Archiv

Lukas Bärfuss: "Krieg und Liebe"
Unbequeme Thesen eines politischen Kopfs

Lukas Bärfuss ist nicht nur Romanautor, sondern auch ein brillanter Essayist. Im seinem neuen Essayband sucht der Schweizer den Krieg in der Liebe und die Liebe im Krieg und erklärt, dass liberale Kräfte in Deutschland einer schwerwiegenden Illusion aufsitzen.

Von Angela Gutzeit |
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    "Protokolle täglicher Denkarbeit" - der Schriftsteller und Essayist Lukas Bärfuss und sein Buch "Krieg und Liebe" (Wallstein Verlag / Frederic Meyer)
    Der Essay gelte im deutschsprachigen Raum als eine Form minderen Werts, so Lukas Bärfuss im Gespräch. Und damit liegt er nicht falsch, wird doch das Erscheinen eines Essaybandes hierzulande in der Regel eher als Füllmaterial zwischen dem letzten und dem neuen Roman eines Schriftstellers gewertet.
    Gerade im Fall von Lukas Bärfuss aber ist das besonders abwegig. Die Essays des Schweizer Schriftstellers sind nicht nur "Protokolle der täglichen Denkarbeit", wie er selbst sagt, auch nicht nur kritische Einsprüche und Kommentare zum Zeitgeschehen, wie es dem Essay eigen ist. Sie sind darüber hinaus stets sind auf engste mit seinen Romanen verknüpft.
    Die Kritik an den Schweizer Verhältnissen und ihrem internationalen Engagement, die Beschäftigung mit Kolonialismus, mit der Aufklärung wie mit der westlichen Moderne und ihrem Lebensstil – sie klingen in seinen Romanen "Hundert Tage" von 2008 und in "Koala" von 2014 genauso an wie sie auch Thema sind in seinem Essayband "Stil und Moral" von 2015 und dem aktuellen Band "Krieg und Liebe".
    "Je größer der Kunstgenuss, je tiefer die Apathie..."
    In "Stil und Moral" hatte sich Bärfuss insbesondere mit seiner Herkunft aus schwierigen Verhältnissen, mit der ihn prägenden Lektüre, seinem schriftstellerischen Werdegang, mit Sprache, Stil und der Rolle des Dichters auseinandergesetzt. Dabei ist es typisch für diesen Schriftsteller, dass er seine Sicht auf das Schreiben wie das Leben und die Literatur überhaupt gesellschaftspolitisch akzentuiert wie auch moralisch hinterfragt.
    Dieser scharfzüngige Autor, der mit Äußerungen über sein Land gern auch mal einen handfesten Krach provoziert, weiß seine Texte allerdings auch mit feiner Ironie zu unterfüttern. In "Stil und Moral", dem titelgebenden Text im ersten Essayband, untergräbt er den Sinn von Literaturschaffen und Literaturrezeption mit folgenden Sätzen:
    "Jede Minute, die Sie mit der Lektüre von feinsinnigen, die Geworfenheit der menschlichen Existenz beleuchtenden Essays verbringen, tun Sie nicht nur nichts gegen das Elend, in Wahrheit lassen Sie es sich vergrößern (…). Aber ich höre schon den Einwand aus den hinteren Reihen, wir brauchen doch eine Initialzündung, einen Auslöser, ein Signal, das uns aus der Lethargie reißt, und was, wenn nicht die Literatur kann uns auf die Aktion vorbereiten? – Unsinn, liebe Freunde, Sie lügen sich damit selbst in die Tasche, und natürlich wissen Sie das auch. (…) Man kann sagen: Je größer der Kunstgenuss, je tiefer die Apathie, desto größer die Absonderung von den Bedürfnissen Ihrer Umwelt."
    "Die Liebe im Krieg und den Krieg in der Liebe gesucht"
    Bärfuss spielt in seinen Essays oft mit diesen angeblichen Unvereinbarkeiten oder führt Begriffe zusammen, die man eigentlich als Gegensätze begreift, wie zum Beispiel "Krieg" und "Liebe". Mit diesem Begriffspaar, Thema des Textes "Krieg und Liebe. Sakurai in Port Arthur" eröffnet Bärfuss seinen aktuellen Essayband. Die Spuren, die er dabei verfolgte, beschreibt er so:
    "Also, ich habe die Liebe im Krieg und den Krieg in der Liebe gesucht. Oder eigentlich nicht so sehr gesucht, als gefunden. Auch durch die Lektüre, also die Auseinandersetzung mit diesem japanischen Offizier und Autor Tadayoshi Sakurai, die Auseinandersetzung mit Stendhal natürlich, der ja auch ein Soldat war. Es ist ja überhaupt erstaunlich, wie viele Schriftsteller das Soldatenhandwerk gelernt haben. Kleist ist natürlich ein berühmtes Beispiel. Und bei Stendhal ist es auch noch eine ganz besondere Sache, weil bei ihm trifft sich etwas, was eine lange Tradition hat, nämlich diese Breviere, die Handbücher zur Liebeskunst. Und das steht ja in einer Tradition seit Ovid. Und ich habe versucht rauszufinden, warum das in beiden Fällen eine so militärische, fast generalstabsmäßige Haltung gibt zur Liebe, zur Eroberung, so heißt es ja auch: die militärische und amouröse Eroberung. Und das war jetzt nicht irgendwie einer Lust an irgendeinem Orchideen-Fach geschuldet, sondern ich glaube tatsächlich, dass die Leidenschaften, die Obsessionen, diese Vorstellung, dass man verschmelzen kann mit einem Körper, mit einem gesellschaftlichem Körper, mit einem anderen Körper - das beschäftigt uns noch heute."
    Bärfuss macht sich hier Gedanken über ein patriarchalisches Prinzip, wie es sich zum Beispiel nach seinen Worten bei Ovid ausdrückt, der die Liebeskunst wie die Kriegskunst unter dem Gesichtspunkt der Eroberung und des Triumphs gesehen habe. Und in der Beleuchtung von Stendhals Buch "Das Leben des Henri Brulard" scheint Bärfuss' kritisches Verhältnis zur dunklen Seite der Aufklärung durch, wenn er feststellt, dass der französische Autor sein Leben und damit auch sein Liebesleben genauso zu klassifizieren trachtete wie eine Pflanzensammlung oder ein mathematisches Problem.
    Zerstörerischer Wille zur Aneignung des anderen Körpers
    Subtil arbeitet Bärfuss heraus, worum es ihm geht. Sichtbarmachen, was bislang kein Ende gefunden habe: der zerstörerische Wille zur Aneignung des anderen Körpers, zur Einverleibung, zum Beherrschen – als Movens im Krieg und in der Liebe. Sein Fazit:
    "Vielleicht müssen wir ein Mittel gegen das Begehren finden, aus vielen Körpern einen Körper, aus vielen Geistern einen Geist formen zu wollen, diesen Furor, der uns Menschen verfolgt und tötet. Es wäre um den Preis, sich endgültig getrennt zu wissen und alleine."
    In Bärfuss' Roman "Hagard" von 2017 klingt übrigens das Thema in vergleichbarer Weise an. Sein Protagonist Philip verfolgt eine junge Frau, die er zufällig im städtischen Treiben entdeckt. Aus dem Interesse entsteht eine Obsession, dieser Frau habhaft zu werden. Der Leser wird dabei Zeuge eines zerstörerischen Prozesses.
    Ein wichtiger Aspekt dieser Romanhandlung sollte nicht unerwähnt bleiben: Bärfuss' Held findet keine Sprache für sein Begehren. Er spricht die Frau niemals an.
    In seinem neuen Essayband ist diese Sprachlosigkeit ein wichtiger Aspekt zum Beispiel im Kontext von Populismus und Totalitarismus - im Grunde genommen eine Erweiterung seiner Gedanken zu Krieg und Liebe. Bärfuss interessiert sich dabei insbesondere für die populistische Verkürzung von Sprechakten und für den neuralgischen Punkt, an dem Sprache versagt und in Gewalt umschlägt.
    Über Schrumpfformen der Sprache
    Sein eindrucksvollster Text dazu gibt eine Rede wieder, die er im vergangenen Jahr im April in Dresden gehalten hat. Sie liest sich über weite Strecken wie ein Kommentar zu den populistischen Äußerungen Uwe Tellkamps während einer Diskussionsveranstaltung mit Durs Grünbein im März in eben dieser Stadt. Im Essay wie im Gespräch wählt Lukas Bärfuss als Ausgangspunkt eine Erfahrung aus seinem eigenen Leben, was übrigens nicht nur für diesen Autor typisch ist, sondern idealerweise für die Form des Essays überhaupt.
    "Ja, diese Dresdner Rede, die ich vor ziemlich genau einem Jahr im Dresdner Staatsschauspiel halten durfte (…) ist eigentlich eine Annäherung an eine Lektüre, nämlich Otfried Preußlers 'Krabat'. Und das war ein Buch, das mich in meiner Jugend sehr geprägt hat und auch ein sehr wichtiges Buch tatsächlich für mich ist. Und dort im Zentrum dieses Buches steht ein Zaubermeister, der eine Zaubermühle betreibt. Und sein ganzes Wissen über die schwarze Kunst steckt in diesem Koraktor. Und dieser Koraktor ist eigentlich eine Schrumpfform der Sprache wie Zaubersprüche es so an sich haben. Die Reduktion der Sprache auf Slogans, auf Schlagworte, auf Formeln eigentlich noch. Das heißt, das Loslösen der einzelnen Begriffe aus ihrem grammatikalischen Zusammenhang – das ist etwas, was dieser Zaubermeister doch mit einigen Zeitgenossen teilt. Ich glaube, der Anfang des Totalitären, das kann man auch bei Viktor Klemperer, ein berühmter Dresdner, in seiner LTI, Lingua Tertii Imperii, lesen, dass das erste Kennzeichen der totalitären Sprache die Reduktion ist, die Reduktion auf einzelne Begriffe."
    Gegen Populisten hilft "die tägliche Auseinandersetzung"
    Mit dem Populismus hatte sich Bärfuss auch in einer Rede am Nietzsche-Colloquium 2016 in Sils Maria beschäftigt, die im neuen Essayband zum ersten Mal gedruckt vorliegt. Seine kritische Auseinandersetzung insbesondere mit Nietzsches "Genealogie der Moral" und dessen Methode das "böse Gewissen seiner Zeit zu sein" bzw. – Zitat Bärfuss – "der Antagonist der herrschenden Meinung", mündet in eine lesenswerte Definition der Figur des Populisten:
    "Ein Populist, der wie ein Held Identifikation sucht, muss deshalb zuerst ein herrschendes Ideal konstruieren, beweisen, dass die Rede des freiheitlichen Staates eben nur eine Rede, eine Ideologie, ist. Er muss die Herrschenden als Herrschende überführen. Er konstruiert Eliten, nennt sie 'Pressekartell', 'europäische Zentralbürokratie', oder 'islamfreundliches juste milieu'. Je mehr es von diesen Antagonisten gibt, und wie dämonischer sie gezeichnet werden, umso deutlicher wird die Notwendigkeit eines Rebellen, der sich dagegen auflehnt."
    Auf die Frage, ob er der Meinung sei, dass wir uns dem Ansturm des Populismus gewachsen zeigen, antwortete Lukas Bärfuss recht selbstbewusst:
    "Ja, ich schon! (…) Als Schweizer leben wir schon bald seit 25 Jahren unter dem Dauerfeuer der Populisten und das gibt uns natürlich auch eine gewisse Erfahrung. Und ich kann Ihnen sagen, das Einzige, was hilft, ist die politische Auseinandersetzung annehmen, argumentieren, die Begriffe klären, vor allen Dingen versuchen zu kontextualisieren, das heißt, die Dinge eben in einen Zusammenhang zu stellen und versuchen, diesen Stimmen nicht allein die Manege zu überlassen . (…) Ich habe manchmal in Deutschland den Eindruck, dass man sich immer noch in einem Albtraum wähnt, der eines Tages an einem frühen Morgen zu Ende sein wird. Das wird nicht geschehen. (…) Es bleibt eigentlich nur die tägliche Auseinandersetzung."
    Widerständige Haltung: auch mal etwas nicht zu schreiben
    Zu dieser täglichen Auseinandersetzung im weitesten Sinne findet sich fast am Ende dieses Bandes ein kleiner Text, der eine überraschende Perspektive einnimmt - und nicht zuletzt als Appell an die eigene Zunft gelesen werden kann. In seiner Rede vor jungen Journalisten hatte der Schweizer Autor mit Heinrich Heine im Gepäck zur journalistischen Enthaltsamkeit geraten: sich dafür zu entscheiden, etwas nicht zu schreiben, sei es, da es schon etliche Male geschrieben wurde, nicht ausgereift sei oder weil es nicht in die Öffentlichkeit gehöre, diese widerständige Haltung nenne er- gerade in heutigen Zeiten – revolutionär.
    Es sei nicht verschwiegen, dass Lukas Bärfuss' meinungsstarke Essays manchmal auch etwas grob daherkommen, wenn er beispielsweise über die Aufklärung schreibt, sie habe Gewaltexzesse beschleunigt, ja ausgedehnt - und damit nicht zuletzt auf Auschwitz anspielt. In dieser Verkürzung ist das nicht produktiv.
    Wie hatte Lukas Bärfuss im anfangs zitierten Essay über den Lesegenuss geschrieben? Man müsse sich überlegen, ob man damit nicht wertvolle Zeit verschwende angesichts des Elends in der Welt. Dieser Widerspruch bleibt. Aber immerhin schärft uns dieser interessante Schweizer Autor die Sinne. Und das ist schließlich eine Voraussetzung für jegliches Handeln.
    Lukas Bärfuss: "Krieg und Liebe. Essays"
    Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 290 Seiten. 22 Euro