenständige, intellektuelle Frauen. Der Rundfunk fing an. Die Zeitungen machten große liberale Feuilletons auf. Und gerade diese weibliche Perspektive auf Reisen, auf gesellschaftliche Verhältnisse, auf Kindererziehung, aber auch auf die Literatur, die war sehr gefragt.
Erfolgreiche Journalistenkarriere
Funck: Die Journalistenkarriere von Luise Straus wirkt trotzdem erstaunlich erfolgreich. Ich meine, sie fängt ja als Autodidaktin an. Und dann steigt sie innerhalb von ein paar Jahren zur beachteten Kunstkritikerin und Kulturkorrespondentin in Köln auf. Wie war dieser rasante Aufstieg überhaupt möglich?
Weissweiler: Einfach durch ihre gestochen scharfe, brillante Schreibweise und durch ihren Mut auch zur Frechheit. Sie hat kein Blatt vor den Mund genommen, egal, ob es jetzt um die Kunstkritik ging, wo sie sich völlig von dem verstaubten, akademischen Vokabular befreit hat oder, ob es um die Betrachtung gesellschaftlicher Verhältnisse ging. Das waren, glaube ich, ihre Erfolgsrezepte.
Funck: Sie haben sehr viel recherchiert für diese Biografie. 40 Seiten nehmen allein die Fußnoten in Anspruch. Wie schwierig war es, das Leben von Luise Straus noch einmal zu rekonstruieren?
Weissweiler: Summa summarum hat es etwa zwei Jahre gedauert. Und wurde erheblich dadurch erschwert, dass 2009 das Kölner Stadtarchiv eingestürzt ist, sodass eigentlich die ganzen Unterlagen aus der Kölner Zeit schwer zugänglich waren. Aber dann hatte ich natürlich die französischen Archive, die ja sehr genau dokumentiert haben, was sie dort alles tat im französischen Exil.
Und es gab natürlich auch Nachlässe anderer prominenter Figuren, mit denen sie in Kontakt war. Aber es war schon wirklich, da ja auch ein Exilant, der auf der Flucht ist, nicht wirklich seine ganzen Dokumente im Koffer bei sich hat, es war schon das berühmte Suchen nach der Stecknadel im Heuhaufen!
Funck: Kommen wir zurück zu ihrem Leben. Das wurde für die Jüdin Luise Straus in Köln ab Ende der 20er Jahre spätestens bedrohlich, natürlich durch den Einfluss der immer stärker werdenden Nationalsozialisten. Ihr Sohn Jimmy wurde öfter als "Halbjude" beschimpft und gedemütigt. Und trotzdem redete Luise Straus diesen zunehmenden Antisemitismus lange Zeit klein und nahm die Nazi-Gefahr offenbar gar nicht richtig ernst. Warum nicht?
"Hat den Antisemitismus an breiter Front gar nicht so bemerkt"
Weissweiler: Ja, die Kreise, in denen sie in den 20ern verkehrte, die waren ja sehr liberal und sehr durchmischt. Und da spielte es wirklich gar keine Rolle, welche Religion oder in Anführungszeichen "Rasse" jemand war. So hat sie das glaube ich gar nicht so bemerkt, so vehement, wie der Antisemitismus an breiter Front wuchs, obwohl ihr Sohn sie schon immer wieder darauf hingewiesen hat, ja. Sie hat wirklich im Grunde noch bis nach der sogenannten Machtergreifung gebraucht, um es wirklich zu glauben, dass das in ihrem heiligen, katholischen Köln und im Land der Dichter und Denker möglich ist. Und zwar erst, als sie persönlich betroffen war – durch Ausbleiben von journalistischen Aufträgen.
Funck: 1933 emigriert sie dann schweren Herzens nach Paris, musste sich hier als Journalistin noch mal völlig neu erfinden. Später floh sie weiter vor den Nazis nach Südfrankreich. Und hier in Marseille, also so wird bis heute öfter behauptet, habe Max Ernst ihr dann 1941 ein ganz ungewöhnliches Angebot unterbreitet.
Nämlich das Angebot, sie ein zweites Mal zu heiraten, damit sie ein US-Ausreisevisum erhält. Und diesen Heiratsantrag habe Luise dann aber, warum auch immer, brüsk abgelehnt. Sie schreiben nun in ihrem Buch, an dieser Geschichte mit dem Heiratsantrag von Max Ernst 1941 sei überhaupt nichts dran. Wie kommen Sie dazu?
Weissweiler: Ich habe mir diese Geschichte sehr genau angesehen, sowohl in französischen als auch in amerikanischen Archiven. Und in dieser Zeit, sprich 1940,'41, ist überhaupt nicht davon die Rede, dass Luise Straus-Ernst überhaupt jemals mit ihm gemeinsam vor dem amerikanischen Konsulat oder im Büro dieses Komitees aufgetaucht ist. Mit keiner Silbe!
"Er hat keinen Finger gerührt, seiner Ex-Frau zu einem Visum zu verhelfen"
An der Geschichte kann aber auch nichts dran sein, weil sie sich gar nicht so ereignet haben kann! Nämlich, wenn Max Ernst sie noch mal hätte heiraten wollen, dann hätte er belegen müssen, dass er nicht noch verheiratet ist. Und zwar mit Marie Berthe-Aurange. Von der war er zwar tatsächlich geschieden, allerdings nur nach deutschem Recht. Und die andere Sache ist, dass er definitiv diese Scheidungspapiere verloren hatte! Er konnte nicht beweisen, dass er nicht mehr verheiratet ist. Und niemals hätte so eine amerikanische Stelle – es war ja eine Außenstelle der amerikanischen Regierung, dieses Fluchthilfe-Komitee in Marseille! –einem bigamistischen Akt zugestimmt.
Funck: Und warum hat Max Ernst trotzdem bis zu seinem Tod an dieser Geschichte festgehalten?
Weissweiler: Um sich reinzuwaschen. Er musste sich mit Recht vorwerfen lassen, dass er dann, als er dann im amerikanischen Exil war und mit der millionenschweren Peggy Guggenheim verheiratet, dass er von da nichts getan hat, keinen Finger gerührt, um seiner Ex-Frau zu einem Visum zu verhelfen. Und dann hat er sich immer mehr diese Geschichte zusammengebastelt. Aber leider findet sich in den Papieren kein Wort des Bedauerns über das schreckliche Schicksal seiner Frau!