"Der Sommer des Jahres 1810 hatte seinen Höhepunkt erreicht. Trockene Hitze brütete über reifen Feldern. Die Kolonne aus Reitern und Kutschen, die sich unter der Julisonne langsam auf der Allee vom mecklenburgischen Hohenzieritz in Richtung Berlin fortbewegte, war von einer Staubwolke eingehüllt . Die Hauptperson des Zuges reiste in einer gepolsterten und gefederten Kutsche. Von der Anstrengung der Reise spürte sie nichts mehr. Königin Luise von Preußen war wenige Tage zuvor im mecklenburgischen Hohenzieritz verstorben."
Daniel Schönpflugs Biografie der Preußenkönigin Luise beginnt mit dem letzten fulminanten öffentlichen Auftritt der Königin: ihrer Beerdigung. Bei dem Gottesdienst im Berliner Dom und ihrer Beisetzung in der Hohenzollerngruft hatten Kavallerie, Polizei und Bürgergarde Mühe, die anströmenden Untertanen im Zaum zu halten. Festakte im ganzen Königreich Preußen folgten. Zu diesem Zeitpunkt war Luise längst zum Mythos geworden.
"Mir wäre es daran gelegen, sich der Figur historisch zu nähern als eine Figur, die uns erklärt, wo wir herkommen. Ich finde, gerade hier im Osten Deutschlands sind solche gemeinsamen Figuren besonders wichtig, sie helfen uns eine Zeit vor der Spaltung auch zu denken und zu verstehen."
Daniel Schönpflug hat das Drehbuch für den Luise-Film geschrieben, der im Januar auf arte gezeigt wurde. Ein Film, in dem er auch als Statist mitwirkte. Nun folgt das darauf basierende Buch. Den engen biografischen Fokus, der Luise bislang oft gesetzt wurde, öffnet der Berliner Historiker und stellvertretende Direktor des Centre Marc Bloch. Dabei orientiert Schönpflug die Lebensbeschreibung Luises an der Geschichte Preußens in ihrer dunkelsten Phase.
"Mit ihrer Frische schien sie den Anfang einer neuen Zeit vorwegzunehmen. In einer Ära fundamentaler Umbrüche, jenem Zeitalter der Revolutionen, dem sich Preußen so lange zu entziehen suchte, doch in dessen Strudel das Land schließlich doch geriet, schien Luise für frischen Wind zu sorgen, für einen Kompromiss zwischen Altem und Neuem, für eine behutsame Veränderung der Monarchie zu stehen."
Abgesehen von der anfänglichen Beerdigungszeremonie erzählt Schönpflug Luises Leben chronologisch. Er schildert detailreich Kindheit und Jugend in der deutschen Provinz, die Zeit als Kronprinzessin und später als Königin an der Seite ihres Ehemannes Friedrich Wilhelm III. Nie losgelöst, sondern immer im Kontext der gewaltigen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche an den europäischen Höfen dieser Zeit.
Luise wurde 1776 geboren, im Jahre der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, und starb im Jahre 1810. Dazwischen lagen die Französische Revolution und der Aufstieg Napoleons bis zum Frieden von Tilsit 1807, den Preußen mit dem Verlust gewaltiger Gebiete und des Großmachtstatus bezahlte.
Schönpflug geht es darum, all jene Aspekte des Lebens der preußischen Königin herauszuarbeiten, die uns im Verlauf von 200 Jahren fremd geworden sind:
"Luise ist keine von uns! Die Vertrautheit, ja Vertraulichkeit mit der Prinzessin, Kronprinzessin und Königin ihrer Zeit, welche viele Biografen pflegen, basiert auf einer Illusion. Die 200 Jahre, die seit Luises Tod vergangen sind, müssen vielmehr ernst genommen werden. Es gilt, die höfische Welt um 1800 zu verstehen wie ein Ethnologe, der sich mit einer zunächst fremden Kultur auseinandersetzt."
Mit dieser Herangehensweise erscheint auch der Lebensstil der Königin in einem anderen Licht. Es bleibt unbestritten, dass Königin Luise und ihr Mann Wilhelm III. Preußen in einer Zeit der Umbrüche ein neues, moderneres Gesicht zu geben verstanden. Bis heute steht das Königspaar für eine enge Beziehung zum Ehepartner und zu den Kindern, eine neue Empfindsamkeit, ja: Bescheidenheit im Lebensstil und bei höfischen Zeremonien. Und dennoch ist Luise für Daniel Schönpflug vor allem auch ein Kind ihrer Zeit. Der neue Regierungsstil, den sie und ihr Mann pflegten, gerät so zum Ergebnis eines politischen Umbruchs:
"Es war eine Antwort auf die Französische Revolution und es war auch eine Antwort auf Napoleon, aber diese Antwort war nicht revolutionär, sondern evolutionär, und sie war vor allen Dingen sehr populär."
Auch das politische Wirken der Königin prägte den Luisenkult. Vor allem natürlich das legendäre Treffen mit Napoleon in Tilsit 1807. Preußens Truppen waren im Jahr zuvor bei Jena und Auerstädt von Napoleons Soldaten vernichtend geschlagen worden. Der Verbündete Russland war in das Lager Frankreichs hinübergewechselt. Das Königreich Preußen war von der Auslöschung bedroht. Da schlägt Staatsminister Hardenberg vor, die 30-jährige Luise zu Napoleon zu schicken, um Preußen zu retten. Ein gewagter Vorstoß, schließlich hatte die Königin die Preußen bereits zum Widerstand gegen die französischen Truppen aufrufen wollen, als der König noch zögerte.
Als "schwertfuchtelnde Amazone" bezeichnete Napoleon Luise deshalb. Der Gang zu ihm muss für sie eine große Bürde gewesen sein, das macht auch Daniel Schönpflug in seiner Beschreibung des Treffens deutlich. Die preußische Königin trat als Bittstellerin auf, war bereit, sich zum Wohle ihres Volkes demütigen zu lassen. Und genau das tat Napoleon.
"Sie spricht als Mutter ihrer Kinder und als Mutter gewisserweise des preußischen Staates. In der Mutterrolle ist das weibliche politische Engagement legitim. Und interessant ist auch, wie Napoleon reagiert. Er ist durchaus von ihrem Charme bezaubert, und gleichzeitig kann er ihr politisches Anliegen sehr leicht entkräften, indem er sie einfach als Frau behandelt, indem er sagt: ,Madame, sie haben aber wirklich ein wunderbares Kleid an, werden denn solche Stoffe auch in Preußen gewoben? Damit ist das politische Anliegen Luises vom Tisch."
Das Bild der schwachen und gedemütigten, aber unerschrockenen Frau, die sich dem Gewaltpolitiker Napoleon widersetzt, brannte sich in das Bewusstsein Preußens ein. Es wurde zum Staatsmythos, dessen sich auch Sohn Wilhelm bediente, als er, bereits ein Greis, das Grab seiner Mutter im Schlosspark Charlottenburg besuchte, bevor er 1870 in den deutsch-französischen Krieg zog, um Preußens Schmach zu rächen. Ein halbes Jahr später, im Januar 1871, wurde er im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen.
So wurde Luises Unerschrockenheit geradewegs zum Gründungssymbol des deutschen Kaiserreichs und der Luisenkult zum verlässlichen Instrument nationalistischer Propaganda.
Luise selbst war ein solcher Erfolg über das zu ihrer Zeit noch napoleonische Frankreich verwehrt geblieben. Ihre letzten Lebensjahre, so Daniel Schönpflug, waren von Trauer und Resignation geprägt:
"Ein neuer Stil, so musste der Königin schmerzlich bewusst werden, war kein wirksames Mittel gegen den Angriff einer hochgerüsteten Militärmacht. Die französische Besatzung Preußens zerstörte eben jene Bühne, die Luises wirkungsvoller Lebensrahmen gewesen war. So betrachtet ist die beliebteste Königin eine gescheiterte, ja tragische Figur."
Luises Mythos ist in Schönpflugs Lesart auch ihrem frühen Tod mit 34 Jahren geschuldet. Denn Luise stirbt in einer Zeit, in der Preußen am Boden liegt. Sie erlebt zwar noch die Anfänge gewaltiger Veränderungen, wie sie die preußischen Reformen mit sich bringen werden. Sie erlebt aber nicht mehr die Befreiungskriege und vor allem nicht mehr die Restaurationszeit. In ihrem Nachleben wird sie mit dieser für fortschrittliche Geister so verhängnisvollen Phase also nicht mehr in Zusammenhang gebracht. Es bleibt allein ihrem Mann vorbehalten, die schärferen Zensurgesetze einzuführen und die demokratischen und nationalen Bewegungen zu unterdrücken.
In diesem Luisenjahr wird es nicht möglich sein, an der preußischen Königin vorbeizukommen. Deshalb bietet Daniel Schönpflugs Luise-Biografie eine fundierte und anschauliche Grundlage, den Kult um die populärste Königin Preußens zu verstehen. Und gleichzeitig zu erkennen, dass damals wie heute zum politischen Geschäft die Inszenierung gehört.
"Luise von Preußen – Königin der Herzen". So heißt die Biografie von Daniel Schönpflug, die Melanie Longerich für uns besprach. Der Band ist im Verlag C.H. Beck erschienen, hat 286 Seiten und kostet 19,95 Euro.
Daniel Schönpflugs Biografie der Preußenkönigin Luise beginnt mit dem letzten fulminanten öffentlichen Auftritt der Königin: ihrer Beerdigung. Bei dem Gottesdienst im Berliner Dom und ihrer Beisetzung in der Hohenzollerngruft hatten Kavallerie, Polizei und Bürgergarde Mühe, die anströmenden Untertanen im Zaum zu halten. Festakte im ganzen Königreich Preußen folgten. Zu diesem Zeitpunkt war Luise längst zum Mythos geworden.
"Mir wäre es daran gelegen, sich der Figur historisch zu nähern als eine Figur, die uns erklärt, wo wir herkommen. Ich finde, gerade hier im Osten Deutschlands sind solche gemeinsamen Figuren besonders wichtig, sie helfen uns eine Zeit vor der Spaltung auch zu denken und zu verstehen."
Daniel Schönpflug hat das Drehbuch für den Luise-Film geschrieben, der im Januar auf arte gezeigt wurde. Ein Film, in dem er auch als Statist mitwirkte. Nun folgt das darauf basierende Buch. Den engen biografischen Fokus, der Luise bislang oft gesetzt wurde, öffnet der Berliner Historiker und stellvertretende Direktor des Centre Marc Bloch. Dabei orientiert Schönpflug die Lebensbeschreibung Luises an der Geschichte Preußens in ihrer dunkelsten Phase.
"Mit ihrer Frische schien sie den Anfang einer neuen Zeit vorwegzunehmen. In einer Ära fundamentaler Umbrüche, jenem Zeitalter der Revolutionen, dem sich Preußen so lange zu entziehen suchte, doch in dessen Strudel das Land schließlich doch geriet, schien Luise für frischen Wind zu sorgen, für einen Kompromiss zwischen Altem und Neuem, für eine behutsame Veränderung der Monarchie zu stehen."
Abgesehen von der anfänglichen Beerdigungszeremonie erzählt Schönpflug Luises Leben chronologisch. Er schildert detailreich Kindheit und Jugend in der deutschen Provinz, die Zeit als Kronprinzessin und später als Königin an der Seite ihres Ehemannes Friedrich Wilhelm III. Nie losgelöst, sondern immer im Kontext der gewaltigen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche an den europäischen Höfen dieser Zeit.
Luise wurde 1776 geboren, im Jahre der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, und starb im Jahre 1810. Dazwischen lagen die Französische Revolution und der Aufstieg Napoleons bis zum Frieden von Tilsit 1807, den Preußen mit dem Verlust gewaltiger Gebiete und des Großmachtstatus bezahlte.
Schönpflug geht es darum, all jene Aspekte des Lebens der preußischen Königin herauszuarbeiten, die uns im Verlauf von 200 Jahren fremd geworden sind:
"Luise ist keine von uns! Die Vertrautheit, ja Vertraulichkeit mit der Prinzessin, Kronprinzessin und Königin ihrer Zeit, welche viele Biografen pflegen, basiert auf einer Illusion. Die 200 Jahre, die seit Luises Tod vergangen sind, müssen vielmehr ernst genommen werden. Es gilt, die höfische Welt um 1800 zu verstehen wie ein Ethnologe, der sich mit einer zunächst fremden Kultur auseinandersetzt."
Mit dieser Herangehensweise erscheint auch der Lebensstil der Königin in einem anderen Licht. Es bleibt unbestritten, dass Königin Luise und ihr Mann Wilhelm III. Preußen in einer Zeit der Umbrüche ein neues, moderneres Gesicht zu geben verstanden. Bis heute steht das Königspaar für eine enge Beziehung zum Ehepartner und zu den Kindern, eine neue Empfindsamkeit, ja: Bescheidenheit im Lebensstil und bei höfischen Zeremonien. Und dennoch ist Luise für Daniel Schönpflug vor allem auch ein Kind ihrer Zeit. Der neue Regierungsstil, den sie und ihr Mann pflegten, gerät so zum Ergebnis eines politischen Umbruchs:
"Es war eine Antwort auf die Französische Revolution und es war auch eine Antwort auf Napoleon, aber diese Antwort war nicht revolutionär, sondern evolutionär, und sie war vor allen Dingen sehr populär."
Auch das politische Wirken der Königin prägte den Luisenkult. Vor allem natürlich das legendäre Treffen mit Napoleon in Tilsit 1807. Preußens Truppen waren im Jahr zuvor bei Jena und Auerstädt von Napoleons Soldaten vernichtend geschlagen worden. Der Verbündete Russland war in das Lager Frankreichs hinübergewechselt. Das Königreich Preußen war von der Auslöschung bedroht. Da schlägt Staatsminister Hardenberg vor, die 30-jährige Luise zu Napoleon zu schicken, um Preußen zu retten. Ein gewagter Vorstoß, schließlich hatte die Königin die Preußen bereits zum Widerstand gegen die französischen Truppen aufrufen wollen, als der König noch zögerte.
Als "schwertfuchtelnde Amazone" bezeichnete Napoleon Luise deshalb. Der Gang zu ihm muss für sie eine große Bürde gewesen sein, das macht auch Daniel Schönpflug in seiner Beschreibung des Treffens deutlich. Die preußische Königin trat als Bittstellerin auf, war bereit, sich zum Wohle ihres Volkes demütigen zu lassen. Und genau das tat Napoleon.
"Sie spricht als Mutter ihrer Kinder und als Mutter gewisserweise des preußischen Staates. In der Mutterrolle ist das weibliche politische Engagement legitim. Und interessant ist auch, wie Napoleon reagiert. Er ist durchaus von ihrem Charme bezaubert, und gleichzeitig kann er ihr politisches Anliegen sehr leicht entkräften, indem er sie einfach als Frau behandelt, indem er sagt: ,Madame, sie haben aber wirklich ein wunderbares Kleid an, werden denn solche Stoffe auch in Preußen gewoben? Damit ist das politische Anliegen Luises vom Tisch."
Das Bild der schwachen und gedemütigten, aber unerschrockenen Frau, die sich dem Gewaltpolitiker Napoleon widersetzt, brannte sich in das Bewusstsein Preußens ein. Es wurde zum Staatsmythos, dessen sich auch Sohn Wilhelm bediente, als er, bereits ein Greis, das Grab seiner Mutter im Schlosspark Charlottenburg besuchte, bevor er 1870 in den deutsch-französischen Krieg zog, um Preußens Schmach zu rächen. Ein halbes Jahr später, im Januar 1871, wurde er im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen.
So wurde Luises Unerschrockenheit geradewegs zum Gründungssymbol des deutschen Kaiserreichs und der Luisenkult zum verlässlichen Instrument nationalistischer Propaganda.
Luise selbst war ein solcher Erfolg über das zu ihrer Zeit noch napoleonische Frankreich verwehrt geblieben. Ihre letzten Lebensjahre, so Daniel Schönpflug, waren von Trauer und Resignation geprägt:
"Ein neuer Stil, so musste der Königin schmerzlich bewusst werden, war kein wirksames Mittel gegen den Angriff einer hochgerüsteten Militärmacht. Die französische Besatzung Preußens zerstörte eben jene Bühne, die Luises wirkungsvoller Lebensrahmen gewesen war. So betrachtet ist die beliebteste Königin eine gescheiterte, ja tragische Figur."
Luises Mythos ist in Schönpflugs Lesart auch ihrem frühen Tod mit 34 Jahren geschuldet. Denn Luise stirbt in einer Zeit, in der Preußen am Boden liegt. Sie erlebt zwar noch die Anfänge gewaltiger Veränderungen, wie sie die preußischen Reformen mit sich bringen werden. Sie erlebt aber nicht mehr die Befreiungskriege und vor allem nicht mehr die Restaurationszeit. In ihrem Nachleben wird sie mit dieser für fortschrittliche Geister so verhängnisvollen Phase also nicht mehr in Zusammenhang gebracht. Es bleibt allein ihrem Mann vorbehalten, die schärferen Zensurgesetze einzuführen und die demokratischen und nationalen Bewegungen zu unterdrücken.
In diesem Luisenjahr wird es nicht möglich sein, an der preußischen Königin vorbeizukommen. Deshalb bietet Daniel Schönpflugs Luise-Biografie eine fundierte und anschauliche Grundlage, den Kult um die populärste Königin Preußens zu verstehen. Und gleichzeitig zu erkennen, dass damals wie heute zum politischen Geschäft die Inszenierung gehört.
"Luise von Preußen – Königin der Herzen". So heißt die Biografie von Daniel Schönpflug, die Melanie Longerich für uns besprach. Der Band ist im Verlag C.H. Beck erschienen, hat 286 Seiten und kostet 19,95 Euro.