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Lukaschenko zieht die Daumenschrauben weiter an

Ungeachtet heftiger Proteste aus dem Ausland hat Weißrussland am Wochenende die angeblichen U-Bahn-Attentäter von Minsk hingerichtet. Das Verfahren war hoch umstritten, Geständnisse sollen unter Folter erpresst worden sein. Die ohnehin prekäre Menschenrechtslage im Reich Alexander Lukaschenkos hat sich in den vergangenen Wochen weiter verschärft.

Von Gesine Dornblüth |
    Der Präsident Weißrusslands, Alexander Lukaschenko, zieht die Daumenschrauben weiter an. In der vergangenen Woche verhängte er Ausreiseverbote gegen rund ein Dutzend Dissidenten. Auch Walentin Stefanowitsch steht auf der Schwarzen Liste. Er ist der stellvertretende Direktor von Wiasna, der ältesten landesweiten Menschenrechtsorganisation in Weißrussland. Wiasna hilft verfolgten Regimekritikern und setzt sich für die Abschaffung der Todesstrafe in Weißrussland ein. Vor zehn Jahren entzog der Staat Wiasna die Zulassung. Die Mitarbeiter machen trotzdem weiter, doch ihr Büro kann jederzeit geschlossen werden. Stefanowitsch hat schon mehrfach darüber nachgedacht, aufzugeben und ins Ausland zu gehen, aber er hat sich jedes Mal anders entschieden.

    "Ich hätte politisches Asyl in Litauen bekommen oder in einem anderen Land. Aber ich habe gedacht, das ist eine sehr weitreichende Entscheidung. Wenn du sie triffst, dann kehrst du nie zurück. Ja, die Arbeit unserer Organisation wird kriminalisiert. Unsere Homepage zählt zu den fünf verbotenen Internetseiten in Weißrussland. Trotzdem muss ich hier sein. Hier sind meine Familie, meine Freunde, ich bin hier geboren und aufgewachsen."

    Zu bleiben und sich zu engagieren, erfordert Mut. Denn in Weißrussland kann jeder hinter Gitter kommen, der dem Regime in die Quere kommt, sagen Beobachter. Die Justiz gilt als gelenkt. Im Herbst wurde der Leiter von Wiasna, Ales Bialiatski, zu viereinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt, wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Und noch immer sitzen diverse Oppositionspolitiker im Gefängnis. Sie wurden nach den Protesten gegen die Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 verhaftet. Wiasna zählt insgesamt noch fünfzehn politische Gefangene. Die, die freikamen, wurden nicht rehabilitiert. Das heißt: Sie können nicht für politische Ämter kandidieren. So hält sich Lukaschenko Konkurrenz vom Hals. Und nun ist auch noch ein neues Gesetz in Vorbereitung, das es ermöglicht, den Anwälten von politisch Verfolgten die Lizenz zu entziehen. Walentin Stefanowitsch von Wiasna:

    "In den 15 Jahren, seit wir bestehen, haben wir schon vieles erlebt. 1999 sind politische Aktivisten spurlos verschwunden. Ich kann nicht sagen, dass wir uns daran gewöhnt haben oder dass wir keine Angst haben. Das macht Angst. Aber so ist das Leben nun mal.

    ""Noch schwerer als in der Hauptstadt Minsk haben es Menschenrechtler in der weißrussischen Provinz. In Witebsk im Osten des Landes setzt sich die Organisation "Nasch Dom", "Unser Haus", für Bürgerrechte ein. Ihre Aktionen sind teilweise ganz unpolitisch, doch selbst das missfällt den Behörden. Im vergangenen Herbst zum Beispiel luden die Aktivisten von "Nasch Dom" die Abgeordneten aus ihrem Bezirk ein, einen Friedhof in Ordnung zu bringen. Die Grabsteine waren überwuchert, niemand kümmerte sich. Die Aktivisten von "Nasch Dom" besorgten Spaten und befestigten Schilder mit den Namen der Abgeordneten daran. Die Botschaft war klar: Die Politiker sollten endlich etwas tun. Statt der Politiker kam die Polizei – und ein Traktor fuhr in die Menge. Tatjana Jakowlewa war dabei.

    ""Wir sind zurückgesprungen, als der Traktor auf die Spaten zu fuhr.
    Der Fahrer hatte ganz offensichtlich das Ziel, uns zu erschrecken. Und dann gab es noch Streit mit der Miliz und dem KGB. Für mich war das nicht das erste Mal. Ich sage mir immer: Wenn sie mich mitnehmen, nehmen sie mich mit. Ich bin dazu innerlich bereit."

    Im letzten Sommer hatte es in Weißrussland eine Welle von Protesten gegeben. Sie richteten sich vor allem gegen steigende Preise. Die wirtschaftliche Lage in Weißrussland ist angespannt. Doch die Behörden gehen rigoros gegen die Proteste vor. Im Oktober gingen Menschen in 25 Städten bei sogenannten Volksversammlungen auf die Straße. Alle Organisatoren wurden später verurteilt, wegen angeblicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Für den kommenden Sonntag haben oppositionelle Gruppen seit langer Zeit wieder einmal eine Kundgebung in Minsk angekündigt. Sonntag ist der 25. März, der "Tag der Freiheit", da geht in Weißrussland traditionell die Opposition auf die Straße. Noch ist nicht klar, ob die Kundgebung im Zentrum der Stadt genehmigt wird. Fest steht: Die Teilnahme erfordert Mut. Vladimir Matzkiewitsch, Philosoph und politischer Beobachter in Minsk, ist sich sicher:

    "Die Regierung schreckt vor Gewaltanwendung nicht zurück - weder aus Respekt vor den Menschenrechten, noch aus Respekt vor dem Gesetz, noch aus moralischen Überlegungen heraus. Die heutige Regierung steht außerhalb des Gesetzes und handelt entsprechend."